Hermann Melville
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Hermann Melville

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Zweiundvierzigstes Kapitel

Sonntags besuchte ich stets die Hauptkirche der Eingeborenen, die am Rande des Dorfes nicht weit von der Calabusa gelegen war. Sie galt für das beste Bauwerk taheitischer Architektur. In letzter Zeit haben die Eingeborenen ihre Gotteshäuser mehr für die Dauer erbaut; einmal aber gab es ihrer sechsunddreißig, die nicht viel besser als Scheunen waren, lediglich aus durch Bastzweige zusammengehaltenen Stäben bestanden und sehr bald wieder verfielen. Eines dieser Gebäude war merkwürdig. Pomari II hatte es errichtet und allen Eifer eines neubekehrten Fürsten dabei gezeigt. Es war über siebenhundert Fuß lang und entsprechend breit. Die gewaltige Dachstange wurde in regelmäßigen Zwischenräumen von sechsunddreißig Brotfruchtbaumstämmen getragen; die Wände ruhten auf Palmenschäften; das Dach, das schräg und steil bis zu Mannshöhe über dem Erdboden abfiel, war mit Blättern bedeckt, die Seiten des Gebäudes standen offen. Dies war die königliche Missionskapelle von Pepoar. Bei der Einweihung wurde gleichzeitig von drei verschiedenen Kanzeln gepredigt, unter ungeheurem Zulauf der Bevölkerung aus allen Teilen der Insel. Da die Kirche auf königlichen Befehl errichtet wurde, hatte eine ungeheure Menge am Gerüst mitgearbeitet, beinahe wie beim Tempel Salomonis, nur daß sie in viel schnellerer Zeit vollendet wurde, denn kaum drei Wochen, nachdem der erste Pfeiler in den Grund gerammt war, wurde das letzte Zwergpalmenblatt oben festgebunden. So riesenhaft die den einzelnen Häuptlingen und ihren Untergebenen auferlegte Arbeit auch war, sie wurde dadurch sehr erleichtert, daß jeder Mann seinen Pfeiler, Sparren oder Stange bereits mit dem Dachblatt zusammengebunden gebrauchsfertig mitbrachte. Das so vorbereitete Material wurde zusammengefügt und mit Bastzweigen verbunden. So hörte man tatsächlich »weder Hammer noch Axt noch irgendein eisernes Werkzeug während des ganzen Baues.«

Das merkwürdigste an dieser Südseekathedrale war, daß ein breiter Bach durch sie hindurchfloß. Die Eingeborenen lieben die Nähe fließender Wasser, um ihrer Schönheit und um ihres Nutzens willen, und das Murmeln der Wellen begleitete die Gesänge im Heiligtum. An drei Stellen innerhalb der Kirche führten Brücken über den Bach.

Leider ist dieser großartige Tempel längst verlassen, die tausend Hybiskusträger sind verwittert und heruntergefallen, und der Bach fließt über sie hin. Die gegenwärtige Metropolitankirche von Taheiti ist ganz anders. Sie hat nur mäßigen Umfang, ist mit Brettern bedeckt und weiß getüncht, sie hat Fenster, zwar ohne Rahmen, aber mit Läden, und wäre nicht das Laubdach, sie würde an eine einfache heimische Kapelle erinnern. Alles Fachwerk wurde von fremden Zimmerleuten hergestellt. Der Anblick im Innern ist einzigartig: die Dachsparren sind mit schönen bunten Matten umwunden, und längs dem Hauptdachbalken hängen abwechselnd Quasten oder Fransen von gefärbtem Gras; der Boden ist mit rauhen Brettern belegt. Zwischen den Sitzreihen für die Eingeborenen, die mit Rückenlehnen und gekreuzten Kokosmatten für die Füße versehen sind, führen regelrechte Chorgänge durch den Bau. Die Kanzel aus dunklem glänzenden Holz ist überraschend hoch angebracht; der Prediger sieht die Gemeinde beinahe aus der Vogelperspektive. An drei Seiten läuft eine von Kokosstämmen getragene Galerie um die Kirche. Ihr Geländer ist da und dort in grellem Blau gestrichen; auch an anderen Stellen sieht man Flecken der gleichen Farbe unregelmäßig aufgesetzt, als ob die eifrigen Neubekehrten jeder ein wenig Farbe mitgebracht und an der ersten besten Stelle darauf losgestrichen hätten.

Das Innere ist auffallend düster, denn alles ist in dunkler Farbe gehalten und durch die Fenster dringt nur wenig Licht herein. Ein seltsamer Holzgeruch, den man in fast jedem größeren Gebäude in Polynesien merkt, erfüllt den Kirchenraum, man möchte glauben, daß er von wurmstichigen alten Götzenbildern, die in einer nahen Rumpelkammer liegen, herrührt.

Die Gemeinde gehört größtenteils den besseren Ständen an, den Häuptlingen und ihrem Gefolge. Man erkennt sie sogleich an ihrer Schönheit und ihrem gesunden Aussehen, da sie nicht wie die »Merenhoa«, das gemeine Volk, den verderblichen Übeln des Verkehrs mit den Fremden ausgesetzt waren. Des Sonntags erscheinen sie in Staat; sie werden auch nicht wie das Volk zur Kirche getrieben, sondern gehen freiwillig, schon weil sie intelligenter sind und ihre Würde zu wahren wissen.

Diese Kirche, die ich ihrer hölzernen Säulen wegen die Kokosnußkirche nannte, war das erste christliche Gotteshaus in Polynesien, das ich sah, und machte einen bedeutenden Eindruck. Majestätische Häuptlinge, deren Väter noch die Kriegskeule geschleudert hatten, alte Männer, die noch die Rauchopfer auf Oros Altären hatten dampfen sehen, saßen darin; von draußen tönte eine Glocke, die am Ast eines Brotfruchtbaumes hing und von einem eingeborenen Jungen mit einem Eisenstab angeschlagen wurde. An der gleichen Stelle gellten einst die Sturmklänge der Kriegshörner.

Die Kirche ist voll von Menschen; überall sieht man hellen Kattun, in den die höheren Klassen sich bei festlichen Gelegenheiten hüllen, mit merkwürdigen bunten Mustern und Farben. Manche tragen möglichst europäischen Schnitt, aber das ist schlechter Geschmack; da und dort sieht man sogar Rock und Hose: sie sehen ungeschickt aus und verderben das Bild. Aber am meisten fallen die Gesichter auf, jedes voll von Leben und Ausdruck, wie überall in Polynesien, wo viele Menschen beisammen sind; die Kleider rauschen, die Leute bewegen sich, alles murmelt und flüstert, die Stimme des sanften alten Predigers, die sich eben erhebt, ist kaum vernehmlich. Ein halb Dutzend Burschen in weißen Hemden und Hosen suchen die Ruhe herzustellen, sie laufen zwischen den Sitzreihen umher und, indem sie den anderen vorhalten, wie unanständig es sei, in der Kirche nicht still zu sein, vergrößern sie den Lärm. Es war höchst komisch.

Mit der Kirche ist eine Sonntagsschule verbunden; die Schüler, eine lebhafte, nichtsnutzige Bande, saßen auf der Galerie. Am Ende einer Bank sah ich den Lehrer sitzen und einen geduckten kleinen Kerl neben ihm: so oft die anderen störten, erhielt der Ärmste ein Kopfstück: die anderen sollten wohl sehen, was sie erwartete, wenn sie sich nicht besser benahmen.

Mitten in der Kirche stand an einen Pfeiler gelehnt ein alter Mann, der ganz anders aussah als die übrigen. Er trug nichts als einen groben kurzen Mantel aus entfärbtem Tappa; aus seiner verblüfften Haltung schloß ich, daß er aus dem Innern der Insel kam und ein neues ungewohntes Schauspiel sah. Er wurde übrigens scharf zurechtgewiesen, weil er anderen die Aussicht nahm, und da er nicht gleich verstand, was man von ihm wollte, packte ihn einer der weißgekleideten Kirchendiener einfach bei der Schulter und drückte ihn auf einen Sitzplatz nieder.

Der alte Missionar auf der Kanzel und die anderen Weißen enthielten sich jeder Einmischung und überließen alles den Eingeborenen; das ist auch in einer größeren Versammlung auf den Südseeinseln die einzige Möglichkeit, mit ihnen fertig zu werden.

Als endlich die Ruhe einigermaßen hergestellt war, begann der Gottesdienst mit Gesang. Der Chor bestand aus zwölf bis fünfzehn Damen der Mission, die auf einer langen Bank links von der Kanzel saßen. Fast die ganze Gemeinde sang mit. Zu meinem Staunen hörte ich als erstes die wohlbekannte Melodie eines unserer alten Kirchenlieder zu einem taheitischen Psalm. Viele Stimmen waren süß und voll. Die Sänger schienen freudig erregt, hielten manchmal inne und sahen umher, dann sangen sie die feierliche Weise fröhlich weiter. Die Taheitier haben ein natürliches Talent für den Gesang und lieben ihn sehr. Oft habe ich flotte und liederliche junge Kerle ein oder zwei Strophen eines Psalms vor sich hinsummen hören, als wäre es der neueste Schlager aus einer Operette. Darin wie in fast allem anderen unterscheiden sich die Taheitier sehr von den Bewohnern der Sandwich-Inseln, wo die Pfarrgemeinden mehr blöken als singen.

Nach dem Psalm kam ein Gebet. Der gute alte Missionar war klug genug, es sehr kurz zu machen, denn die Gemeinde wurde sogleich unruhig. Dann wurde ein Kapitel aus der Taheitischen Bibel gelesen, ein Text ausgewählt, und die Predigt begann. Sie wurde aufmerksamer angehört, als ich erwartet hatte.

Da ich schon gehört hatte, daß die Predigten der Missionare, die für eine primitive Zuhörerschaft bestimmt sind, recht eigenartig seien, daß darin viel von Dampfschiffen, von der Kutsche des Lord Mayors, von der Londoner Feuerwehr die Rede wäre, so hatte ich mir einen Dolmetsch mitgebracht, einen sehr geweckten Matrosen aus Hawaii, den ich kennengelernt hatte. »Paß gut auf, Jack,« sagte ich ihm beim Eintritt, »und sag' mir, soviel du kannst, während er spricht!« Jacks Übersetzung war vielleicht keine kritische; ich teile sie aus der Erinnerung mit und möglichst in seinen Worten.

»Meine guten Freunde,« sagte der Prediger, »ich froh, euch zu sehen und ich lieben sehr, heute bischen mit euch zu plaudern. Gute Freunde, sehr schlechte Zeit jetzt in Taheiti; machen mich weinen. Pomari ist fort, die Insel nicht mehr eure, die Wui-Wuis da. Böse Priester auch da und böses Götzenbild in Weiberkleid mit Messingketten,« – damit war das geschmückte Bild der heiligen Jungfrau in der katholischen Kapelle gemeint – »gute Freunde, ihr nicht mit ihnen sprechen, nicht sie anschauen. Aber ich weiß, ihr nicht tun. Gehören zu diesen Räubern, bösen Wui-Wuis. Werden diese schlechten Menschen müssen gehen sehr schnell. Biriteni Donnerschiffe kommen, und fort sie gehen. Aber nicht mehr darüber jetzt, ich mehr sagen später.

Gute Freunde, viele Walfischschiffe jetzt hier, und viele schlechte Männer kommen darin. Seeleute alle schlecht, das ihr sehr gut wissen. Sie kommen her, weil so schlecht, daß zu Hause nicht bleiben dürfen. Meine gute kleine Mädchen, nicht laufen zu Seeleuten! Nicht gehen, wo sie gehen, sie euch Böses tun. Wo sie herkommen, gute Leute nicht mit ihnen sprechen, sind wie Hunde. Hier sie sprechen zu Pomari und trinken Awa (Branntwein) mit dem großen Pufeh!« Pufeh war einer der obersten Häuptlinge der Insel, der ein lustiges Leben führte.

»Gute Freunde, diese Insel sehr klein, aber sehr böse und sehr arm. Die zwei immer zusammen. Warum Biriteni so groß? Weil diese Insel gute Insel. Schicken Mikoneri zu arme Kanaka. In Biriteni jedermann reich, viele Sachen zu kaufen und viele Sachen zu verkaufen, Häuser viel größer als die von Pomari und viel schöner. Jeder dort fahren in Kutschen, größer als die von Pomari . . .« Die Königin hatte kurz vorher von der Königin Viktoria eine Karosse geschenkt bekommen. Sie wurde später nach Oëhu auf den Sandwich-Inseln geschickt und dort verkauft, um die Schulden der Königin zu bezahlen. – »und tragen schöne Tappa jeden Tag.« Es folgte die Aufzählung weiterer Herrlichkeiten und Genüsse der Zivilisation.

»Gute Freunde, wenig Essen mehr in meinem Haus. Schoner von Sydney nicht bringen Sack Mehl und Kanaka nicht bringen genug Schwein und Früchte. Mikoneri tun sehr viel für Kanaka, Kanaka tun wenig für Mikoneri. So, gute Freunde, ihr flechten viel Kokoskörbchen und füllen und bringen morgen!«

Das war der wesentliche Inhalt des größeren Teils der Predigt, und es läßt sich nicht bestreiten, daß sie der Geistesverfassung der Inselbewohner angepaßt war, die nur für greifbare und neuartige Dinge Sinn und Interesse haben. Der Taheitier denkt nicht, bei ihm ist alles impulsiv, und anstatt Glaubenssätze zu erklären, geben ihnen die Missionare alles in hübschen Bildern und kleinen Ausschnitten, und leichte Gebete, wie aus der Kinderfibel. Eine dauernde religiöse Wirkung wird denn auch nicht erreicht. In der Tat gibt es vielleicht keine Rasse, die ihrer Natur nach weniger für die Lehren des Christentums geschaffen ist wie die Bevölkerung der Südsee. Ich weiß von der »großen religiösen Erneuerung« auf den Sandwich-Inseln im Jahre 1836, wo mehrere Hunderte in wenigen Wochen in den Schoß der Kirche aufgenommen wurden. Das geschah nicht aus innerer Überzeugung, und die Leute fielen auch sogleich in ihr altes Lasterleben zurück. Damals herrschte Hungersnot auf der Insel und ein abergläubisches Volk war durch fanatische Prediger davon überzeugt worden, daß die Götter der Missionare die Insel gestraft hätten, weil sie so schlecht gewesen war.

Gerade die Züge im Charakter der Taheitier, die die englischen Missionsgesellschaften bewogen, sie als besonders geeignet zur Bekehrung anzusehen, und die Insel als erste zum Feld ihrer Tätigkeit zu wählen, wurden später die schwersten Hindernisse. Ihr sanftes Wesen, ihre scheinbare Naivität und Fügsamkeit täuschte die Europäer; diese Eigenschaften waren nur Begleiterscheinungen geistiger und körperlicher Indolenz. Dazu kommt eine starke Sinn- und Genußfreudigkeit und eine Abneigung gegen jeden Zwang, Anlagen, die zur üppigen Natur der Tropen sehr wohl passen, aber der strengen christlichen Moral entgegengesetzt sind.

Die Eingeborenen sind auch stets bereit, ein leidenschaftliches Interesse an Dingen vorzugeben, für die sie nichts empfinden, sobald sie glauben, daß Personen, deren Macht sie fürchten oder um deren Gunst sie werben, an diesen Dingen Interesse nehmen. Als sie noch Heiden waren, brachen die Sandwich-Insulaner sich die Zähne aus oder rissen ihre Haare ab und verstümmelten sich mit scharfen Muscheln, um den untröstlichen Schmerz beim Tod eines großen Häuptlings oder eines Mitglieds der königlichen Familie zu zeigen. Und doch berichtet Vancouver, daß dieselben Menschen, die eben noch rasend vor Schmerz schienen, sogleich glückselig wurden, wenn man Ihnen eine kleine Pfeife oder einen Spiegel schenkte.

Auf einer der Gesellschafts-Inseln, – ich glaube, es war Rejatehr, – wünschten die Eingeborenen aus irgendeinem Grunde sich die Missionare besonders geneigt zu machen. Sie benahmen sich daher beim Gottesdienst so, wie sie es früher als Heiden getan: sie stellten sich, als brächte die Predigt sie zur Raserei und Verzückung, rollten die Augen, hatten Schaum vorm Mund, stürzten in Krämpfen hin und ließen sich nach Hause tragen. Die Missionare hielten es für ein Wunder des Höchsten und posaunten es überall aus.

Um zur Kokosnußkirche zurückzukehren: sowie der Segen gesprochen war, zerstreute sich die Gemeinde und belebte die Ginsterstraße mit ihren flatternden Gewändern, dann verloren sie sich in den schattigen Seitenwegen, die von der Hauptstraße abzweigen und zu kleinen Ortschaften in den Hainen oder zu den Villen am Strande führen. Allgemeine Heiterkeit herrschte, als ob sie von einem altmodischen »Hivar«, einem ihrer fröhlichen heidnischen Tanzfeste kämen. Viele ließen ihre Bibel, die sie an Schnüren trugen, hin und her baumeln.

Der Sabbat wird gewissenhaft gefeiert, besonders was die Enthaltung von jeder Arbeit betrifft. Die Kanus sind auf den Strand gezogen, die Netze zum Trocknen ausgebreitet, in den Hütten, die wie Hühnerställe aussehen, liegen die Bewohner müßig wie sonst, schwatzen aber etwas weniger. Nach dem Gottesdienst herrscht Ruhe auf der ganzen Insel, die Täler, die ins Innere führen, sehen noch stiller und verlassener aus. Kurz, es ist der »Tabu-Tag« der Taheitier; das gleiche Wort, das sie als Heiden für ihren Kult gebrauchten, bedeutet jetzt die christliche Sonntagsheiligung.

 


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