Hermann Melville
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Hermann Melville

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Ein paar Tage vergingen, und Kapitän Bob belohnte unseren Gehorsam durch Vergünstigungen. Er gestattete uns, den ganzen Tag frei umherzugehen. Nur mußten wir auf Rufweite bleiben. Da er Wilsons ausdrücklichem Befehl zuwiderhandelte, mußte er dafür sorgen, daß der Konsul nichts davon erfuhr. Daß die Eingeborenen uns verraten würden, besorgten wir nicht, aber Ausländer, die auf der Ginsterstraße verkehrten, konnten es tun. So wurden vorsichtshalber Knaben als Späher ausgestellt; sowie sie einen weißen Mann erblickten, schlugen sie Alarm und jeder eilte an sein Loch im offenen Stock, der obere Balken wurde gesenkt, und wir waren Gefangene. Sowie der Wanderer außer Sicht war, wurden wir wieder in Freiheit gesetzt.

Was wir an Lebensmitteln von Kapitän Bob und seinen Freunden erhielten, war so wenig, daß wir oft unerträglichen Hunger hatten. Wir konnten ihnen keinen Vorwurf daraus machen, denn wir sahen bald, daß sie sich absparten, was sie uns gaben, und sie erhielten ja nichts dafür als den täglichen Eimer mit Hartbrot. Not kann für ein Volk wie die Taheitier nur Nahrungsmangel bedeuten; aber das gewöhnliche Volk ist dort zum Teil so arm, daß dieses Elend, das sonst eine traurige Begleiterscheinung der Zivilisation ist, häufig ist. Die Leute in unserer Nachbarschaft hatten Orangen und Zitronen im Überfluß, aber diese Früchte allein erregten nur noch heftigeren Appetit nach anderer Nahrung. Zur Zeit der Brotfruchtreife sind sie besser daran; sonst werden die Erzeugnisse der Insel, auf der es ja so gut wie keine Landwirtschaft gibt, und Früchte nur soweit vorhanden sind, als sie wild wachsen, als Schiffsvorrat verkauft; die Häuptlinge, denen das ganze Land gehört, befriedigen ihre Geldgier, und für das geringe Volk bleibt nichts übrig. Wenn sie nicht ihre Fischnetze hätten, würden viele tatsächlich verhungern.

Da Kapitän Bob in seiner Wachsamkeit allmählich immer mehr nachließ, und wir unsere Wanderungen immer weiter ausdehnten, gelang es uns, durch systematisches Fouragieren uns einigen Ersatz zu schaffen. Zum Glück standen die Häuser der reichen Eingeborenen uns ebenso offen wie die der Armen. Wir wurden hier wie dort gleich gütig behandelt. Manchmal kamen wir zurecht, wenn bei einem Häuptling ein Schwein geschlachtet wurde, denn der Lärm war auf große Entfernung hörbar. Bei solchen Gelegenheiten kommen die Nachbarn zusammen und feiern ein kleines Fest, bei dem jeder Fremde willkommen ist. Das Quieken war daher Musik in unseren Ohren; wir wußten dann, daß in der Gegend etwas im Gange war, und wenn wir plötzlich und lärmend erschienen, erregten wir jedesmal Sensation. Mitunter war das Tier noch am Leben und sträubte sich und wurde bei unserem Eintritt losgelassen; dann trat Schwindel-Jack sogleich auf den Schauplatz, ein Bordmesser zwischen den Zähnen und eine Holzkeule in der Hand. Alle waren gefällig. Die einen halfen beim Absengen der Borsten, andere beim Ausnehmen des Tieres. Nur der lange Doktor und ich nahmen an diesen Vorbereitungen nie teil und sparten unsere Kräfte für die Mahlzeit. Wie alle sehr mageren Leute hatte das lange Gespenst einen mächtigen Appetit. Andere gingen manchmal umher und suchten, was sie verschlingen konnten: er lag immer auf der Lauer. Er hatte auch ein Mittel gefunden, einem Übelstand abzuhelfen, den wir alle fühlten: die Südsee-Insulaner salzen ihre Nahrung fast nie. Daher bat er Tauende, ihm ein wenig Salz und womöglich auch etwas Pfeffer vom Schiff zu bringen. Das geschah, und er tat beides in ein kleines Ledertäschchen, einen »Affenbeutel«, wie die Seeleute es nennen, der gewöhnlich als Geldbörse um den Hals getragen wird. »Meines Erachtens,« sagte er, als er den Beutel verbarg, »tut ein Fremder in Taheiti gut daran, sein Messer zur Hand zu haben und die Streubüchse um den Hals.«

 


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