Hermann Melville
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Hermann Melville

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Dreizehntes Kapitel

Unter uns war ein armer Teufel, der Tauendchen oder Tauchen genannt wurde. Er war ohne bestimmten Beruf mitgekommen, war so ungeschickt und furchtsam, daß man gar nicht erst versucht hatte, ihn als Matrosen anzulernen und ihn als Steward nach der Kajüte versetzte, während der bisherige Steward, der ein tüchtiger Seemann war, zur Mannschaft kam. Aber das arme Tauchen ging mit dem Porzellan ebenso ungeschickt um, wie mit dem Tauwerk; eines Tags, als das Schiff stampfte, fiel er mit einer hölzernen Terrine voll heißer Suppe in die Kajüte und verbrühte die Offiziere derart, daß sie eine Woche krank lagen. Darauf wurde er entlassen und ins Vorderkastell zurückgeschickt.

Nun wird an Bord niemand so verachtet wie eine furchtsame, faule, nichtsnutzige Landratte; kein Matrose hat das geringste Mitleid mit so einem Kerl. Die Schiffsmannschaft ist aber auch nicht gewillt, ihn seiner Unbrauchbarkeit froh werden zu lassen. Jede schwere Arbeit, zu der er überhaupt imstande ist, wird ihm aufgebürdet, und vor allem die gemeinste Arbeit. Wenn etwas zu teeren ist, wird er ins Teerfaß gestoßen und muß die Sache machen; er muß laufen und tragen wie ein Hund. Wenn der Steuermann ihn nach seinem Quadranten schickt und er unterwegs den Kapitän trifft, befiehlt ihm der, Kalfaterwerg zu holen; und während er nach einem Tauende sucht, kommt ein Matrose, möchte wissen, was zum Teufel er da zu suchen hat, und jagt ihn nach dem Vorderkastell. Nun ist es auf See unbedingte Vorschrift, immer den letzten Befehl zu befolgen. Der arme Kerl wagt nicht zu widersprechen, rennt ganz verwirrt hin und her, weiß nicht, was er tun soll, und bekommt zuletzt Schläge und Püffe von allen Seiten. Wenn er nicht gefragt wird, darf er den Mund nicht öffnen, und selbst dann täte er besser, zu schweigen. Wehe ihm, wenn er einen Witz macht, denn er wird ihm schlimm heimgezahlt. Die Witze, die andere auf seine Kosten machen, muß er schweigend dulden. Wehe ihm, wenn er bei den Mahlzeiten auch nur einen Blick auf die Fleischback wirft, ehe die anderen sich bedient haben. Jede Schuld, zu der der wirkliche Täter sich nicht bekennen will, muß er auf sich nehmen, er ist der »Niemand«, der zu Land alles getan hat.

Da er sich jämmerlich und elend fühlt, vernachlässigt er sein Äußeres. Herzlos, wie die Matrosen sind, schenken sie ihm nichts; kaum heißt es, er ist unreinlich, so wird er nach den Leespeigaten geschleppt, nackt ausgezogen und gründlich gesäubert. Vergeblich heult er um Gnade, vergeblich schreit er nach dem Kapitän.

Solch eine armselige Landratte war Tauendchen und vielleicht die jämmerlichste, die mir begegnet ist. Ein verlassenes und verkümmertes Geschöpf mit einer angeborenen Jammervisage, fahl und spitz, ohne die Runzeln des Alters und ohne die Frische der Jugend; man hätte nicht sagen können, ob er fünfundzwanzig oder fünfzig Jahre alt war.

In seinen besseren Tagen war er Bäckergeselle in London in der Gegend von Holborn gewesen; des Sonntags hatte er einen blauen Rock mit Metallknöpfen getragen, den Nachmittag in der Kneipe verbracht, sein Bier getrunken und seine Pfeife geraucht, als ein freier Mann. Da redete irgendein geschäftiger alter Narr ihm vor, ein tüchtiger Kerl müsse nicht in London sitzenbleiben, sondern nach Australien gehen, das sei das gelobte Land. Und an einem Unglückstag schiffte er sich ein.

Mit einem kleinen Kapital kam er nach Sydney, arbeitete hart und verdiente Geld. Nun nahm er ein Weib, das weder seinem Herzen noch seiner Tasche gut tat und zuletzt mit seiner Ladenkasse und seinem Vorarbeiter durchging. Tauchen stieg in die Kanne und besoff sich; beim fünften Glas beschloß er, sich umzubringen und führte es aus: am nächsten Tag verdingte er sich auf der »Julia«.

Es wäre dem ehemaligen Bäcker vielleicht besser gegangen, wenn sein Herz nicht so weich und ungar gewesen wäre. Auf jedes freundliche Wort fiel er hinein. Zwei oder drei, die dies heraus hatten, zogen ihn auf, wenn die bissigsten und ungemütlichsten alten Seebären daneben saßen. Zum Beispiel: die Freiwache ist eben geweckt worden und sitzt beim Frühstück; Tauchen sitzt traurig in einer Ecke und schafft gleichfalls. Matrosen, die eben aus dem Schlaf geweckt wurden, sind keine Engel; niemand spricht ein Wort, alle sitzen verbissen und unrasiert da und kauen ihr Hartbrot. Da kommt mit freundlichem Gesicht, das Zinngeschirr in der Hand, Schwindel-Jack durch das Logis und setzt sich neben die Landratte.

»Ein hartes Brot, das, Tauchen,« fängt er an, »besonders für einen, der bessere Tage gesehen und in London gelebt hat. Wenn du jetzt in Holborn wärst, Tauchen, was würdest du frühstücken?«

»Frühstücken!« ruft Tauchen begeistert. »Red' nicht davon!«

»Was hat der Kerl?« knurrt ein alter Seebär und sieht sich grimmig um.

»Oh, nichts, nichts«, sagt Schwindel-Jack und flüstert Tauchen zu: »Sprich leiser!«

»Also,« sagt der, und seine Augen leuchten wie Laternen, »also, dann würd' ich zu Mutter Molly gehen, die, was die großen Semmeln macht; dort geh' ich hin und setz' meinen Fuß auf den Kaminvorsatz und verlang zuerst meinen Krug Braunes.«

»Und weiter, Tauchen?«

»Und weiter, Schwindelchen,« fährt der arme Kerl, der ganz warm wird, fort, »dann dreh ich mich mit dem Sessel um und ruf die Betty; das ist das Mädel, das die Kunden bedient. ›Betty, mein Kind,‹ sag' ich, ›heut siehst du wieder reizend aus; bring mir mal eine ordentliche Portion Speckschnitten mit Eier, Betty, mein Schatz,‹ sag' ich; ›und dann möcht' ich noch eine Maß Weißbier und drei schöne heiße Semmeln, und Butter, ja und eine Portion Käs', und dann, Betty, möcht' ich noch‹ . . .«

»Eine Portion Haifisch, verfluchter Hund!« brüllt der schwarze Daniel, und der unglückliche kleine Kerl wird über Koffer und Kisten auf Deck gepufft.

Ich war immer gut gegen das arme Tauchen, wo ich irgend konnte, und er hing sehr an mir.

 


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