Hermann Melville
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Hermann Melville

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Vierundvierzigstes Kapitel

Der Klang des Tuchklöppels ist in den Tälern von Taheiti längst verstummt. Nur zur Strafe wird das Tuchmachen noch auferlegt. Früher verbrachten die Mädchen die Vormittage damit, wie unsere Damen am Stickrahmen; jetzt leben sie träge dahin; allerdings nähen die meisten ihre Kleider selbst, aber dazu braucht es nur ein oder zwei Stiche. Die Damen der Mission lehren sie nähen.

Der »Keihi weihenih«, der Unterrock, ist nichts als ein Streifen weißer Baumwolle oder Kattuns, der die Figur vom Gürtel bis zu den Füßen lose umhüllt. Er wird meistens einfach aufgesteckt oder die beiden oberen Enden zusammengebunden, gerät daher auch leicht in Unordnung und läßt sich sehr kokett tragen. Über dem Keihi tragen sie eine Art losen weiten Gewandes, das vorn offen ist und lässig übergeworfen wird. Dazu schreckliche Hüte, Strohbündel, die etwa in Form einer Kohlenschippe geflochten sind und aufrecht auf den Kopf gesteckt werden, während ein oder zwei Ellen roten Bandes wie die Schnüre hinter einem Drachen flattern. Sie werden zwar von den Eingeborenen verfertigt, aber die Frauen der Missionen sollen das Schrecknis eingeführt haben. Strohflechten ist eine der wenigen Arbeiten, die von den höheren Klassen noch betrieben werden. Übrigens trägt kein junges Mädchen diese Hüte; sie überlassen es ihren Müttern, sich so zu verunstalten.

Die Männer suchen sich europäisch zu kleiden, haben aber keine Ahnung von den Beziehungen, die zwischen den einzelnen Teilen unserer Anzüge bestehen. Wer eine Jacke hat, trägt darum noch keine Hose, und ein runder steifer Hut und ein Lendenschurz gehen sehr wohl zusammen. Der junge Matrose, zu dem Kulu übergegangen war, hatte ihm eine alte zottige Pelzjacke geschenkt, die er bis zum Kinn zugeknöpft trug und in der er in tropischer Hitze stolz spazieren ging. Der lange Doktor, der ihn traf, vermutete, daß er eine Schwitzkur machte.

Ein unverheirateter Freund Kapitän Bobs erfreute sich des Besitzes eines vollständigen, europäischen Anzugs, in dem er viele Damenherzen eroberte. Da er militaristische Neigungen hatte, zierte er den Rock mit einem scharlachroten Flecken, den er vorn aufnähte, und brachte an den verschiedensten Stellen Metallknöpfe mit Regimentsnummern an, die er Marinesoldaten auf Urlaub, als sie betrunken waren, heimlich abgeschnitten hatte. Da die Jacke ihm viel zu eng war, standen seine Ellbogen ab wie bei einem Sonntagsreiter, und seine strammen Schenkel füllten die engen Hosenbeine derart aus, daß bei jedem Schritt die Nähte zu platzen drohten.

Es herrscht keine bestimmte Mode mehr auf Taheiti, und oft tragen sie die Kleidung ihrer Väter in der ungeschicktesten Weise, um sie ihrem neuen, durch die Bewunderung alles Europäischen verdorbenen Geschmack anzupassen.

Aber so lächerlich viele von ihnen heute in europäischer Kleidung aussehen, so vortrefflich stand ihnen ihre Nationaltracht, die für unverdorbene Augen durchaus anständig und dem Klima völlig entsprechend war. Die kurzen Röckchen aus farbigem Tappa, die quastenbesetzten Gürtel und all die anderen Kleidungsstücke, die man früher trug, sind heute als unanständig vom Gesetz verboten. Warum den Frauen die Blumenkränze und die Halsketten aus Blüten gleichfalls untersagt sind, habe ich nie begriffen. Offenbar weil sie mit vergessenen heidnischen Gebräuchen zusammenhingen. Desgleichen ist den Eingeborenen viel unschuldiger Zeitvertreib verboten. In alten Zeiten hatten sie athletische Spiele, wie Ringen, Wettlauf, Speerwerfen und Bogenschießen. In all diesen Übungen brachten sie es zu hoher Vollkommenheit, und es wurden große und glänzende Festspiele veranstaltet. Sonst pflegten sie täglich zu tanzen, Fußball zu spielen, Drachen steigen zu lassen, Flöte zu blasen und ihre alten Lieder und Balladen zu singen. All das ist heute bei Strafe verboten und nun auch schon solange außer Gebrauch, daß das meiste vergessen ist.

Ebenso wurde das »Opeio«, das Brotfruchterntefest, abgeschafft, obwohl nach der Schilderung, die Kapitän Bob mir davon gab, nichts daran unsittlich war. Jede Tätowierung ist durch ein strenges Gesetz verboten. Daß die Eingeborenen diese Abschaffung ihrer nationalen Gebräuche und Feste nicht gutwillig hinnahmen, geht schon aus der häufigen Verletzung der Verbote hervor; besonders die »Hivars«, die Tanzfeste, werden viel im geheimen gefeiert.

Gewiß hatten die Missionare die beste Absicht, als sie die Taheitier derart entnationalisierten, aber da ihnen keine andern Unterhaltungen an Stelle derer geboten wurden, die ihnen genommen waren, versanken die Taheitier, die mehr als andere Stämme solchen auffrischenden Zeitvertreibs bedurften, in Gleichgültigkeit und Trägheit, oder sie geben sich sinnlichen Genüssen hin, die tausendmal schlimmer und verderblicher sind, als all die Spiele und Feste, die im Tempel von Teni gefeiert wurden.

 


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