Hermann Melville
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Hermann Melville

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Dreißigstes Kapitel

Ich war zu einer politisch sehr interessanten Zeit auf die Insel gekommen und hörte von den Eingeborenen viel darüber. Manches erfuhr ich bei einem späteren Besuch sowie aus verläßlichen Berichten, die ich seither in der Heimat erhielt.

Die Franzosen hatten schon wiederholt vergeblich versucht, eine römisch-katholische Mission auf der Insel einzurichten. Die Missionare wurden verspottet und beschimpft; manchmal griffen die Eingeborenen zur Gewalt, und das Ende war jedesmal, daß jene die Insel wieder verlassen mußten. Einmal wurden zwei Geistliche, Laval und Gaset, von den Eingeborenen angegriffen und mißhandelt und zuletzt an Bord eines kleinen Handelsschoners gebracht, der sie auf der wilden Wallis-Insel, zweitausend Meilen westlich von Taheiti, ans Land setzte. Daß die englischen Missionare ihre Verbannung guthießen, leugnen sie selber nicht; ich hörte auch wiederholt, daß sie die Eingeborenen zu ihren Gewalttätigkeiten aufgehetzt hatten. Jedenfalls hätten sie bei ihrem unbegrenzten Einfluß auf die Eingeborenen sie leicht hindern können, wenn sie es gewollt hätten.

Dieses Beispiel trauriger Unduldsamkeit der protestantischen Missionare ist leider weder das einzige noch das schlimmste; ich will hier nicht weiter darauf eingehen; neuere Reisende haben genug darüber berichtet. Auch ist das Verhalten der Missionare auf den Südsee-Inseln in letzter Zeit viel besser geworden.

Das Verfahren gegen diese beiden Geistlichen war der wesentliche und jedenfalls der einzige gerechtfertigte Grund, aus dem Du Petit-Thouars Genugtuung verlangte, und führte schließlich dazu, daß er sich der Insel bemächtigte. Er hatte sich auch darüber beschwert, daß die Flagge des französischen Konsuls Merenhout wiederholt beschimpft und das Eigentum eines französischen Ansiedlers von der Regierung gewaltsam weggenommen worden war. Im letztgenannten Fall waren die Eingeborenen durchaus im Recht gewesen: das Gesetz gegen den Handel mit geistigen Getränken, das wiederholt aufgehoben und wieder erneuert wurde, war damals gerade in Kraft, und da auf dem Grundstück eines gewissen Victor, der ein ganz gemeiner und schuftiger Abenteurer aus Marseille war, ein größerer Vorrat von geistigen Getränken gefunden wurde, erklärten die Taheitier ihn für beschlagnahmt.

Für diese und andere angebliche Übergriffe hatten die Franzosen eine große Geldentschädigung – 10 000 Dollar – gefordert, und da die Staatskasse sie nicht leisten konnte, hatten sie die Insel sogleich besetzt und einen Vertrag geschlossen, der den Häuptlingen auf dem Geschützdeck der Fregatte diktiert worden war. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß auch ohne diese Formalität der Sturz der Pomaris in den Tuilerien beschlossen worden war.

Nachdem der Konteradmiral ein sogenanntes Protektorat errichtet hatte, segelte er ab. Er ließ einen Herrn Bruat als Gouverneur zurück; der Konsul Merenhout wurde zum königlichen Kommissar ernannt, und zwei Zivilbeamte, Reine und Carpegne, als Mitglieder des Staatsrats dem Gouverneur zur Seite gestellt. Militär wurde damals nicht gelandet, sondern erst mehrere Monate später. Gegen Reine und Carpegne hatten die Eingeborenen persönlich nichts einzuwenden, aber Bruat und Merenhout waren ihnen tief verhaßt. Der Gouverneur suchte die Königin einzuschüchtern, legte die Hand an den Degen, bedrohte sie mit der Faust und fluchte heftig, um sie gefügig zu machen. »O König eines großen Volkes,« schrieb Pomari in ihrem Brief an Louis Philippe, »rufe diesen Mann zurück; ich und mein Volk können seine Übeltaten nicht länger ertragen. Er ist ein schamloser Mensch.«

Nach der Abfahrt des Admirals legte sich die Aufregung der Eingeborenen zwar nicht vollständig, aber es kam doch zunächst nicht zu offenen Gewalttätigkeiten. Die Königin war nach Imio geflohen; und die Streitigkeiten zwischen den einzelnen Häuptlingen, sowie das unkluge Verhalten der Missionars ließen eine Einigung über ein gemeinsames Vorgehen nicht zustande kommen. Die große Menge des Volks wie die Königin bauten zuversichtlich auf ein rasches Eingreifen der englischen Regierung, denn sie hatten viele Verbindungen mit England, das auch ihre Unabhängigkeit wiederholt feierlich gewährleistet hatte. Die Missionare boten dem französischen Gouverneur ganz offen Trotz; kindisch prophezeiten sie, daß bald Flotten und Armeen aus England, kommen würden. Was bedeutete ein Fleckchen Erde wie Taheiti für die ungeheuren Interessen Frankreichs und Englands? Die englische Regierung schickte eine Protestnote, die französische eine Antwortnote, und dabei blieb es. Einmal in ihrem langen streitsüchtigen Leben standen der heilige Georg und der heilige Dionys auf gutem Fuß, und sie hatten keine Lust, wegen Taheitis die Klinge zu kreuzen.

Während meines Aufenthalts auf der Insel war, soweit meine Beobachtungen reichten, kaum zu merken, daß ein Regierungswechsel stattgefunden hatte. Die Gesetze, soweit solche vorhanden waren, blieben die gleichen, die Missionare wurden nicht belästigt, und überall herrschte verhältnismäßige Ruhe. Aber ich hörte die Eingeborenen öfters auf die Franzosen schimpfen – die, nebenbei bemerkt, in ganz Polynesien nicht beliebt sind –, und bitter bedauerten sie, daß die Königin nicht gleich von Anfang an Widerstand geleistet hatte. Im Hause des Häuptlings Adia wurde wiederholt die Frage erörtert, ob die Insel in der Lage sei, sich der Franzosen zu erwehren; die Zahl der waffenfähigen Krieger und der Musketen wurde abgeschätzt, die Befestigung der Anhöhen, die Papiti beherrschten, erwogen. Ich sah in alledem Zeichen des Grolls über die Vergewaltigung, die sie erduldet hatten, nicht einen entschlossenen Willen zum Widerstand. Den tapferen, wenn auch vergeblichen Kampf, der so bald auf meine Abreise folgen sollte, hatte ich nicht erwartet.

Nach meinem ersten Besuch hatte Bruat als Gouverneur und Oberrichter die Insel, die vordem in neunzehn Distrikte eingeteilt war, an deren Spitze je ein eingeborener Häuptling stand, in vier Provinzen geteilt, und hatte zu Vorstehern die abtrünnigen Häuptlinge Kitoti, Teti, Utamai und Pareta eingesetzt. Er hatte jedem tausend Dollar bezahlt, um sich ihre Unterstützung bei der Ausführung seiner schlimmen Pläne zu sichern.

Bei Marhenar auf der Halbinsel Tarebu floß das erste Blut in regelrechtem Kampf. Leute, die zu einem der französischen Kriegsschiffe gehörten, hatten Frauen am Ufer fortgeschleppt. Die Eingeborenen fochten verzweifelt und töteten etwa fünfzig Franzosen; sie selbst verloren etwa neunzig Mann. Die französischen Matrosen und Marinesoldaten, die, wie berichtet wurde, völlig betrunken waren, gaben keinen Pardon. Die Überlebenden retteten sich durch die Flucht in die Berge. Es folgten die Gefechte von Hararparpi und Farrarar, in denen die Franzosen nur mäßige Erfolge errangen. Bald nach dem Gefecht von Hararparpi wurden drei Franzosen in einem Paß überfallen und von den erbitterten Eingeborenen niedergemacht. Einer davon war Lefevre, ein berüchtigter Gauner und Spion, den Bruat einem Major Fergus – der Pole gewesen sein soll – als Führer mitgegeben hatte, um das Versteck von vier Häuptlingen zu finden, die der Gouverneur gefangennehmen und hinrichten lassen wollte. Hierdurch wurde der Haß auf beiden Seiten noch mehr entflammt.

Damals veranlaßte Bruat den verräterischen Häuptling Kitoti, der sein gefügiges Werkzeug war, im Tal von Peri ein großes Fest zu geben, zu dem er alle seine Landsleute einlud. Der Gouverneur wünschte so viele als möglich für sich zu gewinnen; er lieferte Wein und Schnaps im Überfluß, und die natürliche Folge war, daß beim Fest alle sich viehisch betranken. Immerhin hatten die Eingeborenen vorher bemerkenswerte Reden gehalten. So auch ein alter Krieger, der einst an der Spitze des berühmten Eioreh-Bundes gestanden. »Dies ist ein sehr gutes Fest,« sagte der trunkene alte Mann, »auch der Wein ist sehr gut, aber ihr übelgesinnten Wih-wihs (Franzosen) und ihr falschherzigen Männer von Taheiti, seid alle sehr schlecht.«

Nach den letzten Nachrichten, die ich bekommen habe, weigert sich die Mehrzahl der Insulaner noch heute, die französische Herrschaft anzuerkennen; was geschehen wird, läßt sich schwer sagen; aber jedenfalls müssen diese Kämpfe die endgültige Vernichtung des Stammes beschleunigen.

Zugleich mit den wenigen Beamten, die Du Petit-Thouars auf der Insel einsetzte, blieben auch mehrere französische Geistliche dort. In einem Artikel des Vertrages war ihnen die freie Ausübung ihres Berufes unter den stärksten Schutzmaßnahmen gewährleistet. Niemand durfte sie bei ihrer Tätigkeit zur Ausbreitung ihres Glaubens stören; aber es war auch niemand verpflichtet, sie ihnen zu erleichtern, noch weniger ihnen etwa ein Mittagessen zu geben. Sie hatten wohl Geld genug, aber für die Eingeborenen war es »tabu«, und während einiger Stunden nach der Ankunft der französischen Priester rührten sie es wirklich nicht an. Diese galten für Sendlinge des Papstes und des Teufels; welcher Insulaner hätte gewagt, nicht nur sein Seelenheil zu gefährden, sondern auch Verderben auf seine Brotfruchternte heraufzubeschwören, indem, er mit ihnen Umgang pflog!? Am ersten Tag mußten die Geistlichen tatsächlich Kokosnüsse im Hain auflesen; aber ehe es Abend wurde, fanden sie in einem nahen Hause christliche Gastfreundschaft für den genauen Gegenwert in harten Dollars.

Zweifellos war die Haltung der englischen Missionare unhöflich, die den katholischen Geistlichen den Aufenthalt auf diese Weise zu verleiden suchten; aber schließlich hatten die letzteren sich grundlos in diese unangenehme Lage gebracht. Sie hätten viel besser getan, sich auf einer der noch unbekannten Inseln im Stillen Ozean niederzulassen, als sich einem Volke aufzudrängen, das sich bereits zu einer anderen christlichen Sekte bekannte.

 


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