Hermann Melville
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Hermann Melville

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Achtes Kapitel

Die Nacht, in der wir Hannamenu verließen, war sternenhell und so warm, daß, wenn die Wache abgelöst wurde, die meisten, statt nach unten zu gehen, sich beim Vormast hinwarfen.

Gegen Morgen stieg ich, da die Hitze im Logis unerträglich wurde, an Deck und fand alles still. Der Passatwind blies lind und stetig in die Segel, und das Schiff lief immer weiter in die ungeheure Leere des westlichen Stillen Ozeans hinaus. Die Wache schlief; selbst der Mann am Ruder war eingenickt, und sogar der Steuermann lehnte mit verschränkten Armen am Ankerspill.

Verträumt lehnte auch ich mich über die Reling und dachte, was für seltsame Wesen die Tiefe bevölkern mochten, über die wir hinfuhren.

Ein grauer Schatten fiel über die sich sanft hebenden und senkenden Wogen. Es war die Dämmerung, und bald blitzten die ersten Strahlen des Morgens an dem einen Ende des nächtlichen Gewölbes auf. Ein Feuerfunken ruhte einen Augenblick am äußersten Rande des Meeres, dann stand die blutrote Sonne voll und rund am westlichen Horizont, und der lange Meerestag begann.

Sobald das Frühstück vorüber war, ging man zunächst an die Taufe Weimontus, der noch trübselig genug aussah. Über den Namen herrschte Meinungsverschiedenheit; die einen wollten ihn »Sonntag« nennen, weil wir ihn an dem Tag an Bord genommen hatten, andere »Achtzehnhundertzweiundvierzig« nach dem Jahr des Herrn, während der Doktor meinte, er müßte seinen Namen »Weimontu-Hi« behalten, der – nach seiner, des Doktors, Behauptung – in der bilderreichen Sprache der Insel bedeutete, daß er hineingelegt worden war. Der Steuermann machte der Erörterung ein Ende, indem er dem armen Kerl einen Eimer Salzwasser über den Kopf schwappte und ihm den nautischen Namen »Luv« verlieh.

Obschon auf sein erstes Heimweh eine gewisse Lustigkeit folgte, wurde Weimontu bald wieder traurig. Ich sah ihn oft allein für sich auf der Back kauern, während seine merkwürdigen Augen unruhig funkelten und jeder leisesten Bewegung der anderen folgten. Wie oft mag er an seine Bambushütte gedacht haben, wenn sie von Sydney und seinen Tanzlokalen erzählten!

Niemand wußte, wohin wir eigentlich fuhren, und den meisten schien es vollkommen gleichgültig. Wir wurden vom Winde über eine glatte See getrieben und hatten nichts zu tun, als das Schiff zu steuern und den Ausguck in den Toppen abzulösen. Die Kranken hatten sich um zwei oder drei vermehrt; die Ausreißer von der Insel schienen die Luft dort auch nicht vertragen zu haben. Auch der Kapitän hatte einen Rückfall und wurde sehr ernstlich krank.

Die dienstfähigen Leute wurden in zwei kleine Wachen eingeteilt; an der Spitze der einen stand der Steuermann, an der der anderen der Maori, da er als Harpunier die Stelle des zweiten Offiziers einnahm, der flüchtig geworden war.

An die Walfischjagd war bei diesem Stand der Dinge nicht zu denken, aber aller Wahrscheinlichkeit entgegen behauptete Jermin, daß die Invaliden demnächst gesund werden müßten. So liefen wir denn stetig nach Westen, immer denselben mattblauen Himmel über uns. Wir schienen immer an der gleichen Stelle zu sein, und jeder neue Tag glich dem vorhergehenden. Wir begegneten keinem Schiffe, erwarteten auch keinem zu begegnen; außer den Delphinen und anderen Fischen, die wie junge Hunde um den Bug spielten, war weit und breit nichts Lebendiges zu sehen. Nur dann und wann flog der graue Albatros, der in diesen Wassern heimisch ist, mit seinen ungeheuren Schwingen schlagend, über uns hin und schwebte schweigend wieder fort, wie von einem Pestschiff. Und manchmal umkreisten uns ganze Schwärme von Tropikvögeln mit ihrem schrillen Pfeifen.

So blieb unser Reiseziel ein Geheimnis; wir fuhren über Wasser, in die nur selten ein Schiff kam; das gab dieser Fahrt für mich einen unvergeßlichen Reiz. Aus begreiflichen Gründen fährt man in der Südsee fast immer auf den bekannten Strecken. Daher kommt es, daß Forschungsreisende sowie abenteuernde Walfischjäger immer noch gelegentlich neue Inseln entdecken und daß große Teile des Ozeans noch unerforscht sind. Es gibt Riffe, Sandbänke, selbst kleine Inselgruppen, die nur ungenau in den Karten verzeichnet sind und deren Existenz zweifelhaft ist. Daß ein Schiff, wie das unsere, in diese Regionen eindrang, war für jemanden, der überhaupt dachte, immerhin beunruhigend. Oft fiel mir ein, was ich von Schiffen gehört hatte, die um Mitternacht mit vollen Segeln, während die Mannschaft schlief, auf unbekannte Felsen liefen, um so mehr, als wir so wenig Leute hatten und von Disziplin an Bord keine Rede war, auch unsere Wachen äußerst sorglos waren. Die Leute lebten gedankenlos dahin; jeden Abend ging die Sonne vor unserem Klüverbaum unter, und wir fuhren weiter.

Weshalb der Steuermann aus unserem Ziel ein solches Geheimnis machte, habe ich nie erfahren. Die Geschichten, die er der Mannschaft erzählte, glaubte ich nicht. Es ginge nach einem herrlichen Jagdgebiet, das andere Walfischjäger kaum kannten und das er auf einer früheren Fahrt, als er Kapitän einer kleinen Brigg gewesen war, entdeckt hatte. Das Meer wimmelte dort von großen Walfischen, die so zahm waren, daß man nur auf sie zu steigen und sie zu töten brauchte; sie waren zu erschreckt, um sich zu wehren. Ein wenig leewärts sollte eine kleine Inselgruppe liegen, reich an Früchten und von einem Stamm bewohnt, der noch nicht durch den Verkehr mit Fremden verdorben war. Dort sollten wir uns dann gründlich erholen und mit frischen Vorräten versorgen. Und damit niemand die Länge und Breite der Gegend, nach der wir fuhren, ausrechnen könnte, teilte uns Jermin nicht einmal mittags die Stelle mit, an der wir uns befanden, wie dies sonst auf fast allen Schiffen geschieht.

Um so besser sorgte er für die Kranken; der Doktor hatte ihm die Schlüssel des Arzneischrankes übergeben, und alle waren mit seiner Behandlung zufrieden. Pillen und Pulver wurden zumeist über Bord geworfen für die Fische; dafür erhielten die Leute Verschreibungen aus einem geheimnisvollen Fäßchen, dessen Inhalt mit Wasser aus der Tonne verdünnt wurde. Die Mixturen wurden auf dem Ankerspill zubereitet und in Kokosschalen, auf denen die Namen der Patienten standen, verabreicht. Ungleich anderen Ärzten nahm er seine Medizin auch selber, und man konnte ihre Wirkung bereits an ihm spüren, wenn er seine Krankenbesuche machte. Auch erhielt er seine Patienten bei guter Laune, denn er spann sein Garn stundenlang, wenn er bei ihnen saß.

Da ich, obwohl mein Zustand sich zu bessern begann, noch immer lahmte, tat ich, abgesehen davon, daß ich gelegentlich einen Turn am Ruder stand, keinen Dienst. Sonst verbrachte ich den Tag zumeist auf dem Vordeck mit dem langen Doktor. Ich las alle seine Bücher, so zerfetzt sie waren, darunter eine gelehrte Abhandlung über das gelbe Fieber. Er hatte auch einen Pack alter Zeitungen aus Sydney, und bald kannte ich die Adressen der meisten Geschäftsleute aus ihren Inseraten. Besonders die Redeblüten des Grundstückauktionators Stubbs waren höchst unterhaltend. Meine Intimität mit dem langen Gespenst brachte mir manchen Vorteil, auch abgesehen vom Vergnügen an seiner Gesellschaft. Die Mannschaft, die er mit seinen Witzen glänzend unterhielt, war ihm gut und hatte auch den größten Respekt vor ihm. Als sein besonderer Freund genoß ich die gleiche Achtung; wir hatten die Stellung von Ehrengästen im Logis und wurden bei den Mahlzeiten stets zuerst bedient.

Um uns bei den häufigen Windstillen die Zeit zu vertreiben, schnitzten wir uns mit einem Bordmesser ganz brauchbare Schachfiguren aus Holz; das Brett zeichneten wir auf einen Kistendeckel, auf dem wir beide rittlings saßen, wenn wir spielten. Um die Parteien zu unterscheiden, riß ich eine alte Halsbinde in kleine Stücke und band meinen Figuren schwarze Seidenschärpen um. Der Doktor meinte, es sei ganz erklärlich, daß sie Trauer trügen, da sie immer drei von vier Partien verlören. Die Mannschaft wurde aus dem merkwürdigen Spiel nicht klug; die geheimnisvollen Bewegungen der Figuren waren ihnen ebenso wunderlich als unerklärlich, und sie hielten uns zuletzt für ein paar Schwarzkünstler.

 


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