Hermann Melville
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Hermann Melville

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Siebenundsechzigstes Kapitel

Etwa am zehnten Tage der Hegira waren wir die Gäste Varvys, eines alten Einsiedlers, der ein paar Meilen von Telu wohnte. Etwa einen Steinwurf vom Strande entfernt, stand in einer tiefen Senkung ein phantastischer, moosbewachsener Fels. Er erhob sich wie eine Insel aus einem seichten Bach, der ihn umfloß. Eine knorrige »Aoa«, die den Stein mit ihren Wurzeln umfing, breitete über ihm ihr Laubdach aus; die elastischen Luftwurzeln, die von den größeren Ästen hingen, drangen in jede Ritze des Felsens ein, andere, die den Stein noch nicht erreicht hatten, bewegten sich wie Peitschenschnüre in der Luft.

Varvys Hütte, die mehr einem Hühnerstall aus Bambus glich, lag auf einer abgeplatteten Stelle; die Dachstange hatte er mit einem Ende auf eine Astgabel des Baumes gestützt, während ein gespaltener Zweig, der in einer Ritze steckte, das andere trug.

Obwohl wir ihn anriefen, merkte der Alte, der auf einem Stein kniete und im Bache Fische reinigte, unsere Ankunft doch erst, als der Doktor seine Schulter berührte; er sprang auf und starrte uns an, dann hieß er uns mit vielen ungeschlachten Gebärden willkommen und machte uns gleichzeitig klar, daß er taubstumm wäre. Er winkte uns einzutreten; wir taten es, warfen uns auf eine alte Matte und sahen uns um. Die schmutzigen Bambusse und die Kalebassen sahen nicht eben einladend aus, und der Doktor war dafür, weiter bis Telu zu marschieren, obwohl die Sonne bereits im Sinken war. Zuletzt entschlossen wir uns dennoch, zu bleiben. Nachdem er sich eine Weile in einem verfallenen Schuppen draußen zu tun gemacht hatte, erschien der Alte mit dem Abendessen. In der einen Hand hielt er einen flackernden Docht, in der anderen eine große flache Kalebasse mit spärlichen Lebensmitteln. Seine Augen gingen zwischen uns und der Schüssel hin und her, als wollte er sagen: Was sagt ihr nun, Jungens? Das ist ein Essen! Was? Aber weder die Fische noch die Rüben waren gut; es war eine traurige Mahlzeit. Als sie beendet und die Reste weggeräumt waren, verließ unser Wirt uns für einen Augenblick und kam mit einer Kalebasse von stattlicher Größe zurück; sie hatte einen langen, gebogenen Hals, die Öffnung war mit einem hölzernen Pfropfen verschlossen. Erdkrumen hafteten an ihr, als wäre sie eben ausgegraben worden. Unter seltsamen Gebärden und dem schauerlichen Gekicher der Stummen öffnete der Alte das Gefäß; dabei sah er sich vorsichtig um und wies auf den Krug. Wir wußten, daß berauschende Getränke den Eingeborenen streng verboten waren, und betrachteten den Alten mit Interesse. Er füllte eine Kokosnußschale, stürzte sie hinunter, füllte sie neu und reichte sie mir. Der Geruch war unangenehm und ich machte ein Gesicht; darüber geriet er in so große Erregung, daß ein Wunder geschah. Er riß mir den Becher aus der Hand und rief: »Ah, Karhauri sabbi li-li ina awa tih mehteh!«; das hieß ungefähr: »Was für ein Dummkopf von einem Weißen! Das ist ein herrliches Getränk!«

Wenn ihm ein Frosch aus dem Munde gesprungen wäre, wir hätten nicht erstaunter sein können. Einen Augenblick schien er selbst verwirrt; dann legte er geheimnisvoll den Finger auf den Mund und gab uns zu verstehen, daß er nur zeitweilig der Sprache beraubt war. Der Doktor fand die Sache sehr merkwürdig und wollte seinen Kehlkopf untersuchen, aber darauf ließ er sich nicht ein.

Unser Wirt war uns einigermaßen verdächtig geworden; wir vermuteten, daß seine gespielte Stummheit ihm bei seinem verbotenen Gewerbe zustatten kam. Um ihm zu Gefallen zu sein, nahmen wir einen Schluck von seinem »Awa tih«; es war ein grober Fusel und stark wie die Hölle. Wir fragten ihn, wie er dazu käme, worauf er freudestrahlend das Licht nahm und uns aus der Hütte führte. Wir folgten ihm in den Wald und kamen zu einem verfallenen Dachschuppen aus Baumzweigen; darunter lagen Haufen von welkem Laub und ein mächtiges schwerfälliges Gefäß mit weiter Öffnung, das rauh aus einem großen Stein gehöhlt war. Der alte Mann setzte das Licht in den Steinkrug und verschwand. Er kam mit einem großen breiten Bambusrohr und einem gegabelten Stock zurück, warf beides hin, zog unter Laub und Gerümpel einen rauhen Holzblock hervor, durch den ein Loch gebohrt war, und legte ihn auf den Krug. Dann pflanzte er den gegabelten Stock in einer Entfernung von etwa vier Fuß in den Boden, legte das eine Ende des Bambusrohrs darauf, steckte das andere in das Loch im Holzblock und setzte eine alte Kalebasse unter das entferntere Ende. Dann sah er uns schlau an, wies mit bewundernder Gebärde auf den ganzen Apparat und rief: »Ah, Karhauri, ina henna henna awa tih!« »So, weißer Mann, wird mein Branntwein gemacht!« Es war ein Destillationsapparat, wie ihn die Eingeborenen gebrauchen, und die Unordnung, in der alles lag, war offenbar eine beabsichtigte, um ihn vor Entdeckung zu schützen. Bevor wir den Platz verließen, nahm der Alte wieder alles auseinander und verbarg die Geräte.

Daß er uns sein Geheimnis enthüllte, war charakteristisch: der »Tuteh Aurihs« oder »Verächter der Missionare« nimmt an, daß alle Ausländer die Herrschaft der Missionare mißbilligen.

Er braute sein Getränk aus »Tih«; einer großen fasrigen Wurzel, ähnlich wie Yam, nur etwas kleiner. Im frischen Zustand ist sie außerordentlich herb, gebacken oder gesotten wird sie süß wie Zucker. Das »Tih« wird gekocht, mazeriert und in einen gewissen Gärungszustand gebracht, dann mit Wasser angerührt, und das Getränk kann destilliert werden.

Wir kehrten zur Hütte zurück, der Alte bot uns Pfeifen an; das lange Gespenst, dem der »Awa Tih« erst ebensowenig gemundet hatte wie mir, begann Geschmack daran zu finden, der alte Säufer leistete ihm Gesellschaft und der Doktor hatte bald einen Schwips. Man weiß, es gibt kein stärkeres Band des Wohlwollens und der Sympathie zwischen Männern, als wenn sie sich gemeinsam, betrinken, wenn es auch nur so lange hält, als der Zustand dauert. So saßen, auch Varvy und der Doktor in schöner Eintracht beisammen und machten nähere Bekanntschaft. Aus übergroßer Höflichkeit versuchte jeder in der Sprache des anderen zu sprechen; und die Folge war ein derartiges Frikassee von Vokalen und Konsonanten, daß man, auch ohne mitzutrinken, betäubt werden konnte.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, hörte ich den Doktor sich mit Grabesstimme für verloren erklären. Er saß, beide Hände an die Stirn gedrückt, da, und sein blasses Gesicht war noch bleicher als sonst. »Das schauderhafte Zeug ist mein Tod!« rief er. »In meinem Kopfe dreht sich alles – was soll ich nur machen, Paul? Ich bin vergiftet!«

Nachdem er einen Kräuterabguß getrunken, den unser Wirt ihm braute, und mittags eine leichte Mahlzeit genommen hatte, wurde ihm besser, und er war bereit weiter zu wandern. Als wir aufbrachen, fehlten die Stiefel und waren trotz allem Suchen nicht zu finden. Rasend vor Wut erklärte der Doktor, Varvy müsse sie gestohlen haben; angesichts seiner Gastfreundschaft hielt ich das für sehr unwahrscheinlich, obwohl ich nicht wußte, wer es sonst getan haben konnte. Der Doktor blieb dabei, daß, wer unschuldige Reisende mit »Awa Tih« zu vergiften vermochte, zu allem fähig wäre. Aber sein Wettern und unser Suchen waren gleich vergebens; die Stiefel waren fort. Wäre das nicht passiert und Varvys Schnaps nicht so schlecht, so würde ich allen Reisenden, die den Strand entlang nach Partuwei wandern, empfehlen, auf dem Felsen einzukehren, um so mehr, als der alte Herr dort gratis ausschenkt.

 


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