Hermann Melville
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Hermann Melville

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Vierzigstes Kapitel

Die »Pillenschachtel« wurde bisweilen auch zu anderen Zwecken verwendet. Wir machten Vergnügungsfahrten darin. Mitten im Hafen von Papiti liegt eine helle grüne Koralleninsel, die kaum zweihundert Schritt im Durchmesser hat und einen kreisrunden Palmenhain trägt. Auf viele Klafter im Umkreis ist das Wasser so flach, daß man weit hinauswaten kann. Es ist durchsichtig, und auf seinem Grunde sieht man Korallenpflanzen von jeder Farbe und Form: verzweigtes Gehörn, azurblaue Muscheln, wogende Halme wie gekörnte Stäbe und blaßgrüne Moose und Knospen. Stellenweise kann man durch stachlige Zweige auf schneeweißen Sandgrund sehen, aus dem kieselige Knollen hervorwachsen; zwischen ihnen kriechen seltsam gestaltete Geschöpfe, manche von Stacheln starrend, andere in leuchtende Panzer gehüllt, und da und dort runde Wesen, die über und über mit Augen besetzt sind.

Das Inselchen heißt Motu-Otu, und oft bin ich in hellen Mondnächten um Motu-Otu herumgefahren und habe von Zeit zu Zeit angehalten, um den Meeresgarten unter mir zu betrachten. Es gehörte der Königin, die dort eine Residenz hat; ein paar traurig aussehende Bambushäuser, die, vernachlässigt und verfallen, in einer Reihe zwischen den Bäumen liegen. Da die Insel den Hafen beherrscht, hat ihre Majestät sie befestigen lassen; das Ufer ist erhöht und nivelliert und mit einer Brustwehr aus behauenen Korallenblöcken versehen. Dahinter, in weiten Zwischenräumen, liegen rostige alte Kanonen von jeder Art und jedem Kaliber auf langen gebrechlichen Karren, die unter ihrem nutzlosen Gewicht einzusinken drohen. Zwei oder drei sind schon niedergebrochen, und die Rohre liegen halb begraben unter den Brettern. Einige der Kanonen sind vernagelt; sie müssen furchtbar für jeden sein, der sie abzufeuern versucht. Fast alle sind Geschenke, die Pomari zu den verschiedensten Zeiten von Kapitänen britischer Kriegsschiffe erhalten hat, arme, alte, zahnlose Kriegshunde, die hier verkommen, und die einst in großer Meute als die Schlachthunde Altenglands ihr schweres Gebell ertönen ließen. Die Insel regte meine Phantasie an; ich schwor mir, sie zu betreten, obwohl eine alte Schildwache mich im Mondlicht mit einer unförmigen Muskete bedrohte. Da mein Kanu kaum drei Zoll Wassertiefe hatte, konnte ich bis dicht an die Brustwehr heranrudern, ohne den Grund zu streifen, aber jedesmal lief der alte Mann auf mich los und stieß mit seiner Muskete vor, jedoch ohne auf mich anzulegen. Da ich glaubte, er wolle mich nur schrecken, trieb ich mein Kanu zuletzt an die Mauer und beschloß hinüberzuspringen. Es war der unbedachteste Schritt meines Lebens. Nie war eine Nuß in größerer Gefahr, zerschmettert zu werden, als damals mein Schädel; der alte Wächter holte mit dem Kolben zu einem furchtbaren Streich aus, dem ich eben noch ausweichen konnte, dann stieß ich rasch ab und paddelte davon. Der Mann muß stumm gewesen sein, denn er sprach kein Wort; er grinste nur; mit seinem weißen Baumwollkleide glitt er durch den Mondschein wie ein Inselspuk. Ich versuchte den Angriff im Rücken, aber er lief um die Insel herum, und wo ich immer erschien, hielt er mir die Muskete entgegen. Schließlich zog ich mich zurück, und mein Gelübde ist bis heute unerfüllt geblieben.

Wenige Tage, nachdem ich vor den Mauern von Motu-Otu zurückgeschlagen worden, erlebte ich eine merkwürdige Diskussion zwischen einem der intelligentesten Eingeborenen, einem Manne namens Arhitu, und unserem kundigen Thebaner, dem Doktor. Es handelte sich darum, ob ein Eingeborener den europäischen Sonntag feiern dürfe. Als nämlich vor mehr als einem halben Jahrhundert die Missionare mit dem guten Schiff »Duff« auf Taheiti landeten, da waren sie über das Kap der Guten Hoffnung gekommen und hatten, immer nach Osten segelnd, einen kostbaren Tag ihres Lebens verloren, da sie der Zeit von Greenwich um vierundzwanzig Stunden vorausgekommen waren. Infolgedessen finden die Schiffe, die, wie das heute meist der Fall ist, um Kap Horn kommen, daß es auf Taheiti Sonntag ist, wenn ihrer Ansicht nach Sonnabend sein müßte. Und da man das Logbuch nicht ändern kann, so feiern die Schiffsleute ihren Sabbat einen Tag später. Für die Eingeborenen ist dies höchst verwirrend, aber wie soll man es ihnen erklären? Ich sah einmal einen alten Missionar den Versuch machen; ich verstand zwar von seinen Worten nur wenig, begriff aber seine Gebärden. »Ihr seht diesen Kreis«, sagte er und beschrieb mit seinem Stock einen großen Kreis auf dem Boden; »gut. Ihr seht diesen Fleck,« und er bezeichnete eine Stelle in der Peripherie, »gut, das ist Biriteni (England), und ich fahre jetzt rundherum nach Taheiti – da fahre ich«, er folgte dem Kreis, »und so geht die Sonne«, er nahm einen anderen Stock und hieß einen säbelbeinigen Eingeborenen in der entgegengesetzten Richtung den Kreis entlang gehen. »So seht ihr, wie wir voneinander weggehen – und da bin ich in Taheiti,« hier hielt er an, »und nun seht, wo Säbelbein ist!«

Aber die Umstehenden behaupteten fest und steif, daß Säbelbein oben in der Luft sein müsse, denn sie wußten aus der Überlieferung, daß die »Duff« angekommen war, als die Sonne hoch im Mittag stand; und der alte Herr, der zweifellos ein braver Mann, aber kein Astronom war, mußte die Sache aufgeben.

Arhitu, der Kasuist, war ein frommer Christ, der den Sabbat gewissenhaft hielt, aber in anderen Dingen dachte er liberaler. Da er hörte, daß ich eine Art »Mikoneri« war, womit er diesmal einen Mann meinte, der lesen und schreiben konnte, so meinte er, ich könnte ihm die kleine Gefälligkeit erweisen und ein paar Zeugnisse für ihn fälschen; er wollte mir dafür ein gutes Mittagessen, aus Schweinebraten und indischen Rüben bestehend, geben. Er pflegte nämlich an Bord der Schiffe zu gehen, um Wäsche zu übernehmen, und die Konkurrenz war groß, da selbst die stolzesten Häuptlinge es nicht verschmähen, persönlich Kunden zu werben, wenn sie auch die Arbeit von ihrer Dienerschaft ausführen lassen. Ein Matrose hatte ihm geraten, sich Papiere zu verschaffen, in denen die Kapitäne verschiedener Kriegsschiffe und Kauffahrer, die die Insel angelaufen hatten, ihn empfahlen und bezeugten, daß er feine Wäsche besonders gut behandle. Da er mich erst seit zwei Stunden kannte, hielt ich dieses Ansinnen für eine ungewöhnliche Frechheit und sagte es ihm auch. Es war ihm jedoch nicht beizubringen, daß die Sache nicht ganz anständig wäre, und so beschloß ich, nicht beleidigt zu sein, sondern beschränkte mich auf die Ablehnung.

 


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