Hermann Melville
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Hermann Melville

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Achtzehntes Kapitel

Nach längerer Fahrt in den Hafen einzulaufen, ist immer eine Freude und erfüllt den Seemann mit frohen Erwartungen. Für uns wurde die Bedeutung des Ereignisses noch durch besondere Umstände erhöht. Seitdem wir landwärts steuerten, hatten wir unsere Aussichten oft erörtert. Viele meinten, daß, wenn der Kapitän das Schiff verlassen sollte, die Mannschaft an die Artikel des Heuervertrags nicht länger gebunden wäre. Wenigstens war dies die Meinung unserer Juristen der Back; ob das Seegericht sie gutgeheißen hätte, scheint allerdings fraglich. Jedenfalls aber waren Schiff und Mannschaft in einem Zustand, daß ein langer Aufenthalt und viele Urlaubstage in Taheiti mit Sicherheit zu erwarten schienen.

Alles war daher in guter Laune. Die Kranken, denen es täglich besser ging, seitdem wir den Kurs geändert hatten, waren an Deck; sie lehnten an den Schanzen, zum Teil lebhaft erregt, während andere schweigend den wunderbaren Anblick Taheitis genossen.

Ganz anders ging es auf dem Achterdeck zu. Der Maori stand, wie immer, mit finsterer Miene da; während Jermin in tiefen Gedanken auf und ab ging, hier und da einen Blick luvwärts tat oder in die Kajüte eilte und rasch wieder herauskam.

Wir hatten alle leichten Segel beigesetzt, als würben wir um den kosenden Wind, und hielten unseren Kurs, bis wir durch das Glas des Doktors Papiti, die Hauptstadt Taheitis, sichteten. Wir konnten auch mehrere Schiffe im Hafen liegen sehen, eines davon groß und schwarz und durch die zwei Geschützreihen als Fregatte kenntlich. Es war die »Reine Blanche«, die von den Marquesas kam und auf der der Konteradmiral Du Petit-Thouars seine Flagge gehißt hatte. Kaum hatten wir sie erkannt, als der Donner ihrer Kanonen über das Wasser scholl. Sie feuerte Salutschüsse ab, und zwar, wie sich später herausstellte, zu Ehren eines Vertrages, oder besser, der erzwungenen Abtretung Taheitis an die Franzosen, die an diesem Morgen erfolgt war. Kaum war die Kanonade zu Ende, als Jermin ein so unerwartetes Kommando gab, daß alle auffuhren: »Hol' über die Großrahe!«

»Was soll das heißen?« schrien die Leute, »laufen wir nicht in den Hafen?«

»Nach achtern gehen! Und keine Widerrede!« rief der Steuermann; im nächsten Augenblick flog die Großrahe herum und, mit dem Klüverbaum seewärts, lag die »Julia« still. Wir alle sahen betroffen drein: was stand bevor?

Jetzt erschien der Steward mit einer Matratze, die er im Hinterende des Kapitänsbootes ausbreitete; ein paar Koffer und andere Sachen, die seinem Herrn gehörten, folgten. Das genügte. Der Seemann begreift schnell. Der Kapitän hatte offenbar die Absicht, selbst an Land zu gehen, während das Schiff unter der Führung des Steuermanns sofort wieder in See stechen sollte, um nach einer bestimmten Zeit die Insel wieder anzulaufen und ihn abzuholen. Das ließ sich leicht ausführen, ohne daß die »Julia« näher an die Küste fuhr. Kapitäne von Walfischfängern machen es öfters so, wenn sie krank werden; aber in unserem Fall war es völlig unverantwortlich, so zu handeln, und widersprach allen Grundsätzen der Vorsicht und Menschlichkeit. Und obschon der Entschluß mehr Kühnheit bewies, als wir Guy zugetraut hätten, so verriet es doch auch sehr wenig Menschenkenntnis, wenn er glaubte, daß diese Mannschaft es sich gefallen lassen würde.

Bald zeigte sich, daß wir richtig vermutet hatten, und die Wut der Leute stieg. Der Bottler und der Zimmermann erklärten sich sofort bereit, eine Meuterei anzuführen; vier oder fünf liefen nach dem Achterdeck, um das Luk zu verschließen, solange Jermin noch unten war; andere warfen bereits die Großbrassen los und riefen den übrigen, ihnen zu helfen, um auf Land zuzuliegen. All dies war das Werk eines Augenblicks, und die Lage schien kritisch, als es dem langen Doktor und mir gelang, die Leute von Übereilungen zurückzuhalten: wir hätten ja Zeit und das Schiff vollkommen in der Gewalt.

Während die Vorbereitungen in der Kajüte weitergingen, riefen wir die Leute in die Back. Es war nicht leicht, diese wilden Kerle zu einer ruhigen Betrachtung der Lage zu bewegen, aber schließlich siegte des Doktors Einfluß: wenn sie ihm folgten, versprach er, würde das Schiff hier vor Anker bleiben, ohne daß sie Unannehmlichkeiten haben würden; und die meisten fügten sich.

Aber immer wieder versicherten sie, wenn friedliche Mittel versagten, würden sie sich »Klein-Julchens« bemächtigen und sie nach Papiti bringen, und wenn sie alle dafür hängen sollten. Für's erste wollten sie zusehen und den Kapitän gewähren lassen.

Inzwischen war das Boot zu Wasser gelassen und lag am Fallreep; der Steward und der Steuermann halfen dem Kapitän an Deck. Wir sahen ihn seit mehr als vierzehn Tagen zum erstenmal, und er schien sehr verändert. Er hatte einen breiten Paytahut so tief über die Stirn gezogen, daß wir sein Gesicht nur sehen konnten, wenn der Wind den Rand aufklappte. An einer Schlinge, die an der Großrah vertäut war, wurde er mit des Kochs und Bembos Hilfe stöhnend ins Boot hinabgelassen. Er muß die Flüche gehört haben, die die Mannschaft ihm, wenn auch nicht zu laut, nachrief.

Während der Steward noch die Sachen im Boot ordnete, sprach der Steuermann leise mit dem Maori, wendete sich dann plötzlich zu uns und sagte, er gehe jetzt mit dem Kapitän an Land, werde aber so bald als möglich wiederkommen. Inzwischen hätte Bembo als der nächste im Rang die Führung des Schiffes; er habe übrigens nichts zu tun, als es in sicherer Entfernung vom Ufer zu halten. Damit sprang er ins Boot und steuerte dem Strand zu, während der Koch und der Steward an den Riemen saßen.

Daß Guy das Schiff gegen des Steuermanns Rat der Mannschaft überließ, bewies aufs neue, wie unbedacht er war; wären der Doktor und ich nicht an Bord gewesen, hätte Gott weiß was geschehen können.

Zunächst war Bembo Kapitän, und was die seemännische Erfahrung anging, auch vollkommen dazu geeignet, er war einer der tüchtigsten Seeleute, die ich je getroffen habe, und er fluchte für zwei. Darauf und auf zahlreiche nautische Fachausdrücke, die er mit erstaunlicher Sicherheit gebrauchte, beschränkten sich seine Kenntnisse der englischen Sprache. Als Harpunier hatte er Zutritt zur Kajüte und war nach Seebrauch, der keine Ausnahmen kennt, obgleich ein unzivilisierter Eingeborener, der Vorgesetzte der Mannschaft; es sprach auch niemand ein Wort dagegen, niemand war überrascht, obschon der Maori keineswegs beliebt war. Alle, außer dem Steuermann, mißtrauten dem finsteren Wilden oder fürchteten ihn geradezu. Dunkle Geschichten wurden von ihm erzählt. Er kam aus einem Stamm von Menschenfressern, soviel stand fest; das übrige war ungewiß. Seine persönliche Erscheinung nahm nicht für ihn ein. Im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute war er eher unter Mittelgröße, untersetzt und breitschultrig, aber unter seiner schwärzlichen tätowierten Haut bewegten sich Muskeln wie Stahltaue. Er hatte krauses, kohlschwarzes Haar, und unter buschigen Brauen sahen scharfe kleine Augen immer drohend wie aus einem Hinterhalt hervor.

Er hatte schon zwei oder drei Fahrten auf Walfischfängern von Sydney mitgemacht, sich aber immer, wie auch diesmal und wie es bei seinen Landsleuten Brauch ist, in der Inselbucht bei Opua verdungen und wurde auf der Rückreise an der gleichen Stelle wieder entlassen. Einer von uns war mit dem Maori auf seiner ersten Fahrt gewesen und erzählte uns merkwürdige Dinge von ihm. Ich gebe eine dieser Geschichten wieder, so, wie ich sie gehört habe, und bemerke, daß, was ich von Bembo und von den tollkühnen Taten der Walfischfänger weiß, sie mir durchaus glaublich erscheinen läßt.

Die eingeborenen Neuseeländer sind die wildesten Walfischjäger; die Jagd kommt ihren blutdürstigen Neigungen entgegen. Das erste Englisch, das sie lernen, ist der Schlachtruf des Südseefischers, wenn er zu Wasser gelassen wird: »Ein toter Wal oder ein zerschlagenes Boot!« Da ihre wilde Entschlossenheit bekannt ist, nimmt man sie gern zu Harpunieren; nervöse, furchtsame Leute eignen sich für den Beruf nicht.

Wenn der Harpunier seine Lanze schleudert, steht er aufrecht an der Spitze des Boots, das Knie gegen eine Stütze gestemmt. Bembo aber stand frei auf dem Dollbord, während das Boot auf den Fisch zuruderte. Eines Morgens bei Tagesanbruch kam er so an einen riesigen Pottwal. Er warf seine Harpune und fehlte; der Fisch tauchte unter. Nach einer Weile kam das Ungetüm wieder zum Vorschein; es war jetzt fast eine Meile entfernt, und sie ruderten darauf zu. Aber das Tier war scheu geworden, »verschreckt«, wie die Jäger sagen; es wurde Mittag, und das Boot jagte ihm noch immer nach. Auf der Walfischjagd wird, solange der Fisch in Sicht ist, die Verfolgung nicht aufgegeben, ehe die Nacht hereinbricht, mag geschehen sein, was da will, und heute, da die Fische so schwer zu bekommen sind, vielleicht nicht einmal dann. Schließlich gelang es zum zweitenmal, an den Wal zu kommen. Bembo schleuderte beide Harpunen nach ihm, doch wie es manchmal dem besten Mann begegnen kann, er fehlte wieder. Man weiß, daß das vorkommt, aber für die Bootsmannschaft bedeutet es bittere Enttäuschung, die sich in heftigen Flüchen Luft zu machen pflegt. Das ist kein Wunder, wenn Leute Stunde um Stunde in brennender Sonnenhitze mit Aufbietung aller Kräfte gerudert haben; wer da nicht ärgerlich wird, ist kein Seemann. Aber der Spott und die Vorwürfe machten den Maori rasend; kaum war er wieder an das Tier gekommen, als er, die Harpune in der Hand, auf den Rücken des Wals sprang. Eine schwindelnde Sekunde sah man ihn dort, dann nur ein Wüten und Schäumen, und Mensch und Tier waren verschwunden. Die Leute gierten ab und ließen die Leine auslaufen, so schnell sie konnten, während vor ihnen nur ein roter Wirbel von blutigen Wogen war.

Jetzt tauchte etwas Dunkles auf, die Leine kam steif, jetzt rauchte sie um die Spule, und das Boot schoß pfeilschnell durchs Wasser. Sie waren »fest«, und der Walfisch »lief«. Eine braune Hand griff nach dem Dollbord und der Maori wurde an Bord gezogen, während die Blasen wild um den Bug des Bootes aufstiegen und zerplatzten.

Solch ein Mensch, oder solch ein Teufel, wenn man will, war Bembo.

 


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