Hermann Melville
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Hermann Melville

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Einundvierzigstes Kapitel

Wenn auch das eigenartige Leben bei Kapitän Bob mir gefiel, weil es mich interessierte, so fehlte es doch nicht an verdrießlichen Begleiterscheinungen für feinfühligere Leute. Die übelwollende Schilderung des Konsuls und anderer hatten viele Europäer gegen uns eingenommen, die uns für schlimme Landstreicher ansahen, obwohl sicherlich selten Matrosen sich auf der Insel so gut benommen und die Eingeborenen so wenig belästigt haben wie wir. Aber wenn ein anständig gekleideter Europäer uns begegnete, so war zehn zu eins zu wetten, daß er uns auswich und auf die andere Seite der Straße ging. Die anderen machten sich nicht viel daraus, aber mir war es unangenehm.

An schönen Abenden – aber auf Taheiti sind alle Abende schön! – konnte man zahlreiche Seidenhüte und Sonnenschirme auf der Ginsterstraße sehen, vielleicht auch blasse, kleine, weiße Jungen, kränkliche Ausländer, öfters auch gesetzte ältere Herren mit Rohrstöcken, bei deren Erscheinen die Eingeborenen in ihre Hütten verschwanden. Manchmal sind sie zu Pferde und reiten die paar Meilen bis zur Venusspitze und wieder zurück. Dort hat sich der einzige Überlebende aus der Zahl der ersten Missionare, die auf der Insel landeten, angesiedelt, ein weißhaariger alter Mann, der recht heilig aussah und Wilson hieß – der Vater unseres Freundes, des Konsuls. Wir begegneten diesen kleinen Gruppen öfters, und da sie in mir manche frohe Erinnerung an die Heimat und an Damengesellschaft wachriefen, hätte ich gerne einen anständigen Anzug und Hut gehabt, um sie begrüßen zu dürfen. In meiner Lage war das ausgeschlossen; einmal aber warf mir eine ältere Dame einen guten forschenden Blick zu. Die liebe Frau! – ich habe sie nicht vergessen; sie trug ein Gewand von schottischem Stoff. Aber nicht immer erhielt ich so freundliche Blicke.

Eines Abends kam ich an der Veranda eines Missionarshauses vorbei. Seine Frau und ein hübsches, blondes, junges Mädchen mit Locken saßen im Freien und genossen den Seewind, der kühl und erfrischend von der Brandung am Riff hereinkam. Als ich mich näherte, blickte die alte Dame mich scharf an; selbst ihre Haube schien schweren Tadel auszudrücken. Auch die blauen englischen Augen an ihrer Seite waren auf mich gerichtet, aber o Himmel, wie konnte ein so schönes Geschöpf einen so ansehen! An der Spitzenhaube war mir nichts gelegen; aber von dem Lockenkopf nicht für einen Kavalier gehalten zu werden, war unerträglich. Ich beschloß, meine Erziehung wenigstens durch meinen Gruß zu zeigen; da ich jedoch eine Art Turban trug, der schwer wieder aufzusetzen gewesen wäre, und meine Jacke so weit war, daß auch eine Verbeugung nicht sehr anmutig ausgesehen hätte, so trat ich einfach mit der liebenswürdigsten Miene näher und sagte: »Guten Abend, meine Damen, welch eine entzückende Seeluft!« Bei allen hysterischen Krämpfen und sechspfündigen Kanonen! wer hätte das erwartet? Die junge Dame stieß einen Schrei aus, und die alte fiel beinah in Ohnmacht. Ich aber zog mich im Laufschritt zurück und wagte kaum zu atmen, bis ich mich in der Calabusa in Sicherheit befand.

 


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