Hermann Melville
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Hermann Melville

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Sechsundfünfzigstes Kapitel

Es vergingen nun einige ruhige Tage, an denen wir gerade nur soviel arbeiteten, daß wir tüchtigen Hunger bekamen, da die Pflanzer uns mit schwererer Arbeit verschonten. Es wurde immer deutlicher, wie gern sie uns hier behalten wollten; das war auch nicht weiter verwunderlich; denn erstens fanden sie in uns von Anfang an ein paar höfliche und gutmütige Burschen, mit denen sich auskommen ließ, dann aber hatten sie auch bald heraus, daß wir anders waren als die gewöhnlichen Landstreicher; unsere Gesellschaft war für ein paar einsame und ungebildete Leute wie sie unterhaltend und belehrend. Unsere Bildung erregte ihr Staunen und beinahe ihren Neid; den Doktor betrachteten sie geradezu als ein Naturwunder. Der Londoner hatte herausgefunden, daß er ein Buch lesen konnte, ohne die längeren Worte vorher buchstabieren zu müssen; und der Yankee vernahm von ihm im Augenblick die Gesamtsumme mehrerer Posten, die er ihm laut vorsagte, um seine mathematischen Kenntnisse auf die Probe zu stellen. Mein langer Freund gebrauchte so großartige Ausdrücke im Gespräch, daß sie zuletzt den Hut abnahmen, wenn er redete. Kurz, ihre günstige Meinung von ihm stieg mit jedem Tag, und sie versprachen sich wunder was für Vorteile von einer so gelehrten Arbeitskraft. Unter anderem planten sie, ein kleines Fahrzeug von etwa vierzig Tonnen zu erbauen, um mit den Nachbarinseln Handel zu treiben. Mit einer eingeborenen Mannschaft konnten wir dann auf dem Stillen Ozean kreuzen, anlegen, wo wir wollten, und romantische Handelsartikel, Trepang, Perlmuscheln, Pfeilwurz, Ambra, Sandelholz, Kokosnußöl, eßbare Vogelnester einsammeln und vertreiben. Diese Jagdfahrten auf der Südsee ließen sich reizend ausmalen, und der Doktor erklärte sich auch sofort bereit, den künftigen Schoner sicher durch alle Untiefen und Riffe zu steuern. Seine Unverschämtheit war unglaublich. Er hielt ganze Vorträge über Navigationskunde, sprach von Mercators Segelkunst und dem Azimuth-Kompaß und gab eine verwickelte Erklärung, wie man die geographische Länge nach einer von ihm erfundenen Methode unfehlbar feststellen konnte. Wenn der Doktor so seine Phantasie spielen ließ, war es ein Vergnügen, ihm zuzuhören; ich widersprach daher nie, sondern lauschte gleich den Pflanzern in stummer Bewunderung. Aber die Folge war, daß sie, wie ich zu meinem Mißvergnügen bemerkte, mich weit geringer einschätzten als ihn. Vielleicht hatte er zu ihnen privatim eine Bemerkung darüber gemacht, welche ganz andere Stellung er auf der »Julia« gehabt hatte als ich; jedenfalls hielten die Pflanzer ihn bald für einen hervorragenden und berühmten Mann, der aus unbekannten Gründen sein Inkognito wahrte; sie fanden seine unverhohlene Abneigung gegen jede Arbeit verzeihlich und zählten mehr auf die Vorteile, die er ihnen dereinst als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter leisten sollte. Natürlich tat auch der Doktor alles, eine für ihn so vorteilhafte Meinung zu erhalten und zu pflegen, und nahm zuzeiten auch mir gegenüber einen so überlegenen Ton an, daß, obwohl ich darüber lachen mußte, ich mich doch ärgerte. Schließlich wurde es mir zuviel, und ich sagte ihm eines Tages gerade heraus, daß ich keine Lust hätte, mich seinen Prätensionen zu fügen, und wenn er als Gentleman auftreten wollte, ich desgleichen tun würde.

Er lachte herzlich; wir plauderten vergnügt über die Sache und beschlossen, das Tal zu verlassen, sobald es irgendwie geschehen konnte, ohne unsere Wirte zu sehr zu verletzen.

Noch am selben Abend, als wir beim Essen saßen, deutete der Doktor unsere Absicht an. Obwohl er sehr erstaunt und keineswegs erfreut war, verzog Zeke keine Miene. Er dachte lange nach, dann sagte er sehr ernst: »Peter, wollen Sie vielleicht das Kochen übernehmen? Das ist leichte Arbeit, und Sie brauchen nichts anderes zu tun. Paul ist kräftiger; er kann im Feld arbeiten, wenn es Ihm paßt; und in kurzer Zeit werden wir überhaupt angenehmere Arbeit für euch haben; nicht wahr, Kleiner?«

Der Kleine bejahte. Der Vorschlag war soweit ganz gut, besonders für den Doktor; meine Pflichten schienen mir etwas zu unbestimmt. Wir sagten indessen an diesem Abend nichts weiter, und der Yankee verdoppelte seine Bemühungen, uns zufrieden zu stellen.

Eines Morgens vor dem Frühstück schickten sie uns, das Unkraut in einem Kartoffelfeld auszujäten; sie waren im Hause beschäftigt, und wir waren allein. Unkraut ausjäten betrachteten sie als leichte Arbeit und hatten sie uns darum zugewiesen; es mag auch als Gartenarbeit ganz vergnüglich sein, aber auf die Dauer wird es unbequem. Wir schufteten eine geraume Zeit, bis der Doktor, der infolge seiner Länge sich in einem sehr scharfen Winkel bücken mußte, sich plötzlich aufrichtete und, mit der einen Hand nach dem Rücken greifend, ausrief: »Wenn man nur an den Gelenken Löcher hätte, um sie regelmäßig ölen zu können!«

Obgleich die Hoffnung auf eine derartige Verbesserung unseres Körperbaues gering war, war ich doch von Herzen der gleichen Ansicht, denn jeder meiner Rückenwirbel stimmte gefühlsmäßig zu. Die Sonne ging eben auf und brachte jene schwere Morgenmattigkeit, die jeder Anstrengung im warmen Klima so verhängnisvoll wird. Wir hielten es nicht länger aus, schulterten unsere Harken, schritten nach dem Hause, entschlossen, weder die Gutmütigkeit der Pflanzer länger auszunützen, noch selber bei einer Beschäftigung zu bleiben, die uns so gar nicht paßte. Wir sagten es ihnen ganz offen. Zeke schien sehr verstimmt und redete, was er konnte, um uns davon abzubringen; als alles nichts nützte, bat er uns freundlich, wenigstens nicht gleich fortzugehen; wir könnten ruhig als Gäste bei ihm wohnen, bis wir etwas Neues gefunden und einen Plan für die Zukunft gefaßt hätten. Wir dankten ihm aufrichtig für seine Freundlichkeit, blieben aber dabei, daß wir am nächsten Morgen das Tal von Martehr verlassen müßten.

 


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