Hermann Melville
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Hermann Melville

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Neuntes Kapitel

Man weiß, daß man unter dem »Vorderkastell« oder der »Back« den vorderen Teil des Decks am Bugspriet versteht; gewöhnlich bezeichnet man aber damit auch den darunterliegenden Schlafraum der Mannschaft, der durch ein Schott abgeteilt ist. Diese herrliche Wohnstätte ist in den Bug, oder wie die Matrosen sagen, in die Augen des Schiffes eingebaut, daher dreieckig; an den Seitenwänden befindet sich je eine Lage rauhgezimmerter Kojen. Die der »Julia« waren in einem kläglichen Zustand; einige waren abgerissen worden, um die anderen damit auszubessern; auf einer Seite standen nur noch zwei. Den Leuten machte dies wenig aus; da sie doch kein Bettzeug hatten, war es ihnen gleichgültig, wo sie sich hinlegten. Manche hatten sich Hängematten aus alten Segeln gemacht, aber der Raum, in dem sie schaukelten, war so eng, daß dies kein ungemischtes Vergnügen war. Ich hatte, was ich an altem Segeltuch und Kleidern fand, auf die Bretter gelegt, und eine alte Jacke um ein rundes Holz gewickelt, um ein Kissen zu haben. So schonte man seine Knochen, wenn das Schiff rollte.

Das Innere der Back sah wie ein schmutziges Gefängnis aus. Es war vom Boden zum Deck keine fünf Fuß hoch, und dieser Raum wurde noch durch zwei mächtige Querbalken, die das Schiff versteiften, sowie durch die Koffer und Kisten der Mannschaft beengt, über die man steigen mußte. Bei den Mahlzeiten oder beim Schwatzen saßen wir auf den Kisten wie die Schneider. In der Mitte des Raumes standen, nur fußbreit voneinander entfernt, zwei viereckige hölzerne Säulen, die »Bugspriet-Beting«; zwischen ihnen schaukelte an rostigen Ketten eine Lampe, die Tag und Nacht brannte und beständig zwei lange Schatten warf. Darunter stand, schmutzig und unordentlich gehalten, die versperrbare Vorratskiste, die von Zeit zu Zeit ausgescheuert und ausgeräuchert werden mußte.

Das Holzwerk war überall feucht und entfärbt, an manchen Stellen war es weich und schwammig geworden. Außerdem war es überall angehauen und angeschnitten, da der Koch sich häufig die Splitter zum Feuermachen von unseren Wänden holte. Oben war alles verrußt, und da und dort waren tiefe Löcher eingebrannt, Andenken, die betrunkene Matrosen von früheren Fahrten zurückgelassen hatten.

Man kam ins Logis von oben über ein schrägliegendes Brett mit zwei Griffhaken. Das Luk war nichts weiter als ein Loch im Verdeck, ohne Türe oder Verschluß; die Persenning, die wir manchmal darüber breiteten, bot vor den Spritzern, die über den Bug kamen, wenig Schutz; bei der geringsten Brise wurde der ganze Raum vollkommen naß. Bei starken Windstößen ergossen sich die Seen wie ein Wasserfall durch das Luk, schwappten unten umher und spritzten in Strahlen zwischen den Kisten auf.

So waren wir an Bord der »Julia« untergebracht; und diesen jämmerlichen Raum machten uns noch Tausende von Schaben und ganze Regimenter von Ratten streitig. In dem warmen Klima kann ein Schiff, das einmal infiziert ist, das Ungeziefer kaum wieder loswerden. Man kann jedes Luk versiegeln und den Schiffsraum ausräuchern, daß der Rauch aus allen Ritzen qualmt, und immer bleiben noch genug Tiere am Leben, um das Schiff in kürzester Zeit neu zu bevölkern. Auf Walratschiffen, die oft zwei Jahre hintereinander am Äquator kreuzen, ist es am schlimmsten. Jede Spalte und Ritze auf der »Julia« war von den Tieren voll; sie hausten nicht bei uns, sondern wir bei ihnen. Und man tat besser, im Dunkeln zu essen und zu trinken, als bei Tageslicht.

Bei den Schaben beobachteten wir allnächtlich ein Phänomen, das niemand zu erklären wußte. Zuerst kam ein ungewöhnliches Krabbeln und Summen an den Querbalken und in den Kojen. Dann kamen andere massenhaft aus ihren Schlupfwinkeln hervor, bis das ganze Ungeziefer beisammen war; die von der größeren Art rasten über Kisten und Planken, geflügelte Ungeheuer schossen durch die Luft; die kleineren surrten und summten in Haufen, die wie Klumpen geballt waren.

Beim ersten Alarm stürzte wer irgend konnte an Deck; die Kranken, die zu schwach, waren, lagen regungslos, während die verrückten Tiere über sie hinliefen; die Sache dauerte etwa zehn Minuten, mit einem Gebrause, wie in einem Bienenstock. Das Schlimme war, daß der Zeitpunkt sich nie vorhersagen ließ; es konnte zu jeder Stunde der Nacht losgehen, und wir waren glücklich, wenn es früh am Abend geschah.

Ich darf auch die Ratten nicht vergessen; sie vergaßen ja mich nicht. Zahm wie die Maus in der Zelle des Freiherrn von der Trenk standen sie in ihren Löchern und guckten uns an wie alte Großväter, die sich an der Haustüre sonnen. Wenn wir beim Essen saßen, kamen sie blitzschnell heran und nagten an allem, was auf der Kiste lag. Als sie das erstemal auf Weimontu losfuhren, erschrak er, gewöhnte sich aber bald daran und wurde besser mit ihnen fertig als wir; mit erstaunlicher Geschicklichkeit faßte er die Ratten an den Beinen und schleuderte sie durch das Luk über Bord.

Eines Tages schenkte mir der Steward eine Portion Sirup, die ich in einem Zinngefäß in einer Ecke meiner Koje verbarg. Bei dem Menü der »Julia« war Zwieback mit Sirup ein wahres Schlemmeressen, das ich nur insgeheim mit dem Doktor teilte. Mit der Zeit wurde der Sirup weniger, und als ich den Rest einmal im Dunkeln umfüllte, fiel noch etwas anderes aus dem Gefäß. Wie lang es drin gewesen war, wußten wir nicht und begehrten es nicht zu wissen; wir wollten nicht einmal daran denken. Jedenfalls starb das Tier eines süßen Todes, wie Clarence in dem Faß Malvasier.

 


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