Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtundfünfzigstes Kapitel

Lange vor Sonnenaufgang am nächsten Morgen waren meine Sandalen befestigt und der Doktor war in Zekes Stiefel getaucht. Die Pflanzer hofften uns noch einmal zu sehen, ehe wir den Weg nach Telu antraten, sie wünschten uns eine gute Reise und schenkten uns zum Abschied ein oder zwei Pfund virginischen Tabak, den wir in kleine Stücke schneiden sollten, weil dies die gangbarste Scheidemünze auf der Insel war. Zwar lag Tameh nicht mehr als drei bis vier Meilen entfernt; aber wir mußten damit rechnen, daß der Weg durch die Wildnis führte, wollten in der Mittagshitze einige Stunden ruhen, außerdem die Reise bequem machen, und so gedachten wir mit der Abenddämmerung an den See zu gelangen.

Mehrere Stunden wanderten wir langsam durch Wälder und Schluchten, über Berge und Abgründe, und sahen nichts, als manchmal eine Herde von wilden Rindern in der Ferne; wir rasteten öfters und waren gegen Mittag im innersten Teil der Insel angelangt. Wir befanden uns in einer kühlen grünen Schlucht zwischen den Bergen, in der hundert kleine Wasserläufe rieselten, im Schatten großer feierlicher Bäume, auf deren moosigen Stämmen die feuchten Tropfen wie Perlen glänzten. Keine Spur verriet, daß die wilden Rinder sie je betreten hatten. Kein Ton war zu hören, kein Vogel zu sehen, kein Windhauch bewegte die Blätter. Die vollkommene Einsamkeit und das tiefe Schweigen waren bedrückend; nichts war zu sehen als die düsteren regungslosen Stämme. Wir eilten weiter und stiegen einen steilen Abhang auf der anderen Seite empor. Auf halbem Wege kamen wir zu einer Stelle, wo die Erde an den Wurzeln dreier Palmen einen natürlichen Altan bildete. Dort setzten wir uns nieder und sahen in die Schlucht hinab, die jetzt als eine grüne dunkle Masse unter uns lag. Wir zogen eine kleine Kalebasse mit Poïpoï hervor, ein Abschiedsgeschenk Tonois. Nachdem wir uns satt gegessen hatten, machten wir mit zwei Hölzern Feuer, warfen uns auf den Rücken und rauchten. Zuletzt schliefen wir ein, und als wir erwachten, stand die Sonne schon so tief, daß ihre Strahlen unter dem Laub zu uns drangen.

Wir sprangen auf und eilten weiter, und als wir die Bergspitze erreicht hatten, sahen wir zu unserer Überraschung den See und das Dorf vor uns. Wir hatten sie mindestens noch eine Meile entfernt geglaubt. Oben erreichten uns noch die letzten Strahlen der in gelbem Dunst sinkenden Sonne; über das Tal unter uns schlichen bereits lange Schatten; der grüne See spiegelte die Häuser und Bäume an seinem Ufer wieder. Einige kleine Kanus, die da und dort an Pfählen im Wasser befestigt waren, schaukelten auf der Flut; ein einsamer Fischer paddelte nach einer grasbewachsenen Landspitze. Vor den Häusern lagen die Eingeborenen in Gruppen teils auf der Erde oder lehnten lässig an den Bambuswänden.

Mit großem Hallo liefen wir abwärts, und die Dorfbewohner liefen zusammen, um zu sehen, wer da käme. Bald umstanden sie uns in großer Neugier und wollten wissen, was die »Karhauris« in ihr stilles Land führte. Der Doktor machte ihnen begreiflich, daß wir nur als Besucher kämen, worauf sie uns in echt taheitischer Weise willkommen hießen, auf ihre Hütten zeigten und sagten, daß die Hütten uns gehörten, solange wir zu bleiben wünschten.

Es fiel uns auf, wieviel gesünder Männer und Frauen hier aussahen als die Küstenbewohner. Die jungen Mädchen waren weit zurückhaltender und sittsamer, viel sauberer angezogen und sahen weit frischer und schöner aus als die jungen Damen an der Küste.

Wir verbrachten die Nacht im Hause Rartus, eines gastlichen alten Häuptlings, das dicht am Seeufer lag. Während des Abendessens sahen wir durch rauschende Blätter auf das sternbeglänzte Wasser.

Am nächsten Tag schlenderten wir umher und fanden eine glückliche kleine Gemeinde, die von dem Elend, das ihre Landsleute betroffen hatte, so ziemlich verschont geblieben war. Sie waren auch arbeitsamer; Tappa wurde in mehreren Häusern gemacht, europäische Stoffe und andere Gegenstände ausländischer Herkunft waren nur wenig zu sehen. Dem Namen nach waren die Leute Christen, aber sie wohnten so entfernt von aller geistlichen Aufsicht, daß ihre Religion nicht sehr tief ging. Man hatte uns gesagt, daß viele heidnische Spiele und Tänze noch heimlich im Dorfe stattfanden.

Nun hatte unter anderem die Hoffnung, einen echten alten »Hiwar«, einen wirklichen taheitischen Tanz zu sehen, uns hergelockt. Und da Rartu ziemlich freisinnige Ansichten entwickelte, teilten wir ihm unseren Wunsch mit. Erst machte er Umstände, zuckte die Achseln wie ein Franzose, meinte, die Sache wäre gefährlich und könnte für alle Beteiligten unangenehme Folgen haben. Aber es gelang uns, ihn zu überzeugen, daß das alles nicht so schlimm wäre, und so wurde ein »Hiwar«, ein echter heidnischer Fandango, noch für diese Nacht angesetzt.

 


 << zurück weiter >>