Hermann Melville
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Hermann Melville

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Dreiundsechzigstes Kapitel

Mitten am fröhlichen milden Nachmittag wurden wir zum Essen im Grünen unter einem offenen Schutzdach von Palmenzweigen gerufen, das mit seinem Rande so weit herabreichte, daß wir uns bücken mußten, um darunter zu treten. Der Boden war mit wohlriechenden Farnkräutern, Nehi genannt, bestreut; sie waren frisch gepflückt und verbreiteten, wenn man sie mit dem Fuß bewegte, den süßesten Duft. Auf der einen Seite lagen gelbe Matten mit eingewebten hellroten Rindenstreifen. Hier saßen wir auf türkische Art und sahen über das grüne Ufer auf das weite, blaue, stille Meer hinaus. Wir waren nun so weit um die Insel herumgekommen, daß Taheiti nicht mehr zu sehen war.

Über die Farnkräuter waren mehrere Lagen dicker breiter Purublätter gelegt und über sie neugepflückte Bananenblätter, jedes mindestens vier Fuß lang und sehr breit, ohne die Stiele, so daß sie völlig flach lagen. Dieses grüne Tischtuch war in folgender Weise gedeckt: als Teller dienten Purublätter; neben jedem stand eine einfache Kokosnußschale, die zur Hälfte mit Meerwasser gefüllt war, und ein taheitisches Brötchen, nämlich eine braungeröstete kleine Brotfrucht. Eine ungeheure Kalebasse in der Mitte war mit zahllosen kleinen Päckchen aus feuchten dampfenden Blättern hoch angefüllt, und jedes Blatt enthielt einen kleinen in der Erde gebackenen Fisch. Neben dieser Pyramide stand auf jeder Seite noch eine schöne Kalebasse, die eine bis an den Rand mit goldfarbenem »Pol«, einem Pudding aus rotem Bergwegerich, gefüllt, die andere mit Kuchen aus indischer Rübe, die in einem Mörser zerrieben, mit Kokosmilch vermischt, zu einem Teig geknetet und dann gebacken wird. Zwischen den drei Schüsseln lagen junge, geschälte Kokosnüsse aufgeschichtet, die oben geöffnet waren, so daß jede einen vollen Trinkbecher darstellte.

In einer Ecke war eine Art Seitentisch gebreitet, auf dem in ihrem hellen Kleide die fettesten Bananen lagen, außerdem rote, reife »Ewis« oder »Guavas«, deren purpurnes Fleisch durch die durchsichtige Schale leuchtete, dann Orangen, die zum Teil braun wie Beeren waren, und große stattliche Melonen; ein wunderbarer Haufen, alle Früchte frisch, rötlich reif und rund, vom überquellenden Reichtum des tropischen Bodens zeugend, der all diese Herrlichkeiten trug!

»Welch ein Land der Gärten!« rief der Doktor entzückt und damit kostete er rasch von einer Frucht, die temperamentvolle Herren wie er besonders lieben, nämlich von den reifen, roten Lippen Fräulein Taggeborens, die dastand und zusah.

Marbarweh wies seinen Gästen Plätze an und das Mahl begann. Ich fühlte mich verpflichtet, ihm irgendwie unsere Anerkennung auszusprechen; ich stand daher auf und hob den Kokosnußbecher mit Pflanzenwein ihm entgegen, wobei ich den üblichen Gruß sprach: »Eir Ehren, boyoih.« Er begriff, daß ich ihm eine Höflichkeit nach der Sitte der Weißen erweisen wollte, und mit einem Lächeln und einer höflichen Handbewegung bat er mich, Platz zu nehmen. Kein Volk kann die Leute von Imio an unbefangenem und vornehm-anmutigem Benehmen übertreffen.

Den Doktor, der neben ihm saß, nahm unser Wirt in seinen besonderen Schutz. Er legte eines der Fischpäckchen vor ihn, öffnete es und empfahl ihm den Inhalt ganz besonders. Aber mein Gefährte gehörte zu denen, die für sich zu sorgen wissen. Er aß unzählige »Pihih Li Lis« (kleine Fische), aß seine Brotfrucht und die seines Nebenmannes und bediente sich rechts und links mit all der Sicherheit eines erfahrenen Tischgastes. »Paul,« sagte er schließlich, »du kommst ja nicht vorwärts; warum versuchst du die Pfeffersoße nicht?« Und damit tauchte er einen Bissen in die Nußschale mit Seewasser. Ich folgte seinem Beispiel und fand es bitter, aber wohlschmeckend; es ersetzte das Salz. Auf Imio wird das Seewasser stets in dieser Weise verwendet.

Die Fische waren köstlich; bei dem Backen in der Erde geht kein Saft verloren, und sie werden ungewöhnlich mild und zart. Der Wegerichpudding war fast zuviel, die Kuchen aus indischer Rübe ganz wohlschmeckend und die geröstete Brotfrucht knusprig wie frische Brötchen.

Während des Mahles ging ein eingeborener Bursche mit einem langen Bambusstab rund um die Tafel und klopfte von Zeit zu Zeit vor jedem Gast mit dem Stab auf das Tischtuch, wobei eine helle Masse aus der Höhlung fiel, die »Launih« genannt wurde und etwa wie weißer Käse schmeckte. Sie wird folgendermaßen bereitet: das geröstete Fleisch reifer Kokosnüsse wird mit Kokosmilch und Salzwasser angefeuchtet und unter Verschluß gehalten, bis es in Gärung übergegangen ist.

Während der Mahlzeit wurde lebhaft geplaudert, und an Gesprächigkeit waren uns die Eingeborenen weit überlegen. Die jungen Damen plauderten lebhaft mit und trugen zur allgemeinen Heiterkeit bei. Als der Doktor sich schließlich völlig befriedigt zurücklehnte, sprangen sie auf und bewarfen ihn mit Orangen und Guavas. Mit diesem Spiel endete das Mahl.

Durch hundert launige und seltsame Einfälle machte sich mein langer Freund bei den Leuten beliebt; sie gaben ihm einen langen und komischen Beinamen, der zugleich auf seine Größe und die Rura anspielte, denn dieses Kleidungsstück erregte die Aufmerksamkeit jeder Person, der wir begegneten. Die Leute von Taheiti haben eine Leidenschaft für Spitznamen. An wem sie nur die geringste Eigentümlichkeit entdecken, der erhält einen solchen. Der Kapitän eines Kriegsschiffs, der besonders wichtig und großartig auftrat, mußte, als er Taheiti zum zweitenmal besuchte, entdecken, daß die Eingeborenen ihn nicht sehr ehrerbietig »Puddingkopf« nannten. Davor schützt kein Rang. Der erste Gatte der regierenden Königin war in Hofkreisen als der »Topfbauch« bekannt. Er trug, wie seinerzeit König Georg IV., den größten Teil seines Körpers vor sich her. Sogar »Pomari« selbst, der Name des königlichen Hauses, war ursprünglich nur ein Spitzname und bedeutet wörtlich »einen, der durch die Nase spricht«. Der erste Monarch des Namens hatte sich auf einem Kriegszug, als er in den Bergen übernachten mußte, einen Schnupfen geholt, und ein witziger Höfling hatte ihm sogleich diesen Namen beigelegt.

Wie unendlich verschieden vom beweglichen Polynesier ist darin, wie in allem und jedem, der ernste und würdevolle nordamerikanische Indianer! Während in der Südsee die Namen stets nach irgendeiner humoristischen oder schimpflichen Eigenheit gegeben werden, bringt der rote Mann seine stolze Würde und seine kriegerischen Eigenschaften in ihnen zum Ausdruck; ein aristokratisches und kriegerisches Pathos ist ihm eigen, das sich in Namen wie »Weißer Adler«, »Junge Eiche«, »Feuerauge«, »Gespannter Bogen« verrät.

 


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