Hermann Melville
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Hermann Melville

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Fünfzigstes Kapitel

Vor etwa fünfzig Jahren hatte Vancouver mehrere Rinder, Schafe und Ziegen an verschiedenen Stellen der Gesellschaftsinseln zurückgelassen und die Eingeborenen belehrt, daß sie auf die Tiere sorglich achten und vor allem keines schlachten sollten, ehe sie zu einer ansehnlichen Herde geworden wären.

Die Schafe müssen ausgestorben sein, denn ich habe keine Wollflocke in Polynesien gesehen. Was die Ziegen angeht, so traf man hier und da einen schwarzen menschenfeindlichen Bock, der das spärliche Gras auf unzugänglichen Höhen abweidete und es den süßen Gräsern der Täler vorzuziehen schien. Die Ziegen sind nicht zahlreich. Dagegen haben die Rinder sich stark vermehrt; es ist eine kräftige Rasse, die man besonders auf Imio findet; in Taheiti sah man sie weniger. Auf Imio muß das erste Paar sich ins Innere der Insel verlaufen haben; seine verwilderten Nachkommen finden sich dort in großen Mengen. Die Herden sind Eigentum der Königin Pomari; die Pflanzer hatten die Erlaubnis erhalten, für ihren Privatgebrauch so viele davon abzuschießen, als sie wollten.

Die Eingeborenen haben große Angst vor den Rindern und wagen sich daher ungern ins Innere; sie segeln lieber rund um die Insel, als daß sie quer hindurch gehen, um ein Dorf an der anderen Seite zu erreichen. Tonoi wußte wundersame Geschichten von ihnen zu erzählen. So berichtete er, daß er einmal mit seinem Bruder übers Gebirg gewandert war, als ein großer Stier brüllend aus dem Walde kam, und beide die Flucht ergriffen. Er war auf einen Baum geklettert, sein Bruder wurde vom Stier eingeholt, niedergetreten, auf die Hörner gespießt, in die Luft geschleudert und wieder aufgefangen; zuletzt lief der Stier mit ihm davon. Tonoi wartete mehr tot als lebendig auf seinem Baum, bis alles vorbei war. Irgendwie gelangte er nach Hause. Am anderen Tage zogen die Nachbarn, mit zwei oder drei Flinten bewaffnet, aus, um die Reste des unglücklichen Bruders zu finden. Sie fanden sie nicht; aber Tonoi sah am anderen Morgen einen Stier über den Bergeskamm schreiten, der eine dunkle Last auf den Hörnern trug.

Auch auf Hawai setzte Vancouver seine Rinder aus. Hawai hat mehr als hundert Meilen im Umfang und eine Fläche von über viertausend Quadratmeilen. Bis vor wenigen Jahren war das Innere fast unbekannt. Die Eingeborenen, wagten aus abergläubischen Gründen nicht, es zu durchforschen: Pili, die schreckliche Göttin der Vulkane Mount Roa und Mount Kia, hütete die Pässe, die nach den Tälern an ihrem Fuß führten. Die Sage erzählt, daß sie jene, die sich gottlos hineinwagten, mit Feuerströmen verfolgte. Bei Heilo zeigte man eine glänzende schwarze Klippe, über die ein spiegelnder Strom, nach solch einem übernatürlichen Ausbruch erstarrt, sich ins Meer zu ergießen scheint. Vancouvers Rinder wanderten nach diesen üppigen Tälern und, lange Jahre unbelästigt, vermehrten sie sich zu gewaltigen Herden. Vor etwa zwölf oder fünfzehn Jahren lernten die Eingeborenen den Wert des Leders kennen; darauf ließen sie von ihrem Aberglauben und begannen die Tiere zu jagen. Furchtsam und unerfahren, hatten sie wenig Erfolg. Erst als ein paar spanische Jäger eintrafen, die ihr Handwerk in Kalifornien gelernt hatten, begann die Schlächterei. Die Spanier sahen prächtig aus, in weiten, mit Stachelschweinnadeln durchwirkten Hosen, klingenden Sporen und bunten Manteldecken. Auf wohlzugerittenen Indianerpferden verfolgten sie die Beute bis an den Fuß der Feuerberge; die Einsamkeit hallte von ihren wilden Rufen wider, und vor der Nase der bösen Göttin Pili schleuderten sie ihre Lassos. Das Dorf Heilo an der Küste war ihr Sammelplatz, und weiße Abenteurer von allen Inseln strömten dort zusammen. Es waren zumeist versoffene Kerle, die von den Spaniern die Jagd lernten, leichtsinnig losritten und, da sie keinen festen Sitz hatten, von den Stieren aus dem Sattel gezerrt und zertrampelt wurden.

Das war im Jahre 1835, als der jetzige König Tammahamaha III. noch ein Junge war. Mit königlicher Frechheit beanspruchte er das alleinige Eigentum an dem ganzen Viehstand, zog vergnügt jeden zweiten Silberdollar, der für die Häute bezahlt wurde, ein, und so wurden die Rinder nahezu ausgerottet. Achtzehntausend Stück wurden auf Hawai in drei Jahren zur Strecke gebracht. Als die Herden nahezu vernichtet waren, legte der schlaue junge Fürst ein strenges Tabu auf die überlebenden Tiere, das zehn Jahre gelten sollte. Innerhalb dieser Zeit, die noch nicht vorüber ist, darf niemand ohne besondere königliche Erlaubnis jagen.

Das Gemetzel erstreckte sich auch auf die unglücklichen Ziegen. In einem Jahre wurden dreitausend Häute an die Händler von Honolulu verkauft, für einen Quartillo, einen Schilling, das Stück.

 


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