Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

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Siebzehntes Kapitel

Früh am folgenden Morgen sahen wir die Berggipfel von Taheiti; bei klarem Wetter sind sie auf eine Entfernung von neunzig Meilen sichtbar.

»Heivarhu!« rief Weimontu glückselig und eilte aufs Bugspriet hinaus, als das Land zuerst in der Ferne auftauchte. Aber als die Wolken sich verzogen und die drei Bergspitzen wie Obelisken sich vom Himmel abhoben und die kühn geschweifte Uferlinie den Horizont entlang wogend sichtbar wurde, stürzten Tränen aus seinen Augen: es war doch nicht Heivarhu!

Taheiti ist die berühmteste Insel der Südsee. Zwei hochragende Gebirge mit gerundeten Gipfeln, die sich bis zu neuntausend Fuß über den Meeresspiegel erheben, sind durch eine niedrige Landenge verbunden; die ganze Insel hat etwa hundert Meilen im Umfang. Von den hohen Mittelgipfeln der größeren Halbinsel – Orohina, Aoreh und Peiroheiti – ziehen strahlenförmig die grünen Bergkämme zum Meer hinab; dazwischen liegen breite schattige Täler, dicht bewaldet und von herrlichen Flüssen bewässert. Ungleich vielen anderen Inseln ist Taheiti von einem Gürtel niedrigen angeschwemmten Landes umgeben, auf dem der reichste Pflanzenwuchs gedeiht. Hier vornehmlich wohnen die Eingeborenen.

Der Anblick vom Meer aus ist prachtvoll: eine Masse vielfach abgetönten Grüns vom Strand bis zu den Bergeshöhen, durch Täler, Kämme, Schluchten und Wasserfälle belebt. Da und dort werfen die höheren Gipfel ihren Schatten über die Kämme und tief in die Täler hinein. In der Ferne blitzen die Wasserfälle in der Sonne und scheinen durch hohe grüne Lauben zu stürzen. Wie eine eben erst geschaffene Zauberwelt liegt das Ganze vor uns. Und das Bild verliert durch die Nähe nicht. Der Europäer, der zum erstenmal in die einsamen Täler hineinwandert, fern von den Wohnungen der Eingeborenen, glaubt zu träumen, so unaussprechlich ist die Ruhe und Schönheit der Landschaft, die ihn umgibt. »Oft«, sagt Bougainville, »glaubte ich im Paradiese zu wandeln.«

Die Schönheit und Liebenswürdigkeit der Eingeborenen paßte zu diesem Bilde und zu ihrem ewigen milden Frühling. Ihre Religion und ihre Einrichtungen sind bemerkenswert. Ihren Königen erweisen sie göttliche Ehren; ihre Sagen stehen denen der alten Griechen an poetischer Schönheit nicht nach. Frühere und inhaltreichere Berichte kamen von Taheiti als von allen anderen Inseln der Südsee. Die Schilderungen, die die ersten Besucher von einem Lande und einem Volke gaben, von denen man in Europa nie gehört hatte, erregten Staunen, und als die ersten Taheitier herüberkamen, wurde Omai in London und Aoturu in Paris vom Adel, von den Gelehrten und von den Damen mit Aufmerksamkeiten überhäuft.

Bedeutsame Ereignisse mehrten den Ruhm Taheitis. Vor zwei Jahrhunderten soll der Spanier Quiros die Insel berührt haben. Wallis, Cook, Byron, de Bougainville, Vancouver, La Perouse und andere berühmte Seefahrer ließen ihre Schiffe in ihren Häfen ausbessern. Der berühmte Durchgang der Venus im Jahre 1769 wurde auf Taheiti beobachtet. Die denkwürdige Meuterei auf der »Bounty« kam dort zum Ausbruch. Zu den heidnischen Bewohnern von Taheiti wurde die erste regelrechte protestantische Mission entsendet; von seinem Strande segelten zahlreiche spätere Missionen nach den benachbarten Inseln. All diese Ereignisse und andere haben das Interesse an Taheiti wach erhalten, und in neuerer Zeit hat das Vorgehen der Franzosen der Insel neue Sympathien in der Welt verschafft.

 


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