Hermann Melville
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Hermann Melville

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Dreiundfünfzigstes Kapitel

Schön kam über den Bergen von Martehr der fröhliche Morgen unseres zweiten Jagdtages herauf. Über Nacht war alles vorbereitet worden; als wir ins Haus kamen, hatte der Kleine ein gutes Frühstück gemacht; der alte Tonoi war geschäftig wie ein Herbergswirt. Mehrere seiner Leute standen bereit, uns mit Kalebassen, die Proviant enthielten, zu begleiten, und falls die Jagd erfolgreich sein sollte, die Beute heimzuschleppen.

Der Doktor, der am Abend zuvor von unserer Absicht gehört, hatte sich sofort bereit erklärt mitzugehen. Spätere Ereignisse ließen uns in dieser Expedition einen schlauen Gedanken des Yankee sehen; wenn er uns jetzt auf einen Vergnügungsausflug mitnahm, wie konnten wir nachher die Arbeit verweigern? Wir waren ihm noch Dank für den freien Tag schuldig. Überdies versicherte er, daß, ob wir arbeiteten oder nicht, unser Lohn in jedem Fall weiter fällig würde.

Für den Doktor wurde eines der baufälligen alten Gewehre von Tonoi geborgt; es war ungewöhnlich kurz und schwer, mit einem plumpen alten Schloß; man mußte einen kräftigen Finger haben, um es abzuziehen. Das lange Gespenst versuchte es zunächst, indem er auf ein Ziel schoß, und konnte sich überzeugen, daß es ordentlich losging, denn die Ladung flog nach der einen Seite und er nach der anderen. Daraufhin knüpfte er Verhandlungen mit dem Kleinen an, um mit ihm Waffen zu tauschen; aber der Kleine ließ sich nichts abschmeicheln, worauf der Doktor seine Flinte zunächst einem der Träger übergab.

Wir wanderten nun bis ans Talende. Dort führte ein Pfad nach einer Hochebene, die der Lieblingsplatz der wilden Rinder sein sollte. Wir hatten auch kaum die Höhe erklommen, als wir in einiger Entfernung eine kleine Herde in einen Wald eintreten sahen. Wir eilten vorwärts, teilten uns und schlichen uns von vier verschiedenen Seiten an sie heran, jeder Weiße von mehreren Eingeborenen gefolgt.

Ich war bald in dichtem Holz und wollte eben auf eine Lichtung treten, als ich einen Knall hörte und eine Kugel die Rinde von einem nahen Baum riß; im selben Augenblick hörte ich auch ein Stampfen und Krachen, und fünf Rinder, fast in einer Reihe, brachen in die Lichtung und stürmten gerade auf den Platz zu, auf dem ich und drei Eingeborene standen. Es waren kleine schwarze, bösartig aussehende Tiere mit kurzen spitzen Hörnern, roten Nüstern und Augen wie glühende Kohlen. Die dunklen wolligen Köpfe gesenkt, kamen sie heran. Mein eingeborenes Gefolge saß bereits hoch oben in den Baumwipfeln; ich sah mich nach einem Weg zum Rückzug für den Notfall um und legte an; aus dem Wald rief eine Stimme: »Gerade zwischen die Hörner, Paul! Gerade zwischen die Hörner!« Ich zielte auf ein kleines weißes Haarbüschel an der Stirn des vordersten Bullen, drückte ab und sprang zur Seite. Die fünf Tiere schossen vorbei wie ein Sturmwind, daß die Luft hinter ihnen zitterte. Der Yankee sprang vor und schoß sie aus der Flanke an; der wilde kleine Bulle mit dem weißen Haarbüschel peitschte seine Schenkel mit dem langen Schweif und schoß um seine volle Länge vorwärts; aber es war nur ein Streifschuß: im nächsten Augenblick waren sie außer Sicht, und nur nach der Bewegung in den Büschen konnten wir den Weg ihrer Flucht verfolgen.

Als das Gefecht vorüber war, rückte die schwere Artillerie an, in der Gestalt des langen Doktors mit seinem mächtigen Feuerrohr. »Wo sind sie?« rief er atemlos.

»Jetzt so ein oder zwei Meilen weit weg«, erwiderte der Kleine. »Mein Gott, Paul, warum haben Sie dem kleinen Schwarzen kein Blei aufgebrannt?«

Ich entschuldigte meine Ungeschicklichkeit, so gut ich konnte, als Zeke vorsprang und schrie: »Schockschwerenot! Was tun Sie denn, Peter?'«

Wütend über unser Pech, das er der Feigheit der Eingeborenen zuschrieb, hatte Peter sein Gewehr auf einen der zitternden Träger angelegt, der eben vorn Baum herabkletterte. Er drückte auch los; die Kugel flog harmlos in die Höhe, der Kerl sprang auf den Boden und lief blökend wie ein Rind davon, so schnell seine Füße ihn tragen konnten. Die anderen folgten uns mit Furcht und Zittern.

Wir stellten unsere Marschordnung wieder her und wanderten mehrere Stunden, ohne ein Wild zu Gesicht zu bekommen. Die Schüsse waren zu weit hörbar gewesen. Zuletzt bestiegen wir einen hohen Felsen, um einen weiten Ausblick zu haben, und sahen von dort drei Tiere, die auf einer Waldlichtung unter uns ruhig weideten. Wir prüften unsere Gewehre, nahmen ein eiliges Frühstück aus den Kalebassen; dann setzten wir uns in Bewegung. Beim Abstieg sahen wir die Rinder unter uns; erst als wir den Wald betraten, verloren wir sie aus dem Gesicht, sahen sie aber sogleich wieder, als wir uns an die Lichtung heranpirschten. Es war ein Bulle, eine Kuh und ein Kalb. Die Kuh lag ruhig im Schatten am Waldesrand; das Kalb stand mit gespreizten Beinen vor ihr im Gras und leckte ihre Lippen, während der alte Stier daneben stand, mit väterlichen Blicken die häusliche Szene betrachtete und gelegentlich die Nase in die Luft hob.

»Jetzt!« flüsterte Zeke, »wir müssen die armen Dinger kriegen, während sie beisammen sind. Kriecht vorwärts, Jungens, kriecht vorwärts; feuert alle zugleich, aber nicht, ehe ich es sage.«

Wir krochen bis an den Rand der Lichtung, knieten hinter einem Gebüsch nieder und stützten die angelegten Rohre auf Zweige; das verursachte ein leichtes Geräusch; der Stier wendete sich um, senkte den Kopf und stieß ein plötzliches tiefes Gebrüll aus, dann schnoberte er in die Luft; die Kuh erhob sich auf die Vorderknie, sprang dann ängstlich hoch und stand auf den Füßen, während das Kalb mit gespitzten Ohren sich unter sie flüchtete. Im nächsten Augenblick mußten alle drei auf der Flucht sein.

»Ich nehme den Stier,« rief Zeke, »Feuer!«

Das Kalb fiel wie ein Klotz hin; das Muttertier brüllte los und war bereits mit dem Kopf im Dickicht, kehrte aber jammernd zu dem leblosen Kalb zurück und ging um es herum, mit blutenden Nüstern an ihm schnobernd. Ein Krachen im Holz und ein lautes Gebrüll verriet den fliehenden Bullen. Ein zweiter Schuß krachte, und die Kuh fiel. Wir hießen die Eingeborenen nach den erlegten Tieren sehen und eilten dem Bullen nach. Sein fürchterliches Brüllen wies uns den Weg zur Stelle, wo er lag. In die Schulter getroffen, war er vor Schmerz und Schrecken in den Wald gesprungen; als wir ihn erreichten, war er in einer grünen Mulde zur Erde gesunken; er stieß sein schwarzes Maul in eine Lache seines eigenen Blutes und warf es über sich, so daß es in Klümpchen auf sein Fell spritzte. Der Yankee legte an und feuerte; das wilde Tier machte einen Luftsprung und fiel tot hin.

Jetzt waren unsere Insulaner begeistert, voll Mut und Begier; selbst der alte Tonoi hatte nicht mehr die geringste Furcht, ja er wagte, den armen Stier bei den Hörnern zu packen und in seine verglasten Augen zu schauen. Wir zogen unsere Schiffsmesser, häuteten die Tiere ab und hingen sie an Rindenschnüren hoch an den Zweigen eines Baumes auf. Dann nahmen wir Deckung und warteten auf die wilden Schweine, die, wie Zeke versicherte, vom Blutgeruch angezogen, bald kommen würden. Wir hörten sie auch bereits von mehreren Seiten, und einen Augenblick später wühlten sie in den Eingeweiden.

Da nur mit einem einzigen Schuß auf diese Tiere zu rechnen war, wollten wir alle zugleich feuern, aber irgendwie ging des Doktors Rohr zuerst los, und eines der Schweine fiel; die anderen rasten ins Dickicht, wir sprangen ihnen nach, um noch zum Schuß zu kommen; der Londoner voran; wenige Augenblicke später hörten wir den Knall seiner Muskete; ein Aufschrei folgte; wir eilten zur Stelle und sahen ihn im Kampf mit einem kohlschwarzen jungen Eber, dem die Schnauze von der Kugel zum Teil weggerissen war. Das Tier war gerade auf ihn zugelaufen, als er es anschoß, und griff ihn jetzt mit rasender Wut an; es biß auf den Kolben der Büchse, mit dem der Kleine es niederzuschlagen versucht hatte, während er das Rohr festhielt und nach seinem Messer fühlte. Ich war der vorderste und beendete den Kampf, indem ich den Eber mit dem Kolben erschlug.

Da es bereits Abend wurde, beluden wir die Träger. Die Rinder waren so klein, daß ein stämmiger Eingeborener ein ganzes Viertel tragen konnte und anscheinend mühelos damit durch die Büsche eilte und die Felsen hinabstieg. Keiner von uns Weißen hätte das so leicht, nachmachen können. Dagegen wollte keiner der Eingeborenen das junge Wildschwein schleppen; die schwarze Farbe machte es »tabu«: wir mußten es liegen lassen. Das andere, das gefleckt war, wurde mit Zweigen an eine Stange gebunden und von zwei jungen Eingeborenen fortgetragen.

Die Träger voran, machten wir uns auf den Rückweg durchs Tal. Auf halbem Wege wurde es dunkel; wir machten Fackeln aus trockenen Palmzweigen und schickten zwei Burschen voraus, die immer neues Holz auflesen mußten. So bewegten wir uns bei Fackelschein durch den Wald; wo er halbwegs eben war, gingen die Eingeborenen trotz ihrer Last im Laufschritt; ihre nackten Rücken waren mit Blut beschmiert, und aneinander vorbeilaufend, stießen sie von Zeit zu Zeit ein wildes Geschrei aus, daß alle Berghänge widerhallten.

 


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