Hermann Melville
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Hermann Melville

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Neununddreißigstes Kapitel

Kaum eine Woche war seit der Abfahrt der »Julia« vergangen, als einige der Leute, mit der sprichwörtlichen Unruhe der Seeleute, der Calabusa Biriteni müde wurden und sich an Bord der in der Bucht liegenden Schiffe anzubieten beschlossen. Sie versuchten es auch, aber obwohl der Kommodore der Strandräuber sie warm empfahl, das Ende war immer, daß die Schiffer, an die sie sich wandten, ihnen sagten, sie stünden in schlechtem Ruf und wären nichts für ihn. Sie wurden so oft abgelehnt, daß wir beinahe alle Hoffnung aufgaben, die Insel auf diese Weise verlassen zu können und uns bei Kapitän Bob wieder häuslich einrichteten.

Um diese Zeit begannen die Walfischfänger, die ihre regelmäßige Jagdzeit haben, in Papiti einzulaufen, und die Mannschaften machten uns ihren Besuch. Das ist auf dem ganzen Stillen Ozean so der Brauch. Jeder Matrose, der an Land steigt, geht geradeswegs nach der Calabusa Biriteni, wo er fast immer ein paar arme Teufel findet, die wegen Desertion oder angeblicher Meuterei oder aus sonst einem Grunde dort in Haft sind. Der Besucher bringt ihnen sein Mitgefühl, und wenn sie danach Bedarf haben, auch Tabak. Nach diesem ist große Nachfrage, es gibt für Gefangene keinen besseren Trost.

Da wir über Konsul und Kapitän glänzend gesiegt hatten, waren wir für diese Menschenfreunde doppelt interessant, und sie konnten unser Verhalten nicht genug loben. Sie brachten uns jedesmal Erfrischungen mit und schmuggelten gelegentlich sogar ein wenig Pisco ein. Einmal, als ihrer mehrere kamen, wurde eine Kalebasse herumgereicht und eine Sammlung für uns eingeleitet; ein andermal schlug einer der Besucher vor, zwei oder drei von uns sollten ihn heimlich des Nachts an Bord seines Schiffs besuchen; er versprach, uns mit Vorräten beladen heimzuschicken. Das schien kein übler Gedanke, und wir gingen sogleich darauf ein. Jedes Schiff wurde der Reihe nach besucht, und wenn wir alle durch waren, wurde von vorne angefangen. Zu diesem Zweck liehen wir Kapitän Bobs Kanu aus, und da wir zu zwei und zwei abwechselten, kam schließlich die Reihe auch an mich und den langen Doktor, denn die Matrosen betrachteten uns als unzertrennlich. Aber gerade bei diesem Unternehmen hatte ich zum Doktor wenig Vertrauen; er war kein Seemann und sehr lang, und ein Kanu ist das heikelste von allen Fahrzeugen.

Wie alle Fähigkeiten der Eingeborenen, ist auch die Schiffsbaukunst auf den Gesellschaftsinseln sehr zurückgegangen. Ihre Kanus sind die mindest eleganten und die unsichersten in der Südsee. Cook berichtet, daß zu seiner Zeit Taheiti eine königliche Flotte von 1720 großen Kriegskanus besaß, die alle schön geschnitzt und reich verziert waren. Heute gibt es nur ganz kleine Boote, die kaum etwas anderes als ausgehöhlte und an einem Ende zugespitzte Baumstämme sind. Um das Schwanken zu verhindern, bringen die Taheitier, wie alle Polynesier, am Kanu einen Ausleger an, einen Stamm, der, mit dem Kanu parallel, durch eine Anzahl Querhölzer von mindestens zwei Fuß Länge mit ihm verbunden ist. Das Kanu kann nicht kentern, solange es nicht so überlastet wird, daß die Schwimmfähigkeit des Auslegers nicht mehr reicht oder er ganz aus dem Wasser gehoben wird.

Kapitän Bobs Kanu war besonders klein und so seltsam geformt, daß die Matrosen es die »Pillenschachtel« nannten. Es war eine Art Seelentränker, eigentlich nur für einen einzigen Paddler bestimmt, konnte aber im Notfall zwei oder drei Personen tragen; der Ausleger war eine dünne Stange, die bald in der Luft schwebte, bald tief im Wasser schwamm. Als Seemann übernahm ich das Kommando, setzte den langen Doktor mit dem Paddelruder an den Bug, schob das Kanu vom Strand, sprang hinein und setzte mich ans Hinterende; das heißt, ich überließ ihm die Arbeit und übernahm das ehrenvolle und mühelose Amt des Steuerns. Das wäre soweit ganz gut gewesen, wenn sich der Doktor nicht beim Paddeln so ungeschickt angestellt hätte, daß er uns beide unaufhörlich mit Wasser bespritzte. Da er energisch weiterruderte, dachte ich, es würde mit der Zeit schon gehen, aber es ging nicht, und in kurzer Zeit war ich so vollkommen naß, daß ich ihn um aller Barmherzigkeit willen beschwor, inne zu halten, damit ich meine Kleider ausringen könnte. Er drehte sich plötzlich um, das Kanu schwankte gewaltig, der Ausleger flog in die Luft, schlug kräftig gegen des Doktors Kopf, und wir lagen beide im Wasser. Zum Glück befanden wir uns gerade über einem Korallenriff, dessen Grat keinen halben Faden unter der Oberfläche lag. Ich drückte das eine Ende des ganz mit Wasser gefüllten Kanus hinab und ließ es plötzlich los, es schnellte in die Höhe und entleerte dabei den größten Teil des Wassers, so daß wir den Rest leicht ausschöpfen und uns wieder hineinsetzen konnten. Ich schärfte dem Doktor ein, keinen unnötigen Atemzug zu tun, und führte das Kanu nun selber; wirklich machte er sich so klein als irgend möglich, sprach kein einziges Wort und rührte sich nicht. Ich war ganz überrascht, aber die Erklärung war, daß er nicht schwimmen konnte, und wenn uns ein zweiter Unfall zustieß, hatten wir nicht wieder ein Riff unter uns, auf dem wir stehen konnten. »Ersaufen ist ein schäbiger Tod!« sagte er, als ich ihn neckte, »und es soll nicht mein Verschulden sein, wenn es mir begegnet.«

Endlich waren wir am Schiff und näherten uns vorsichtig, wir wollten nicht vom Achterdeck aus angerufen werden. Als wir still unter dem Bug lagen, hörten wir einen leisen Pfiff; das war das verabredete Zeichen, und ein umfangreicher Sack wurde herabgelassen. Wir schnitten ihn los und paddelten so rasch als möglich davon. Die anderen erwarteten uns schon ungeduldig: der Inhalt bestand aus gekochten Süßkartoffeln, Scheiben von eingesalzenem Rind- und Schweinefleisch und einem vorzüglichen Schiffspudding, der aus Mehl und Wasser bereitet wird und etwa die Konsistenz eines nicht vollständig gedörrten Ziegelsteins hat. Mit diesen Leckerbissen und einem tüchtigen Appetit setzten wir uns im Mondlicht ins Freie und veranstalteten ein nächtliches Gelage.

 


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