Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierunddreißigstes Kapitel

Wir waren etwa vierzehn Tage in der Calabusa, als Kapitän Bob eines Morgens vom Bade kam; er war völlig nackt, trug aber über einem Arm ein Bündel von altem Tappa und begann sich damit zu bekleiden, um auszugehen. Das geschah in folgender Weise: es war Tappa gröbster Art, ein langes schweres Stück, das er mit dem einen Ende an einem Hybiskuspfeiler befestigte, auf dem das Dach der Calabusa ruhte; dann machte er ein paar Schritte, legte das andere Ende des Stoffs an seine Hüften, und indem er wieder auf den Pfeiler zuschritt und sich dabei beständig drehte, wickelte er sich darein. Dieses einzige Kleidungsstück, das wie ein Reifrock um ihn lag, steigerte seinen ohnedies gewaltigen Umfang ins ungeheure. Er hielt sich an die Sitte der Väter: in der alten Zeit war das »Keihi«, der »große Gürtel«, für beide Geschlechter üblich gewesen, und Bob, der Neuerungen abhold war, hatte es beibehalten.

Nun erst sagte er uns, daß er Befehl habe, uns vor den Konsul zu führen. Wir waren nicht abgeneigt und traten in Marschordnung an. Der alte Mann ging pustend und stöhnend wie eine Maschine an der Spitze, eine Wache von etwa zwanzig Eingeborenen an unserer Seite, und so marschierten wir ins Dorf. Im Konsulat angekommen fanden wir Wilson und vier oder fünf Europäer, die in einer Reihe uns gegenüber saßen und offenbar einen möglichst richterlichen Eindruck auf uns machen sollten. Auf der einen Seite befand sich eine Ruhebank, auf der Kapitän Guy lag. Er sah weit besser aus und hatte, wie wir erfuhren, die Absicht, bald wieder an Bord zu gehen. Er sagte übrigens kein Wort und überließ alles dem Konsul.

Dieser stand jetzt auf, zog aus einer großen, mit einem roten Siegel verschlossenen Rolle ein Papier, das er laut vorlas. Es sollte ein »eidlich beschworenes Zeugnis des John Jermin, ersten Offiziers der britisch-kolonialen Bark ›Julia‹, Schiffer Guy«, sein und enthielt eine ausführliche Darstellung der Ereignisse seit der Ausfahrt aus Sydney bis zur Ankunft im Hafen von Papiti. In den Einzelheiten ziemlich richtig, war es doch so abgefaßt, daß jeder von uns schwer belastet erschien; über die verschiedenen Fehler im Verhalten des Steuermannes war kein Wort gesagt, so daß der feierliche Schlußsatz »und weiter saget der Zeuge nicht aus«, eine wesentliche Bedeutung bekam.

Niemand von uns sprach ein Wort; wir sahen uns alle nach dem Steuermann um, da wir es für unmöglich hielten, daß er seinen Namen dazu hergegeben hatte; aber er war nicht da.

Dann folgte ein Dokument, das die Aussage des Kapitäns enthielt; er hatte auch bei dieser Gelegenheit nicht viel zu sagen gewußt, und das Blatt war bald erledig.

Die dritte beschworene Aussage war die der Seeleute, die an Bord geblieben waren, darunter die des Verräters Spund, der als Kronzeuge gegen uns aufgetreten war. Dieses Dokument war vom Anfang bis zum Ende eine unerhörte Übertreibung, und die Leute hatten es zweifellos unterschrieben, ohne den Inhalt zu kennen. Insbesondere konnte Weimontu nichts davon begriffen haben, dessen Zeichen sich gleichfalls darauf fand. Vergeblich befahl der Konsul Schweigen, während er las. Bei jedem Absatz protestierten die Leute lärmend. Als die Aussage verlesen war, nahm Wilson, der die ganze Zeit steif wie ein Ladestock gestanden, feierlich die Schiffsartikel aus der Zinnkassette. Es war ein verfärbtes und verschimmeltes, widerwärtig aussehendes Aktenstück, das er nur schwer lesen konnte. Als er fertig war, hielt er es in die Höhe, wies auf die Zeichen, die die Mannschaft darunter gesetzt, und fragte uns der Reihe nach, ob wir Unterschrift und Zeichen anerkannten.

»Wozu denn die Frage?« sagte der schwarze Daniel, »Kapitän Guy weiß das ebensogut wie wir.«

»Schweigen Sie, Herr!« rief Wilson, da er den ganzen feierlichen Eindruck, den er machen wollte, zerstört sah.

Es folgte eine kurze Pause; die von der Richterbank sprachen leise mit dem Konsul, während die Mannschaft sich fragte, was der Konsul mit den eidlichen Aussagen bezwecken mochte; die meisten meinten, daß er uns einschüchtern wollte. Und so war es auch, denn er stand wieder auf und sagte: »Ihr seht, Leute, daß alles für das gerichtliche Verfahren gegen euch, vorbereitet ist. Die Rosa«, – ein kleiner australischer Schoner, der im Hafen lag, – »segelt in längstens zehn Tagen nach Sydney und nimmt euch mit. Die ›Julia‹ fährt von heute in einer Woche aus. Weigert ihr euch noch immer, eure Pflicht zu tun?«

Wir weigerten uns.

Der Konsul und der Kapitän wechselten einen Blick; der des Kapitäns verriet seine bittere Enttäuschung. Er sah mich an, zum erstenmal nahm er das Wort und ersuchte mich vorzutreten. »Waren Sie es nicht, der von der Insel geholt wurde?«

»Jawohl.«

»Sie also verdanken Ihr Leben meiner Menschlichkeit. Das ist Seemannsdankbarkeit, Herr Wilson!«

»O nein, Herr«, sagte ich und machte ihm klar, daß ich sehr genau wußte, warum er das Boot in die Bucht geschickt hatte: er hatte nicht genug Mannschaft und brauchte einen Matrosen; ich wurde wohl durch das Schiff gerettet, aber dem Wohlwollen seines Kapitäns hatte ich nichts zu danken.

Auch der Doktor sagte ein Wörtlein. In zwei Sätzen gab er eine kurzgefaßte aber meisterliche Charakteristik Kapitän Guys, die die anwesenden Seeleute höchlich befriedigte.

Die Lage wurde ernst, denn die Seeleute wurden ausfällig und zeigten Lust, den Konsul und den Kapitän mit nach der Calabusa zu nehmen. Die Richter wurden unruhig und geboten laut Schweigen, das auch schließlich wiederhergestellt wurde. Wilson sprach noch ein letztes Mal von Sydney und dem Gericht und wiederholte, daß noch eine Woche Zeit sei, bis die »Julia« absegelte. Damit entließ er uns und befahl Kapitän Bob und seinen Freunden, uns nach Calabusa zurückzuführen.

 


 << zurück weiter >>