Hermann Melville
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Hermann Melville

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Einunddreißigstes Kapitel

Da unser Gefängnis allseits offen war und so nahe an der Straße lag, konnte uns jeder Vorübergehende sehen, und da die Taheitier ein müßiges und neugieriges Volk sind, fehlte es uns nicht an Besuch. Einige Tage hindurch war es ein beständiges Kommen und Gehen, und so, schimpflich an einem Fuß festgebunden, erteilten wir passive Audienzen. Das hinderte nicht, daß wir die Löwen der taheitischen Gesellschaft waren. Fremde aus fernen Dörfern, wurden mitgenommen, die »Karhauris« (weiße Männer) zu sehen, etwa wie Leute aus der Provinz, wenn sie in die Stadt kommen, in den Zoologischen Garten geführt werden.

Wir konnten dabei unsere Beobachtungen machen. Was mir schmerzlich auffiel, war die große Zahl kränklicher und entstellter Personen, die Folge einer ansteckenden Krankheit, die bei der Behandlung der Eingeborenen stets so verläuft, daß sie zuletzt Muskeln und Knochen angreift. Bei einer besonders schlimmen Form der Krankheit entsteht eine häßliche Verkrümmung des Rückgrats. Dieses und manche anderen Leiden waren unbekannt, ehe die Insel von den Weißen entdeckt und heimgesucht worden; dafür gab es mehrere Fälle von Fe-Fe oder Elefantiasis, einer Eingeborenenkrankheit, die seit dem fernsten Altertum unter ihnen herrscht. Sie greift nur Beine und Füße an, die bisweilen zum Umfang eines menschlichen Körpers anschwellen, während die Haut sich mit Schuppen bedeckt. Man sollte glauben, daß ein Mensch, der an dieser Krankheit leidet, nicht gehen könnte, aber die Leute sind ganz beweglich, fühlen anscheinend keinen Schmerz und tragen ihr Unglück mit unglaublicher Heiterkeit. Die Fe-Fe entwickelt sich ganz allmählich, Jahre vergehen, ehe das Glied völlig geschwollen ist. Die Eingeborenen schreiben sie verschiedenen Ursachen zu, aber die allgemeine Meinung ist, daß sie vom Genuß unreifer Brotfrüchte und indischer Rüben kommt. Sie gilt für unheilbar, eine Behandlung wird gar nicht versucht, auch nicht im Beginn der Krankheit.

Ich erinnere mich eines armen Matrosen, den ich später auf Rurutu, einer einsamen Insel traf, die man von Taheiti mit dem Segelschiff in zwei Tagen erreichen konnte. Es ist eine ganz kleine Insel, und die Bewohner sind nahezu ausgestorben. Wir setzten ein Boot aus, um zu sehen, ob man noch wie früher Yamswurzeln bekam, da die Yamswurzeln von Rurutu in der Gegend so berühmt waren wie die sizilischen Orangen im Mittelmeer. Als ich ans Ufer stieg, wurde ich zu meinem Erstaunen in der Nähe eines winzigen Kirchleins, das wie ein Blockhaus aussah, von einem weißen Mann angeredet, der aus einer elenden Hütte auf mich zuhumpelte. Sein Bart und Haar waren unrasiert, das Gesicht totenbleich und hager und das eine Bein durch die Fe-Fe zu unglaublicher Größe angeschwollen. Es war das erstemal, daß ich einen Europäer an dieser Krankheit leiden sah, oder auch nur davon gehört hätte, und ich war erschrocken und ergriffen. Er befand sich seit Jahren auf der Insel. Als die ersten Symptome auftraten, hatte er nicht glauben wollen, daß es Elefantiasis sei, und gehofft, sie würden bald wieder schwinden. Als es klar wurde, daß die einzige Aussicht für ihn in raschem Klimawechsel lag, wollte kein Schiff ihn als Matrosen aufnehmen, und als Passagier unterzukommen, war ganz hoffnungslos. Das spricht nicht für die Menschlichkeit der Schiffskapitäne, aber diese Tugend ist in der Südsee überhaupt nicht verbreitet; es werden auch, so viele Forderungen an ihre Mildtätigkeit gestellt, daß sie unempfindlich geworden sind.

Ich bemitleidete den armen Kerl von ganzem Herzen; aber auch ich konnte nichts tun; unser Kapitän blieb unerbittlich. »Ich habe sechs Monate Fahrt vor mir,« sagte er, »und kann nicht seinetwegen umkehren. Auf der Insel geht's ihm besser, als es ihm auf See gehen würde. Er muß auf Rurutu bleiben und sterben.« Es war nichts zu machen. Ich hörte später noch zweimal durch Matrosen von ihm; seine Versuche waren alle vergeblich geblieben, und sein trauriges Schicksal mußte sich bald erfüllen.

Obwohl das Volk der Taheitier heruntergekommen und entartet ist, findet man unter den Häuptlingen noch sehr ansehnliche Erscheinungen, majestätisch aussehende Männer und winzige Frauen, lieblich wie die Nymphen, die vor einem Jahrhundert um Wallis' Schiffe schwammen. Wenn die Taheitierinnen schön sind, dann sind sie noch immer so verführerisch, wie sie es seinerzeit für die Mannschaft der »Bounty« waren; kein Dichter könnte sich junge Mädchen in den Tropen schöner vorstellen; sie sind sanft, mit vollen Formen und träumerischen Augen. Die Hautfarbe ist bei beiden Geschlechtern von Natur aus ganz hell, aber die Männer erscheinen viel dunkler, weil sie sich der Sonne aussetzen. Auch wird eine dunkle Hautfarbe bei einem Mann sehr geschätzt, sie soll körperliche und geistige Kraft anzeigen. Es ist ein alter Spruch bei ihnen:

»Wenn dunkel die Wange der Mutter,
Wird der Sohn die Kriegsmuschel blasen,
Wenn stark ihr Leib, wird Gesetze er geben.«

Da dies ihre Vorstellung von Männlichkeit ist, so darf man sich nicht wundern, wenn die Taheitier die blassen, matt aussehenden Europäer für weibische Schwächlinge hielten; dagegen gelten die Seeleute, deren Wangen wie die Brust eines gebratenen Puters aussehen, für kräftige Kerle, oder wie sie dort sagen: er ist ein »tahita tona«, ein Mann, der Knochen hat.

Dabei fällt mir eine jetzt veraltete häßliche Sitte der Taheitier ein, daß sie aus den Knochen ihrer erschlagenen Feinde Angelhaken und Bohrer zu machen pflegten. Nun, die alten Skandinavier machten aus den Schädeln Trinkgefäße und Suppenschüsseln.

In der Calabusa Biriteni erregten wir bei unseren zahlreichen Besuchern das lebhafteste Interesse. Stundenlang redeten sie über uns und gerieten dabei in eine ganz unnötige Aufregung; sie hopsten geradezu hin und her. Stets nahmen sie unsere Partei und schimpften auf den Konsul, den sie »eita mehteh« (ganz außerordentlich schlecht) nannten. Sie mußten einen besonderen Groll gegen ihn hegen. Auch die guten Seelen, die Weiber, kamen zu Besuch; sie zeigten sogar ein noch größeres Interesse für uns als die Männer, sahen uns mit sehr bedeutungsvollen Blicken an und sprachen mit unglaublicher Schnelligkeit. Aber ach, wenn sie auch neugierig waren und zweifellos ein gewisses flüchtiges Mitleid für uns empfanden, wirkliche Gefühle waren es nicht. Viele von ihnen nahmen das Lächerliche unserer Lage sehr wohl wahr und spotteten. Etwa am zweiten Tage unserer Gefangenschaft kam ein wildes schönes Mädchen in die Calabusa gelaufen, blieb in einiger Entfernung von uns stehen und sah uns drollig an. Sie war ein ganz herzloses Geschöpf. Der schwarze Daniel, der seinen entzündeten Knöchel rieb und seine Meinung über den Konsul und den Kapitän energisch äußerte, machte ihr großen Spaß. Nachdem sie genug über ihn gelacht hatte, nahm sie die übrigen in Augenschein; einen nach dem anderen sah sie gründlich und herausfordernd an, und wenn ihr an einem etwas Komisches auffiel, wies sie mit dem Finger auf ihn, warf sich zurück und lachte ein kleines gedämpftes, tiefes Lachen. Es war in unserer Lage natürlich schwer, heroisch auszusehen. Trotzdem war mir der Gedanke nicht angenehm, von der kleinen Hexe verlacht zu werden, obwohl sie nur eine Eingeborene war. Ihre Schönheit mochte daran mit schuld sein. Ich war höchst unpassend gekleidet und lag an einen Holzblock gefesselt da. Dennoch versuchte ich die anmutigste Haltung einzunehmen, die mir möglich war. Ich stützte das Haupt auf die Hand und suchte gedankenschwer auszusehen; das Gesicht hatte ich abgewendet, aber ich fühlte, daß ich rot wurde, wußte, daß ihr Blick auf mir ruhte, und immer heißer wurde meine Wange. Sie lachte nicht; das war entzückend, mein Anblick rührte sie! Jetzt hielt ich es nicht länger aus und richtete mich auf. Da stand sie, ihre Augen wurden größer und größer wie zwei Sterne, ihre ganze Gestalt bebte vor Lustigkeit und um ihren Mund spielte ein Ausdruck, der nur zu deutlich war. Im nächsten Augenblick drehte sie sich blitzschnell um, lachte laut auf, lief aus der Calabusa und kam zu meinem Glück nicht wieder.

 


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