Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierundzwanzigstes Kapitel

Als der Morgen anbrach, blieben wir ein wenig leewärts vom Hafen liegen, um den Konsul zu erwarten, der dem Steuermann versprochen hatte, in seiner Jolle an Bord zu kommen.

Inzwischen hatten die Leute den Bottler gezwungen, ihnen sein Geheimnis zu verraten, und die Folge war, daß sie ihn immer wieder in den Achterraum schickten. Der Steuermann mußte es bemerken, aber er sagte nichts, obwohl das unaufhörliche Tanzen und Singen und gelegentliche Raufen der Leute deutlich verriet, daß der Pisco in Strömen floß. Mit dem beruhigenden Einfluß, den der Doktor und ich bis dahin auf die Leute gehabt hatten, war es nun so gut wie vorbei. Da sie überzeugt waren, daß das Schiff zuletzt doch einlaufen mußte, und überdies erfuhren, daß auch der Steuermann selbst es gesagt hatte, hatten sie vorläufig keine Eile damit, besonders da Spunds Eimer sie so freigebig mit starkem Getränk versorgte. Was Bembo betraf, so hörten wir, daß der Steuermann ihn in Eisen legen lassen und im Salon des Kapitäns eingeschlossen hatte. Um keine Vorsicht außer acht zu lassen, hielt er auch das Luk verschlossen. Wir haben den Maori nie wieder gesehen.

Es wurde Mittag, und kein Konsul kam. Und als es Abend wurde, ohne daß auch nur eine Nachricht vom Strand eintraf, wurde der Steuermann mit Recht böse, um so mehr, als er sich mit größter Mühe für Wilsons Besuch vollkommen nüchtern gehalten hatte.

Zwei oder drei Stunden vor Sonnenuntergang kam ein kleiner Schoner aus dem Hafen, der nach der Nachbarinsel Imio oder Moria Kurs hielt, die etwa fünfzehn Meilen entfernt klar in Sicht lag. Da der Wind aufhörte, trieb ihn die Strömung gerade vor unseren Bug, so daß wir die Eingeborenen auf dem Verdeck deutlich sehen konnten. Etwa zwanzig lagerten auf Matten und rauchten ihre Pfeifen. Als sie so nahe herantrieben, die weinerlich-betrunkenen Lieder unserer Leute hörten und ihr tolles Betragen sahen, hielten sie uns wohl für ein Seeräuberschiff; jedenfalls legten sie ihre Riemen aus und pullten davon, so schnell sie konnten. Der Anblick unserer beiden Sechspfünder, die die Leute des Spaßes halber aus den Stückpforten rollten, beschleunigte ihre Flucht. Aber sie waren noch nicht weit gekommen, als ein weißer Mann mit einer roten Schärpe um die Brust an Deck erschien, worauf die Leute sofort das Rudern einstellten.

Er rief uns an und sagte, er werde an Bord kommen. Auf dem Deck des Schoners entstand einige Verwirrung, dann wurde ein kleines Kanu über Bord gelassen, und ein oder zwei Minuten später war er bei uns. Es ergab sich, daß er ein alter Kamerad Jermins war, den dieser seit langem für tot gehalten hatte und der jetzt auf der Insel lebte. Dieses Wiedersehen war nur einer der tausend Fälle, die man in einem Roman unwahrscheinlich und übertrieben finden würde, und die in den Abenteuern des wirklichen Lebens sich immer wieder ereignen. Vor fünfzehn Jahren hatten sie zusammen auf der Londoner Bark »Jane«, einem Südseefahrer, als Offiziere Dienst getan. Irgendwo in der Nähe der Neuen Hebriden waren sie in einer Nacht auf ein unbekanntes Riff gefahren, und nach wenigen Stunden war die »Jane« zerschellt. Es gelang indessen, die Boote auszusetzen, einige Vorräte, einen Quadranten und noch ein paar andere Gegenstände mitzunehmen; aber mehrere der Leute waren ertrunken, ehe die Boote klar vom Wrack kamen.

Der Kapitän, Jermin, und der dritte Offizier hatten das Kommando in den drei Booten, die nach einer kleinen englischen Ansiedlung in der Inselbucht auf Neuseeland zu segeln versuchten. Natürlich blieben sie so nah als möglich beisammen. Sie waren etwa eine Woche auf dem Meer, als ein Laskar im Boot des Kapitäns verrückt wurde; da es gefährlich war, ihn im Boot zu behalten, versuchten sie ihn über Bord zu werfen; dabei kenterte das Boot, weil das Segel »scheu« wurde, und da die See gerade hoch ging und die anderen Boote weiter abgekommen waren als sonst, so wurde nur ein Mann gerettet. In der nächsten Nacht blies ein schwerer Sturm; die beiden Boote machten alle Segel fest, banden ihre Ruder zu Bündeln zusammen, warfen sie über Bord und suchten sich, indem sie viel Tau auslaufen ließen, an ihnen vor Anker zu halten. Als der Morgen kam, war Jermin mit seinen Leuten allein auf dem Ozean: das Boot des dritten Offiziers war vermutlich untergegangen. Nach großen Mühen und Entbehrungen sichteten die Überlebenden eine Brigg, die sie an Bord nahm und zuletzt in Sydney ausschiffte. Seither war unser Steuermann stets aus Sydney ausgefahren, hatte aber nie wieder von seinem verlorenen Kameraden gehört, den er natürlich längst tot geglaubt hatte. Man stelle sich seine Empfindungen vor, als Viner, eben jener dritte Offizier, in dem Augenblick, in dem er bei uns an Deck kam, auf ihn zueilte und ihm heftig die Hand schüttelte. Während des Sturms war die Leine gerissen, das Boot wurde rasch von dem Winde abgetrieben und war gegen Morgen außer Sicht. Da die Insassen in große Not gerieten, landeten sie an einer unbekannten Insel, um Früchte zu sammeln. Die Eingeborenen nahmen sie zunächst freundlich auf, aber da einer der Mannschaft wegen einer Frau in Streit mit ihnen geriet und die anderen seine Partei nahmen, wurden alle niedergemacht mit Ausnahme Viners, der sich gerade in einem benachbarten Dorfe befand. Er blieb mehr als zwei Jahre auf der Insel und entkam zuletzt im Boot eines amerikanischen Walfischfängers, der ihn nach Valparaiso brachte. Seit der Zeit war er als Vordergast auf See gewesen, bis er vor etwa achtzehn Monaten in Taheiti an Land gegangen war; er hatte Glück gehabt: der Schoner, den wir gesehen hatten, gehörte ihm, und er trieb darin Handel mit den Nachbarinseln.

Als mit Anbruch der Dunkelheit die Brise wieder zunahm, kehrte Viner nach seinem Schiff zurück, versprach aber seinem alten Fahrtgenossen, ihn nach drei Tagen im Hafen von Papiti wieder zu besuchen.

 


 << zurück weiter >>