Hermann Melville
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Hermann Melville

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Vierundsechzigstes Kapitel

Während der Doktor und die Eingeborenen ihr Verdauungsschläfchen hielten, sah ich mir die Landschaft an, die so herrliche Früchte spendete. Zu meiner Überraschung fand ich einen stattlichen Streifen Landes in der Nähe, der auf der Seeseite durch einen Hain von Kokospalmen und Brotfruchtbäumen geschützt war, trefflich angebaut. Süße Kartoffeln, indische Rübe und Yams, Melonen, auch Ananas und andere Früchte wuchsen dort. Sehr schön war eine sorgfältig gehaltene Pflanzung junger Brotfrucht- und Kokosnußbäume: hier schien der sorglose Polynesier einmal an seine Nachkommen zu denken. Aber dies war auch der einzige Fall, in dem ich bei einem Eingeborenen ein wirtschaftliches Verhalten beobachten konnte. Sonst fiel mir bei allen Wanderungen über Taheiti und Imio nur auf, wie spärlich die Fruchtbäume waren, die in Überzahl vorhanden sein könnten. Ganze Täler von unerschöpflicher Fruchtbarkeit, wie in Martehr, bleiben sich selbst und dem wilden Pflanzenwuchs überlassen. Schwemmland am Seeufer, das die Gießbäche von den Bergen bewässern, ist mit wilden, Guavabüschen überwachsen, die die Fremden eingeführt hab und die sich mit so verhängnisvoller Schnelligkeit ausbreiten, daß sie demnächst die ganze Insel bedecken werden. Selbst baumloses Land, das mit sehr geringer Mühe in Obstgärten verwandelt werden könnte, liegt vernachlässigt. Wenn ich an diesen unvergleichlichen Boden und das herrliche Klima dachte, dann erschienen mir die Eingeborenen in der Umgegend von Papiti unbegreiflich, die zum Teil Hunger leiden, aber die Gärten ringsumher wüst liegen lassen. Auf anderen ebenso fruchtbaren Inseln, auf denen die Eingeborenen noch im Urzustand leben, habe ich dies nie gefunden. Diese Lässigkeit ist um so erstaunlicher, als auch die Leute von Taheiti und Imio ihre Fruchtbäume hochschätzen. Sie kennen ihre Schönheit, all ihren Nutzen, die Leichtigkeit der Aufzucht, und trotzdem geschieht nichts. Die Kokospalme ist für den Polynesier der wahrhaftige Baum des Lebens; ihr mannigfacher Nutzen übertrifft selbst den des Brotfruchtbaums. Schon ihr Anblick ist herrlich. Neben ihren stolzen, hohen, graden Stämmen erscheinen die anderen Bäume wie geringere Geschöpfe. Jahr um Jahr ruht der Inselbewohner unter ihrem Schatten; ihre Früchte geben ihm Speise und Trank; mit ihren Zweigen deckt er seine Hütte und flicht aus ihnen die Körbe, in denen er seine Nahrung heimträgt; mit einem Fächer, der aus ihren jungen Blättern geflochten ist, verschafft er sich Kühlung, und ein Hut aus ihren Blättern schützt sein Haupt vor den Sonnenstrahlen; aus dem Faserstoff, der die Stiele an ihrer Basis umhüllt, macht er bisweilen Kleider; die einzelnen elastischen Fasern, an denen man Lambertsnüsse aufreiht, werden als Dochte benützt; die größeren Fruchtschalen dienen, ausgefeilt und geglättet, als Trinkbecher, die kleineren als Pfeifenköpfe; die getrocknete, zottige äußere Schale gibt Brennstoff; aus den Fasern dreht er Angelschnüre und Seile; mit einem Balsam, der aus dem Saft der Nuß gewonnen wird, heilt er seine Wunden; mit dem Öl, das aus dem Fruchtfleisch gepreßt wird, balsamiert er seine Toten ein.

Aus dem Stamm sägt er Pfähle, die sein Haus stützen; zu Kohle gebrannt, dient es ihm zum Kochen seiner Nahrung; mit einem Zaun aus Palmholzbohlen über einer Stütze von Steinblöcken hegt er sein Grundstück ein. Mit einem Paddelruder aus ihrem Holze treibt er sein Kanu durchs Wasser; die Keulen und Speere, mit denen er in die Schlacht zieht, sind gleichfalls daraus geschnitzt.

Als Taheiti noch heidnisch war, war ein Kokoszweig das Symbol der königlichen Würde. Palmenzweige, auf das Opfer im Tempel gelegt, heiligten es; mit ihnen trieben die Priester die bösen Geister aus. Das Abbild Oros, des großen Gottes ihrer Sagen, wurde stets in Kokosholz geschnitzt. Auf einer der Tongainseln steht ein Baum, der selbst als Gottheit verehrt wird. Auf den Sandwich-Inseln will man ihn zum nationalen Abzeichen machen.

Um die Kokospalme zu pflanzen, braucht man nur einen geeigneten Platz zu suchen, eine vollausgereifte Nuß in den Boden zu stecken und sich selbst zu überlassen. Nach wenigen Tagen drängt sich ein dünner lanzettförmiger Schößling durch eine winzige Öffnung in der Schale, durchbohrt die zottige Hülle und entfaltet drei blaßgrüne Blätter; nach unten treibt das weiche, weiße, schwammige Fleisch, das die Nuß jetzt vollkommen ausfüllt, ein paar Wurzelfasern; die natürlichen Pfropfen, die zwei Löcher an der entgegengesetzten Seite verschließen, werden ausgestoßen, die Fasern dringen hinaus und wachsen senkrecht in die Erde. Ein oder zwei Tage später, und die Schale, die zur Zeit der Keimreife so hart ist, daß man ihr mit einem Messer kaum beikommen kann, wird von der inneren Kraft gesprengt, und die kräftige junge Pflanze wächst empor; sie bedarf keiner Pflege, keines Pfropfens und reift schnell. Nach vier oder fünf Jahren trägt der Baum Frucht; in zehn Jahren hat er seine Höhe erreicht, wird in den folgenden immer stärker und hält sich beinahe ein Jahrhundert. Während dieser ganzen Zeit trägt er Früchte. Man kann oft an einem Baum zweihundert Nüsse zugleich zählen und daneben ungezählte weiße Blüten, die wieder zu Nüssen werden; und wenn auch ein ganzes Jahr nötig ist, ehe eine Nuß die Keimreife erreicht, so findet man doch nicht zwei Nüsse gleichzeitig am Stamm im selben Reifestadium. Mit Recht sagte ein Reisender, daß der Mann, der nichts weiter tut, der nur eine reife Kokosnuß in die Erde steckt, mehr für sich und seine Nachkommen leistet, als mancher durch seine Lebensarbeit in einem minder glücklichen Klima erreicht.

Am herrlichsten gedeiht der Baum dicht am Seeufer, wenn das Wasser bis an die Wurzeln spült. Das ist natürlich nur auf den Inseln möglich, die von einem Riff eingekreist sind, so daß die Brandung nicht an den Strand schlagen kann. Im Innern des Landes gedeiht er nicht so gut, obwohl er in jedem Boden Früchte trägt.

Auffällig ist, daß, wenn man das grüne Laubbüschel an der Spitze des Baumes abschneidet oder zerstört, er augenblicklich abstirbt; der Stamm, dessen Rinde so hart ist, daß eine Gewehrkugel sie kaum zu durchdringen vermag, verwittert und zerfällt in kurzer Zeit zu Staub. Vielleicht kommt das daher, daß der Stamm aus lauter dünnen, hohlen Fasern besteht, die hart und dicht aneinanderliegend von der Wurzel zum Gipfel laufen, so daß der Lebenssaft wie der Verfall sogleich den ganzen Stamm durchdringen können.

Die schönste und einzige Kokospalmenpflanzung, die ich auf den Inseln sah, befindet sich am Südufer der Bucht von Papiti. Sie wurde vor etwa einem halben Jahrhundert von dem ersten Pomari angelegt; der Boden war dafür besonders geeignet, und heute bilden die Palmen einen herrlichen Hain von etwa einer Meile Länge, durch den der Ginsterweg führt. Keine andere Pflanze, kaum ein Busch ist zwischen den Bäumen zu sehen. Ich wüßte keinen bezaubernderen Ort als diesen Hain in den Mittagstunden. Hoch oben rauschen die grünen Bogen, durch die die Sonnenstrahlen nur wie Funken dringen. Man glaubt durch unendliche Pfeilerhallen zu wandeln; nach allen Richtungen schneiden sich die stattlichen Schiffe und Gewölbe. Weit und breit herrscht das tiefste Schweigen; die Luft ist still und die Farben sind gedämpft und weich wie bei Sonnenuntergang. Nach der langen Windstille des Vormittags kommt der Seewind herein und die Kronen der tausend Bäume beginnen sich zu regen. Wenn die Brise stärker wird, hört man die Zweige aneinander schlagen und sieht die biegsamen Stämme schaukeln. Gegen Abend bewegt sich der ganze Hain hin und her und der Wanderer auf dem Ginsterweg hört von Zeit zu Zeit den Aufschlag der zur Erde fallenden Nüsse. Wie geworfene Bälle fliegen sie durch die Luft und springen oft viele Klafter weit über den Boden.

 


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