Hermann Melville
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Hermann Melville

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Das Dorf Papiti gefiel uns allen sehr gut. Es liegt in einem Halbkreis um die Bucht; die geschmackvollen Häuser der Häuptlinge und der fremden Vertreter sind von einer tropischen Eleganz, die durch die im Wind sich wiegenden Palmen und tiefgrüne Brotfruchthaine im Hintergrund noch gesteigert wird. Die schmutzigen Hütten des gewöhnlichen Volks sind vom Ufer aus nicht sichtbar und nichts stört die Schönheit des Bildes. Ein weißer glatter Strand von Kieseln und Korallenbruch umgibt die Bucht und bildet zugleich die Hauptstraße des Ortes, an der die schönsten Häuser stehen; denn Ebbe und Flut sind hier so unbedeutend, daß sie nicht gefährlich werden.Newtons Theorie von den Gezeiten bewährt sich in Taheiti nicht, da das ganze Jahr hindurch die Wasser ausnahmslos mittags und um Mitternacht zu ebben beginnen, während die Flut bei Sonnenuntergang und Tagesanbruch einsetzt. Daher bedeutet der Ausdruck »Tuirar-Po« gleichzeitig Flut und Mitternacht.

An der einen Seite der Bucht liegt ein schönes großes Gebäude, die Villa Pritchard; ein grüner Rasen steigt vom Ufer zum Hause an, auf dem die englische Flagge weht. Jenseits des Wassers machen die Trikolore und das Sternenbanner die Wohnungen der anderen Konsuln kenntlich.

Das Bild war damals noch malerischer, weil am Ende des Hafens das Wrack eines großen Schiffes lag; es war an den Strand getrieben, das Hintersteven war tief im Wasser, das Vorderende lag hoch und trocken. Infolge der Lage des Schiffes ragte das Bugspriet fast senkrecht in die Höhe, die Bäume schienen ihre laubigen Zweige über ihm zu wölben. Es war ein alter amerikanischer Walfischfänger, der leck geworden und mit vollen Segeln auf die Insel zugelaufen war, um dort zu kielholen und die nötigen Ausbesserungen vornehmen zu lassen. Es war jedoch vollkommen seeuntüchtig befunden worden, und man hatte die Ölladung gelöscht und auf einem anderen Schiff fortgebracht; alles Brauchbare wurde entfernt und versteigert, der Rumpf blieb liegen. Neugier trieb mich, ehe ich Taheiti verließ, das arme Wrack, das so am fremden Strand gescheitert war, zu besichtigen, und mit großer Erregung las ich an ihrem Hinterende den Namen einer kleinen Stadt am Hudson. Es kam von dem stolzen Strom, an dessen Ufern ich geboren war, in dessen Wassern ich hundertmal gebadet hatte. Ein paar Augenblicke sah ich Palmen und Ulmen, Kanus und Rennboote, Kirchtürme und Bambusstämme, Vergangenheit und Gegenwart in einer traumhaften Vision durcheinandergleiten.

Der Wunsch der Leute war erfüllt; »Klein-Julchen« lag im Hafen, ihr verrosteter kleiner Anker war in dem Korallenwald am Grund der Bucht von Papiti fest. Seit unserer Abfahrt von den Marquesas mochten etwa sechs Wochen vergangen sein.

Die Segel waren noch nicht aufgegeit, als ein Boot längsschiffs kam und unseren hochgeschätzten Freund, Konsul Wilson, brachte.

»Was ist das? Was ist das, Herr Jermin?« begann er und sah sehr böse aus, als er das Deck betrat; »was führt Sie ohne Befehl herein?«

»Sie sind nicht zu uns gekommen, wie Sie versprachen, Herr, und so ging es nicht weiter ohne Leute, die die Arbeit taten«, war die gerade Antwort.

»Also die elenden Schurken sind starrköpfig geblieben, so? Ganz gut! Dafür werden sie noch Blut schwitzen«, und er betrachtete die finsterblickenden Männer mit ungewohnter Furchtlosigkeit. Er fühlte sich im Hafen viel sicherer als außerhalb des Riffs. »Lassen Sie die Meuterer auf dem Achterdeck antreten,« fuhr er fort, »treiben Sie sie nach achtern, Kranke und Gesunde. Ich will ein Wörtlein mit ihnen reden.«

»Nun, Leute!« sagte er, »ihr glaubt, jetzt steht alles gut für euch, nicht wahr? Ihr wolltet das Schiff im Hafen haben, und es ist da. Kapitän Guy ist an Land, und ihr glaubt, ihr könnt jetzt auch gehen. Aber das werden wir schon sehen: ihr sollt jämmerlich enttäuscht werden! Herr Jermin, rufen Sie die Namen derer auf, die den Dienst nicht verweigert haben, und lassen Sie sie an Steuerbord hinübergehen.«

Als dies geschehen war, wurde eine Liste der »Meuterer«, wie er die übrigen zu nennen beliebte, angelegt. Auch der Doktor und ich wurden auf diese Liste gesetzt, obwohl der erstere vortrat und sich auf die Stellung berief, die er auf dem Schiff eingenommen hatte, als es Sydney verließ. Auch der Steuermann, der immer freundlich gewesen war, betonte den Dienst, den wir zwei Nächte vorher geleistet hatten, sowie mein Verhalten, als er seine Absicht, in den Hafen einzulaufen, angekündigt hatte. Ich selbst hielt unabänderlich daran fest, daß gemäß den zwischen mir und Kapitän Guy getroffenen Abmachungen meine Zeit an Bord des Schiffes abgelaufen war, denn die Fahrt war, aus welchen Gründen immer, tatsächlich zu Ende, und ich verlangte meine Entlassung.

Aber Wilson wollte auf nichts hören. Da ihm immerhin etwas in meinem Benehmen auffiel, so fragte er nach meinem Namen und meiner Heimat, sagte aber dann nur höhnisch: »Aha, Sie sind der Bursch, der den Beschwerdebrief geschrieben hat? Ich werde ein Auge auf Sie haben, mein Junge – treten Sie an Ihre Stelle, Herr!«

Das arme lange Gespenst nannte er einen »Sydneyer Schwindelschlinger«; was er mit diesem wohlklingenden Titel meinte, vermag ich nicht zu sagen. Der Doktor aber sagte ihm darauf seine Meinung derart, daß der Konsul ihm wütend Schweigen gebot, widrigenfalls er ihn ans Tauwerk binden und auspeitschen lassen würde. Kurz, es war uns beiden nicht zu helfen: mitgefangen, mitgehangen. Er schickte uns alle nach vorn, verriet aber mit keinem Wort, was er mit uns vorhatte. Nach einem Gespräch mit dem Steuermann stieg er in sein Boot und begab sich an Bord der französischen Fregatte, die nur eine Kabellänge von uns entfernt lag. Nun ahnten wir, was er im Sinn hatte, und da es einmal soweit war, freuten wir uns darüber. Der Franzose sollte in ein oder zwei Tagen nach Valparaiso absegeln; dort war der Sammelpunkt für das englische Südseegeschwader; zweifellos wollte Wilson uns an Bord der Fregatte schaffen, damit sie uns in Valparaiso abliefere; war diese Vermutung richtig, so war das Schlimmste, was uns zustoßen konnte, eine vielleicht nicht sehr angenehme Heimfahrt auf einem von Ihrer Majestät Schiffen, dann mußten wir über kurz oder lang in Portsmouth entlassen werden.

Wir legten nun alle Kleider an, die wir hatten, eine Jacke und eine Hose über der anderen, um jeden Augenblick zur Übersiedlung bereit zu sein. Kriegsschiffe dulden nichts Überflüssiges auf Deck; sollten wir tatsächlich an Bord der Fregatte gehen, so mußten wir unsere Koffer und ihren Inhalt hier lassen.

Etwa eine Stunde war vergangen, als der erste Kutter der »Reine Blanche« längsseits kam; er war mit achtzehn bis zwanzig Matrosen bemannt, alle mit Messern und Enterpistolen bewaffnet; die Offiziere trugen ihre Seitengewehre; der Konsul hatte sich für die Feierlichkeit einen amtlichen Dreimaster geborgt. Das Boot war in schwarzer »Piratenfarbe« gestrichen. Die Mannschaft bestand aus dunkelhaarigen, finster aussehenden Gesellen, die Offiziere waren ungewöhnlich wild dreinschauende kleine Franzosen. Sie sollten uns offenbar einschüchtern.

Wieder wurden wir nach achtern geschickt, jeder Name einzeln aufgerufen, und nach feierlicher Ermahnung, daß dies unsere letzte Aussicht wäre, der Strafe zu entgehen, nochmals gefragt, ob wir den Dienst noch immer verweigerten. Jeder antwortete ohne Zögern: »Jawohl, Herr, das tue ich.« Einige versuchten Erklärungen hinzuzufügen, die Wilson kurz abschnitt, indem er den Delinquenten befahl, sich an Bord des Kutters zu begeben. Die meisten gehorchten auf der Stelle, ja einige tanzten, hüpften und sprangen dabei, sowohl um zu zeigen, daß sie völlig munter blieben, noch mehr aber, daß sie jede vernünftige Forderung zu erfüllen bereit waren.

Auch die Invaliden hatten erklärt, daß sie kein Tau mehr auf der »Julia« anrühren würden, selbst wenn sie auf der Stelle gesund werden sollten, und so kamen sie mit uns, bis auf die zwei, die an Land gebracht werden sollten; sie waren gleichfalls sehr vergnügt, und es fielen Andeutungen, daß sie wohl nicht so krank sein mochten, wie sie vorgaben. Der Bottler wurde als letzter aufgerufen; wir hörten seine Antwort nicht, aber er blieb an Bord. Mit dem Maori geschah nichts. Als wir vom Schiff abstießen, brachten wir drei laute Hochrufe aus, worauf der Konsul Schwindel-Jack und anderen eine scharfe Rüge erteilte.

»Leb' wohl, ›Klein-Julchen‹!« rief der Marine-Bob, als wir unter dem Bug wegglitten. »Fall' nicht über Bord, Tauchen!« rief ein anderer der armen Landratte zu, die mit Weimontu, dem Dänen und den anderen, die an Bord blieben, uns vom Vorderkastell aus nachblickten.

»Noch drei Hoch für sie!« rief Salem, indem er aufsprang und seinen Hut schwenkte.

»Sie sacré verflugte Lumpe!« brüllte der französische Leutnant, indem er ihm den flachen Degen um die Schultern schlug, »Sie alte nun still!«

Der Doktor und ich waren klüger. Schweigend saßen wir am Vorderende des Kutters. Was mich betrifft, wenn ich auch nicht bereute, was ich getan hatte, so waren meine Gedanken und Empfindungen dennoch alles andere als angenehm.

Wenige Augenblicke später standen wir am Fallreep der Fregatte gereiht; der erste Leutnant, ein älterer Offizier mit gelbem Gesicht und einem schlecht sitzenden Waffenrock mit abgenutzten goldenen Litzen, kam an Deck und sah uns finster an. Sein Kopf war kahl, seine Beine dünn wie Stöcke, ein ungeheurer Schnurrbart hing in seinem Gesicht. Dieser »olle Kambotscher«, denn so wurde er sogleich von unserer Mannschaft getauft, bekam vom Konsul ein Papier, öffnete es und verglich die abgelieferte Ware mit dem Frachtbrief. Wir wurden gründlich nachgezählt, dann wurde ein bescheidener kleiner Seekadett gerufen und wir einem halben Dutzend Kerlen übergeben, die Matrosenmützen und Musketen trugen. Ein wichtigtuender Herr, den wir für einen Schiffskorporal hielten, weil er einen Rohrstock und am Ärmel Goldlitzen trug, schritt voran und führte uns die Leiter hinunter nach dem Zwischendeck. Hier legte man uns höflichst Handschellen an, wobei der Mann mit dem Rohrstock sich alle Mühe gab, aus einem großen wohlassortierten Korb die für jeden passenden auszusuchen. Etwas überrascht über diesen unfreundlichen Empfang murrten einige; aber schließlich wurde alle Schüchternheit überwunden und unsere Füße in schwere Knöcheleisen gesteckt, die an einer großen ans Deck genagelten Stange entlangliefen. Danach konnten wir uns als dauernd eingerichtet betrachten.

»Der Teufel hole ihr altes Eisen!« rief der Doktor, »hätte ich das gewußt, wäre ich nicht mitgekommen!«

»Hahaha!« rief Schwindel-Jack, »jetzt sitzen Sie drin, Doktor, langes Gespenst!«

»Jedenfalls stecken meine Hände und Füße drin«, antwortete der Doktor.

Man gab uns noch eine Schildwache, einen großen unseemännisch aussehenden Kerl, der, mit einem altersschwachen Messer von ungeheuren Dimensionen bewaffnet, auf und ab schritt.

»Gott sei uns gnädig,« rief der Doktor schaudernd, »es muß unangenehm sein, mit solch einem Instrument umgebracht zu werden!«

Bis Abend mußten wir fasten; dann kam ein Junge mit einer Anzahl »Mocken«, die eine dünne safrangelbe Flüssigkeit, enthielten, auf der einzelne Fettaugen schwammen. Der junge Witzbold behauptete, es wäre Suppe; es war aber nur ein öliges Wasser. Jedenfalls war es unsere ganze Mahlzeit. Die Schildwache hatte übrigens die Liebenswürdigkeit, uns vorher die Armbänder abzunehmen, die Mocken gingen von Mund zu Mund und waren bald leer.

Am nächsten Morgen, da die Schildwache uns eben den Rücken wendete, warf jemand – wir vermuteten, ein englischer Matrose – ein paar Orangen zu uns über Bord. Die Schalen benutzten wir später als Tassen.

Am zweiten Tag geschah nichts Erwähnenswertes. Am dritten wurden wir Zeugen einer erheiternden Szene. Ein Mann, den wir für den Bootsmannsmaat hielten, weil er eine silberne Pfeife um den Hals hängen hatte, kam nach unten; er trieb zwei plärrende Jungen vor sich her, und eine ganze Schar verweinter Knäblein folgte. Wie es schien, sollten die beiden ersten auf Befehl eines Offiziers gezüchtigt werden; die anderen waren aus Sympathie mitgekommen. Der Bootsmannsmaat ging auch sogleich ans Werk; er faßte die beiden Schuldigen an ihren weiten Jacken und bearbeitete sie mitleidslos mit seinem Rohrstock. Die anderen Jungen weinten, rangen die Hände und fielen auf die Knie, aber vergeblich, der Bootsmannsmaat schlug gelegentlich auch nach ihnen, worauf sie jedesmal laut aufheulten. Plötzlich erschien ein Seekadett, der dem Mann mit großartiger Miene an Deck zu gehen befahl; dann sprang er auf die Jungen los, die nach allen Richtungen davonliefen.

Mit unendlicher Verachtung sah der Marinebob dieses Verfahren. Er war vor Jahren Vortoppältester auf einem Schlachtschiff gewesen; nach seiner Ansicht war das eine ganz unseemännische, lächerliche und jämmerliche Sache; in der englischen Marine machte man es ganz anders.

 


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