Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfunddreißigstes Kapitel

Es war ein oder zwei Tage später, wir lungerten gerade in der Calabusa Biriteni herum, als drei der französischen Geistlichen uns die Ehre ihres Besuches erwiesen. Da die englischen Missionare uns lediglich ein Paket mit frommen Traktätchen geschickt hatten, fanden wir die französischen viel wohlerzogener. Sie hatten sich in unserer nächsten Nähe angesiedelt; wenn man einen kleinen Spaziergang auf dem Ginsterwege machte, so sah man ein rohgezimmertes Kreuz zwischen den Bäumen und kam bald zu einem ganz reizenden Platz; es war ein sanft gerundeter Hügel, mit alten Brotfruchtbäumen bewachsen, ein Wiesenabhang davor führte zu einem Palmenhain, dazwischen glitzerten die blauen sonnbeglänzten Wogen auf. Auf der Spitze des Hügels stand eine kleine recht einfache Kapelle aus Bambus, über der sich das Kreuz erhob. Wenn die Eingeborenen bei Nacht zwischen den Stäben durchlugten, sahen sie einen kleinen tragbaren Altar, ein Kruzifix, vergoldete Leuchter und Weihrauchgefäße. Weiter ging ihre Neugier nicht; nichts konnte sie bewegen, am Gottesdienst teilzunehmen; die Meßgesänge waren böse Zauberei für sie und die Geistlichen teuflische Hexenmeister.

Dicht neben der Kapelle stand eine Reihe von Häuschen, die einem Häuptling abgemietet und ganz hübsch eingerichtet waren. Die geistlichen Herren wohnten da recht angenehm. Auf den Wegen machten sie einen frommen Eindruck; aber in ihrer Häuslichkeit waren sie ein Klub lustiger Brüder, die nächtens manches Glas mit rotem Likör leerten und spät aufstanden. Sehr schade war, daß sie nicht heiraten konnten, ich meine, um der Damen der Insel und der Moral willen, denn wozu brauchten die geistlichen alten Junggesellen so bildhübsche eingeborene Dienstmädchen? Diese Fräulein waren die ersten Konvertiten und zweifellos voller Hingabe.

Zwei unserer Besucher sahen tatsächlich wie Schwarzkünstler aus, kleine vertrocknete Franzosen, in langen schwarzen Soutanen mit häßlichen dreieckigen Hüten, so groß, daß die ehrwürdigen Herren wie wandernde Pilze aussahen. Ganz anders war der dritte: er trug eine Art gelben Morgenrocks und einen breitrandigen Manilahut, war groß und stämmig, ein sonnengebräunter Fünfziger mit hellen blauen Augen, schönen Zähnen und sprach den unverfälschten Dialekt des Milesius.Ein irischer König im Mittelalter. Kurz, er war ein Irländer. Pater Murphy war sein Name, bei allen protestantischen Missionen wohlbekannt und gründlich verhaßt. Er war in früher Jugend auf ein Priesterseminar in Frankreich geschickt worden, hatte dort die Weihen empfangen und seine Heimat nur ein- oder zweimal wiedergesehen. Er kam munter auf uns zu und fragte sogleich, ob kein Landsmann von ihm unter uns wäre. Da waren ihrer zwei, ein sechzehnjähriger Junge, ein kluger, krausköpfiger Spitzbube, der natürlich Pat hieß. Der andere war ein häßlicher, traurig aussehender Lump, ein gewisser MGee, der sehr früh zur Deportation nach Sydney verurteilt worden war; wenigstens ging so das Gerücht, vielleicht war es Verleumdung. Die meisten meiner rauhen Schiffsgenossen hatten irgendeine versöhnende Eigenschaft; MGee nicht, und bei meinem erzwungenen Verkehr mit ihm habe ich oft bedauert, daß der Galgen sein Teil so spät bekam. Er verriet sich auf den ersten Blick, seine schielenden Augen waren die eines Schurken. Der prächtige Geistliche warf auch nur einen Blick auf ihn und sah sogleich wieder weg; dafür verweilten seine Augen auf Pats gutmütigem Gesicht, der seinerseits mit drolliger Spitzbüberei die ungeheuren Hüte beäugelte, unter denen die zwei kleinen Franzosen wie Schnecken hervorguckten.

Pat und der Geistliche kamen aus derselben Stadt in Meath, und als sie das herausgefunden hatten, da fand Pater Murphy des Fragens kein Ende; Pat war für ihn ein Brief aus der Heimat und noch viel mehr. Die zwei unterhielten sich lange, die Franzosen sprachen ein wenig in gebrochenem Englisch; dann entfernten sich die Besucher, aber Pater Murphy war noch keine hundert Schritt gegangen, als er umkehrte und fragte, ob wir irgend etwas brauchten.

»Ja,« rief einer, »was zu essen!« Darauf versprach er uns selbstgebackenes frisches Weizenbrot zu schicken; das war auf Taheiti ein großer Luxus, und wir alle beglückwünschten Pat zu seinem neuen Freund und sagten ihm, sein Glück sei gemacht.

Am nächsten Morgen erschien denn auch ein französischer Diener des Geistlichen; er brachte ein Bündel Kleider für seinen jungen Landsmann und das versprochene Brot für uns. Da Pats Anzug an Knien und Ellbogen Löcher aufwies, und er wie wir alle innerlich gleichfalls eine große Leere fühlte, waren diese Gaben hochwillkommen. Nachmittags kam Pater Murphy selbst und fügte zu seinen Geschenken viel guten Rat hinzu; er bedauerte, Pat auf schlechten Wegen zu sehen, und sagte, er werde mit dem Konsul sprechen. Nach zwei oder drei Tagen kam er wieder und sagte Pat, Wilson sei unerbittlich und wolle ihn nur in Freiheit setzen, wenn er an Bord seines Schiffes ginge. Der Geistliche bat ihn auch, dies schnellstens zu tun, damit er der drohenden Strafe entginge; aber Pat blieb fest und mit der ganzen Heftigkeit seemännischer Jugend schwor er, daß er durchhalten würde; er war kaum zu beruhigen, und Pater Murphy sagte nichts mehr.

War es, daß Murphy mit dem Konsul gesprochen oder sonst aus einem Grunde, am anderen Tage schickte Wilson nach Pat; unser guter alter Wärter brachte ihn ins Dorf, und er kam erst nach drei Tagen zurück.

Man hatte ihn an Bord gebracht und in der Kabine reichlich bewirtet; da dies nichts nützte, hatten sie ihn in den Laderaum gestoßen, in doppelte Eisen gelegt und auf Brot und Wasser gesetzt; auch das nützte nichts, und so wurde er nach der Calabusa zurückgeschickt. Sie hatten geglaubt, es bei dem Jungen mit Gewalt durchsetzen zu können.

Das Interesse, das sein freundlicher Landsmann an Pat nahm, kam uns allen sehr zustatten; wir wurden sämtlich katholisch und gingen zu Kapitän Bobs schmerzlichem Erstaunen täglich zur Messe. Als er es entdeckte, drohte er uns den ganzen Tag im Stock zu halten, wenn wir nicht damit aufhörten; er führte aber seine Drohung nicht aus, und so gingen wir alle paar Tage nach der Wohnung des Geistlichen und erhielten stets einen Mundvoll Essen und etwas Tüchtiges zu trinken. Besonders der lange Doktor stand bei Pats Freund in großer Gunst; und so manches Mal bewirtete er uns aus einem sonderbaren Reiseetui, das in einer Ecke seiner Wohnung verborgen lag. Es enthielt vier viereckige Flaschen, die immer voll waren und geleert werden mußten. Der nette alte Irländer war ein prächtiger Kerl im Priestergewand. Sein Gesicht und seine Seele glühten in gleicher Weise. Es ist vielleicht nicht recht, daß ich seine Schwäche erwähne, aber er sprach bisweilen schwer und schwankte manchmal beim Gehen. Dennoch trinke ich niemals französischen Likör, ohne auf Pater Murphys Gesundheit zu trinken. Er lebe hoch! Und möge er auf den Südseeinseln viele fröhliche Proselyten machen!

 


 << zurück weiter >>