Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenundfünfzigstes Kapitel

Der Doktor wollte gerne Tameh sehen, ein einsames Dorf im Innern der Insel, das am Ufer eines Sees von beträchtlicher Größe zwischen Wäldern gebettet lag. Von Afreheitu führte ein einsamer Pfad durch die wildeste Landschaft dahin. Wir hatten auch viel von dem See gehört; er war reich an Fischen, die so köstlich schmeckten, daß früher ganze Gesellschaften aus Papiti hinkamen, um zu angeln. Auch wuchsen an seinen Ufern die herrlichsten und besten Früchte der Insel. Die »Wi« oder brasilianische Pflaume erreichte hier die Größe einer Orange, und die prächtige »Arhia«, der rote Apfel von Taheiti, leuchtete dort in tieferen Farben als in irgendeinem anderen Tal. Außerdem fand man in Tameh die schönsten Frauen der ganzen Inselgruppe, die auch noch am wenigsten durch die Berührung mit Europäern verbildet und verdorben waren. Das Dorf lag so fern von der Küste und war von den Zeitungsereignissen so wenig berührt, daß das Leben dort noch fast das gleiche war, wie einst in den Tagen des jungen Otu, des Knaben, der, als Cook nach den Inseln kam, König von Taheiti war. Dahin beschlossen wir zu gehen, eine Zeit dort zu bleiben, dann zum Strande zurückzukehren und rund um die Insel nach Telu zu wandern, einem Hafen, der auf der entgegengesetzten Seite lag.

Wir machten uns sogleich reisefertig. Als ich Taheiti verließ, bestand meine Garderobe nur mehr aus zwei Anzügen, die schon recht abgenützt waren, und um sie zu schonen, hatte ich sie nach Seemannsweise zu einem einzigen zusammengenäht und dabei freilich eine rote Jacke durch Teile einer blauen ergänzt, was eine auffällige Farbenpracht ergab. Der Doktor war nicht viel besser dran. Er hatte sich zuletzt gleichfalls nach Seemannsart kleiden müssen; aber seine leichte baumwollene Jacke war nicht mehr zu brauchen, und er hatte nichts anderes. Der Kleine bot ihm großmütig eine an, die etwas weniger zerfetzt war, aber dieses Almosen wurde stolz abgelehnt: das lange Gespenst zog es vor, die alte taheitische Tracht, die »Rura« anzulegen. Man sieht dieses Kleidungsstück, das einst als Festanzug getragen wurde, jetzt nur noch selten; aber Kapitän Bob hatte uns oft eines gezeigt, das er als Erbstück bewahrte. Es war eine Art Mantel aus gelbem Tappa, ähnlich wie der »Poncho« der südamerikanischen Spanier. Der Kopf wird durch einen Schlitz in der Mitte gesteckt und der Stoff fällt in Falten um den Körper. Tonoi trieb hinreichend grobes braunes Tappa auf, um einen kurzen Mantel dieser Art herzustellen, und in fünf Minuten war der Doktor eingekleidet. Zeke zwar betrachtete diese Toga mit kritischen Blicken; auf unserem Wege, meinte er, zwischen Martehr und Tameh würden wir manche Bäche durchwaten und manchen steilen Felsen erklettern müssen; wenn unser langer Freund in Röcken reisen wollte, würde er besser tun, sie aufzustecken.

Schuhe hatten wir überhaupt nicht. In der bequemen Freiheit, die an der Südsee herrscht, gehen Seeleute meistens barfuß. Meine Schuhe waren an dem Tag, an dem wir das Gebiet des Passat erreichten, über Bord gegangen, und seitdem hatte ich kaum welche getragen. In Martehr wären sie ganz erwünscht gewesen; es waren aber keine zu haben. Auf der Reise, die wir nun vorhatten, waren sie unentbehrlich. Zeke besaß ein Paar gewaltiger alter Stiefel, die wie Sattelsäcke von einem Träger hingen, und überließ sie dem Doktor für ein Messer mit Scheide. Ich machte mir Sandalen aus Stierhaut, wie sie die Indianer in Kalifornien tragen. Die Sohle wird ungefähr nach der Form des Fußes geschnitten und mit drei Lederriemen über dem Spann befestigt; sie waren in einer Minute hergestellt.

Auf dem Kopf trug der Doktor einen alten Panamahut, der aus Grashalmen, fein wie Seidenfäden, geflochten und so elastisch war, daß, wenn man ihn zusammenrollte, er sogleich wieder seine frühere Form annahm. In diesem Sombrero und seiner »Rura« sah er wie ein herabgekommener spanischer Grande aus. Ich in meinem orientalischen Turban war nicht minder elegant. Mein Hut war wenige Tage, ehe wir nach Papiti kamen, über Bord geflogen, und ich hatte ihn durch eine scheußliche schottische Mütze aus Strickwolle ersetzen müssen, die mir zu heiß war. Vergeblich schnitt ich Luftlöcher hinein, sie schienen augenblicklich zuzuheilen. In der Sonnenhitze war das schwere Zeug auf dem Kopf ganz unerträglich. Da veranlaßte mein würdiger Freund Kulu mich, sie ihm zu schenken; ich riet ihm, die ursprüngliche schottische Farbenpracht durch gründliches Aussieden wieder herzustellen. Mir aber legte ich einen Turban zu. Ich nahm eine neue Segeljacke aus buntem Kattun, die dem Doktor gehört hatte, wand sie mir ums Haupt, so daß die Ärmel rückwärts herabfielen und reichlichen Schutz gegen die Sonne sowie gegen einen Regenschauer gewährten. Die herabhängenden Ärmel machten einen großartigen Eindruck, und der Doktor nannte mich den Pascha mit zwei Roßschweifen.

So angetan, machten wir uns auf den Weg nach Tameh, in dessen grünen Salons wir kein geringes Aufsehen zu erregen gedachten.

 


 << zurück weiter >>