Hermann Melville
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Hermann Melville

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Neunundfünfzigstes Kapitel

Es gab einige böse Zungen in Tameh, darum wurde die Sache ziemlich geheimnisvoll aufgezogen. Ein oder zwei Stunden vor Mitternacht kam Rartu, warf uns Kleider aus Tappa über und hieß uns, ihm in einiger Entfernung folgen; solang wir im Dorfe waren, mußten wir unsere Gesichter verhüllen. Wir freuten uns des Abenteuers und folgten ihm. Auf weitem Umweg gelangten wir an den entferntesten Teil des Seeufers. Dort lag ein großer tauiger Platz, vom vollen Mond beschienen und mit einem Teppich kleiner dichter Farnkräuter bewachsen, der sich bis zum Wasser herabzog. Man sah die Lichter im Dorf gegenüber unter den Hainen schimmern. Am Rande der Lichtung lag ein großer verfallener Steinhaufen, auf dem einst ein Tempel Oros gestanden hatte. Jetzt stand nur noch eine Hütte auf der untersten Terrasse, in der, wie es schien, heimisches Tuch hergestellt wurde. Zwischen dem Bambus sahen wir Lichter aufleuchten, die lange dünne Schatten auf den Boden warfen; wir hörten auch Stimmen. Wir standen daher auf und sahen nach den Tänzerinnen, die sich fertig machten. Es waren ihrer etwa zwanzig; eine Anzahl häßlicher alter Weiber, offenbar Duennas, waren ihnen behilflich. Das lange Gespenst meinte, man sollte die Alten nach Hause schicken; aber Rartu sagte, das ginge nicht, und sie blieben. Wir wollten nun in die Hütte, aber das Tor war fest verschlossen. Es folgte eine heftige Diskussion mit einer der alten Hexen drinnen, unser Führer wurde unruhig und ersuchte uns, das zu lassen, sonst würden wir alles verderben. Wir mußten in einiger Entfernung warten, da die Mädchen unerkannt zu bleiben wünschten, und versprechen, nicht näher zu kommen, als bis alles vorüber wäre.

Wir warteten ungeduldig; endlich kamen sie. Sie trugen kurze Röckchen aus weißem Tappa und Blumenkränze im Haar. Die alten Weiber folgten ihnen, blieben aber in einer Gruppe am Haus stehen, während die Mädchen ein paar Schritte vortraten; einen Augenblick später standen zwei von ihnen, die größer waren als die anderen, nebeneinander, während die übrigen mit verschlungenen Händen einen Ring um sie schlossen. All dies geschah in tiefem Schweigen. Jetzt reichten die beiden Mädchen einander über ihren Häuptern die Hände und begannen, »Ehlu! Ehlu!« rufend, die Arme hin und her zu bewegen. Gleichzeitig begannen die anderen sich langsam im Kreise zu drehen, wobei die Tänzerinnen mit ein wenig gesenkten Armen seitwärts ausschritten. Immer schneller bewegten sie sich und flogen zuletzt in der Runde; die Busen wogten, das Haar flatterte, die Blumen fielen, und ihre funkelnden Augen schienen einen leuchtenden Kreis zu bilden.

Indessen wechselte das Paar in der Mitte unaufhörlich den Platz, indem sie Tanzschritte aneinander vorüber machten. Sich zur Seite beugend, so daß das lange Haar überfiel, glitten sie hin und her; den einen Fuß beständig erhoben, während die Finger im Mondlicht wirbelten. »Ehlu! Ehlu!« riefen sie wieder; trafen sich in der Mitte des Kreises, schlossen wieder die erhobenen Hände zum Bogen und standen bewegungslos.

»Ehlu! Ehlu!« – Der Kreis bricht auseinander, und tiefatmend stehen alle Mädchen still. Ein oder zwei Augenblicke hört man sie keuchen, und dann, während die tiefe Röte von den Wangen weicht, schreiten sie alle gleichzeitig rückwärts, so daß der Kreis viel weiter wird. Wieder schwingen die zwei Führerinnen ihre Hände, während die anderen weit entfernt im stillen Mondlicht wie schattenhafte Elfen im Kreise stehen. Jetzt stimmen sie einen seltsamen Gesang an und beginnen sich langsam zu bewegen, werden allmählich schneller, bis sie sich zuletzt für einige leidenschaftliche Augenblicke, mit pochenden Brüsten und glühenden Wangen, dem Tanz völlig hingeben und alles andere vergessen. Dann werden die Bewegungen wieder matt und langsam wie vorher, bis sie regungslos stillstehen und plötzlich alle, vorwärtsstürzend, mit einem wilden Chorgesang einander schwindelig in die Arme sinken.

Das ist der Lory-Lory: der »Tanz der rückwärtsgleitenden Mädchen« von Tameh.

Die ganze Zeit hatten wir den Doktor mit Mühe festgehalten, der unter sie stürzen, sich eine Partnerin holen und mittanzen wollte.

An diesem Abend wollten sie uns nichts mehr zeigen. Rartu schleppte uns zu einem Kanu, und widerwillig schifften wir uns ein und paddelten nach dem Dorf hinüber, wo wir noch rechtzeitig ankamen, um vor Sonnenaufgang noch ein paar Stunden gut zu schlafen.

Am nächsten Morgen wollte der Doktor die nächtlichen Tänzerinnen ausfindig machen. Er hoffte sie an ihrem späten Aufstehen zu erkennen; aber er wurde schwer enttäuscht: denn das ganze Dorf lag noch in tiefem Schlaf, und eine Stunde später waren alle wach. Im Lauf des Tages begegnete er mehreren, denen er sogleich sagte, sie wären beim Hiwar gewesen. Es standen einige fremd und anständig aussehende ältere Leute dabei, und die Mädchen sahen verlegen drein, wußten ihm aber sehr geschickt zu erwidern. Denn wenn die Damen von Tameh auch im allgemeinen sanft wie Tauben sind, so haben sie doch den Teufel im Leibe und wissen es zu zeigen; als der Doktor gegen eine von ihnen zudringlich wurde, drehte sie sich um, gab ihm eine Ohrfeige und hieß ihn »Herih perrar!« »sich wegtrollen«.

 


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