Hermann Melville
Omu
Hermann Melville

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Nirgends ist das eigentümliche Leben der Seeleute so wild und abenteuerlich wie in der Südsee. Die Schiffe in diesen fernen Wassern betreiben zumeist die Jagd auf Pottwale; ein Geschäft, das die wüstesten und waghalsigsten Seeleute aller Nationen anzieht und sie noch zügelloser macht. Die Fahrten dauern ungewöhnlich lange und sind gefährlich; die einzigen erreichbaren Häfen liegen auf wilden oder halbzivilisierten Inseln Polynesiens oder an der Westküste Amerikas, an der gleichfalls Gesetzlosigkeit herrscht. Daher kommt es, daß auf den Schiffen im Stillen Ozean, auch abgesehen von den Gefahren der Walfischjagd, die merkwürdigsten Dinge sich ereignen.

Nicht diese Jagden sollen hier geschildert werden, sondern das Leben auf den Schiffen, und zwar sollen des Autors eigene Erlebnisse erzählt werden.

Im Sommer 1842 kam er, als einfacher Vordergast auf einem amerikanischen Südseefahrer, nach den Marquesas-Inseln. Auf der Insel Nukuhiva verließ er sein Schiff, das später ohne ihn absegelte, und kam auf der Wanderung durch die Insel in das Tal von Taïpi, in dem ein wilder Stamm im Urzustand lebt. Einem Schiffskameraden, der ihn begleitete, gelang es, bald aus dem Tal zu entfliehen. Der Autor wurde etwa vier Monate in milder Gefangenschaft gehalten; dann entkam auch er in einem Boot, das in die Bucht eingefahren war. Diese Ereignisse sind in dem Buche »Taïpi« geschildert.

Das Boot gehörte zu einem Schiff, das Not an Mannschaft hatte und kürzlich in einen benachbarten Hafen auf der gleichen Insel eingelaufen war. Dort hatte der Kapitän gehört, daß der Autor in Taïpi gefangengehalten wurde, war um die Insel herum nach der Bucht gesegelt und lag auf der Höhe der Einfahrt »beigedreht«. Da die Taïpi als ein feindlicher Stamm galten, wurde das Boot mit Eingeborenen aus einem anderen Hafen, die »tabu«, also unverletzlich, waren, bemannt, und mit einem Dolmetscher, der die Freilassung des Autors erwirken sollte, ans Ufer gesandt. Das Ziel wurde nicht ohne Gefahr für alle Beteiligten schließlich erreicht. Zur Zeit seiner Flucht war der Autor leidend und an einem Bein gelähmt. Als das Boot die offene See erreichte, wurde das Schiff in der Entfernung sichtbar. Damit beginnt die vorliegende Erzählung, die dort anfängt, wo »Taïpi« aufhört.

Der Autor hat auf seinen Wanderungen und Fahrten in der Südsee kein Tagebuch geführt, so daß ihm, als er daran ging, seine Erlebnisse niederzuschreiben, eine vollkommene Genauigkeit in den Daten nicht möglich war. Er berichtet aus der Erinnerung; er hat indessen alles so oft mündlich erzählt, daß die Ereignisse sich ihm sehr scharf ins Gedächtnis geprägt haben.

Außer dem Leben auf einem Walfischfänger wünscht der Autor auch eine intime Darstellung der Lage der christlichen Polynesier zu geben, wie sie durch den mannigfachen Verkehr mit Europäern und durch das Wirken der Missionare sich gestaltet hat. Als umherstreifender Seemann verbrachte der Autor ungefähr drei Monate in verschiedenen Gegenden der Inseln Taheiti und Imio, und unter Umständen, die ihm sehr eingehende Beobachtungen gestatteten. Bei allem, was über das Wirken der Missionare gesagt wird, hat der Autor sich gewissenhaft an die Tatsachen gehalten und gelegentlich die Bemerkungen früherer Reisender herangezogen, die seine Beobachtungen bestätigen. Nur der ernste Wunsch, die Wahrheit festzustellen und das Gute zu fördern, veranlaßt ihn, das Thema zu berühren; und wenn er keinen Weg angibt, die üblen Zustände, die er schildert, zu bessern, so geschieht es in der Meinung, daß, wenn die Tatsachen einmal bekannt sind, andere hierzu fähiger und berufener sein dürften. Wenn Eigenheiten der Taheitier oft scherzhaft dargestellt sind, so geschieht es doch nicht aus Spottlust: die Dinge sind einfach so geschildert, wie sie in ihrer fast unglaublichen Seltsamkeit dem unvoreingenommenen Beobachter erschienen.

Von den unvollständigen Wörterbüchern der polynesischen Dialekte, die bisher veröffentlicht sein sollen, hat der Autor keines zu Gesicht bekommen. Worte der Eingeborenensprache sind daher rein nach dem Klang wiedergegeben. Über die Geschichte Taheitis und verschiedene ältere Gebräuche hat der Autor auch in den frühesten Reiseberichten sowie in Ellis' »Polynesischen Forschungen« Belehrung gesucht.

Der Titel des Buches »Omu« ist der Sprache der Marquesas-Inseln entnommen, wo das Wort unter anderem »Herumstreicher« bedeutet, oder eigentlich einen Menschen, der von einer Insel zur anderen zieht, wie dies manche Eingeborene tun, die unter ihren Landsleuten als »tabu kanakas« bekannt sind.

 


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