Hermann Melville
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Hermann Melville

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Von dem Saufgelage erschöpft, gingen die meisten früh nach unten und überließen das Deck dem Steward und zwei anderen, die Wache hatten. Der Steuermann wollte sie mit Baltimore und dem Dänen um Mitternacht ablösen. Dann sollte das Schiff, das jetzt unter wenig Tuch beigedreht lag, gewendet werden.

Bald nach Mitternacht wurden wir in der Back durch Jermins Löwengebrüll geweckt, der die Klüverfallen aufzuholen befahl, und bald darauf schlug eine Handspake ans Luk und alle Mann wurden an Deck gerufen, um das Schiff in den Hafen zu bringen.

Das kam völlig unerwartet; aber wir vernahmen sogleich, daß der Steuermann, da er jede Hoffnung, die Leute umzustimmen, aufgegeben und zu dem Konsul kein Vertrauen mehr hatte, sich plötzlich entschlossen hatte, einzulaufen. Er wollte bis zum Hafeneingang aufkreuzen, um vor Sonnenaufgang nach einem Lotsen zu signalisieren. Trotzdem weigerten sich die Matrosen absolut, irgend etwas auf dem Schiff zu tun, und blieben auf all meine und des Doktors Bitten taub. Mochte das Schiff sinken oder auflaufen, sie schworen, sie würden nichts mehr anrühren. Dieser dumme Eigensinn kam zum großen Teil von ihrem wüsten Saufen her.

Es wehte eine steife Brise, alle Segel waren beigesetzt, und das Schiff wurde von vier oder fünf Mann bedient, die von zwei durchwachten Nächten erschöpft waren. Das war ein schlimmer Zustand, um so mehr, als der Steuermann immer gleich unbekümmert und waghalsig blieb und wir das Schiff mehrmals dicht am Ufer wenden mußten. Da ich genau wußte, daß, wenn dem Schiff vor Tag ein Unfall begegnete, dies dem Verhalten der Mannschaft zugeschrieben werden und, wenn sie vor ein Seegericht kamen, sehr ernste Folgen haben mußte, so rief ich alle an Deck zu Zeugen an, daß in dem Augenblick, da die »Julia« in den Hafen einfahren sollte, somit alles, was ich gewollt, geschah, ich meinerseits bereit war, alles zu tun, sie sicher hineinzubringen. Der Doktor gab die gleiche Erklärung ab.

So vergingen ängstliche Stunden bis zum Morgen; als die Sonne aufging, befanden wir uns luvwärts von der Hafeneinfahrt und segelten auf sie zu, den Union-Jack am Bug. Aber nirgends sahen wir ein Boot oder einen Lotsen, und nachdem wir mehrmals dicht herangesteuert waren, wurde die Flagge an der Besanpiek gesetzt als Zeichen der Seenot. Aber auch das half nichts. Jermin gab Wilson die Schuld an dieser unglaublichen Lässigkeit, und wütend beschloß er, kühn auf eigene Verantwortung einzulaufen. Er war vor vielen Jahren einmal in dem Hafen gewesen und verließ sich auf sein Gedächtnis. Der Entschluß war für den Mann kennzeichnend. Selbst mit einem tüchtigen Lotsen an Bord ist die Einfahrt in die Bucht von Papiti nicht ungefährlich. Das Ufer macht eine scharfe Kurve und bildet die Bucht, die seewärts durch ein Korallenriff geschlossen ist, an das die Seen unaufhörlich in heftiger Brandung schlagen. Das Riff zieht sich etwa acht oder neun Meilen weit quer durch die Bai, bis zur Venusspitze im Distrikt von Metaveh, am nördlichsten Punkt der Insel, der diesen Namen führt, weil Cook bei seinem ersten Besuch dort sein Observatorium hatte. Dort befindet sich eine Öffnung, durch welche Schiffe einlaufen und durch den glatten tiefen Kanal zwischen Riff und Ufer in den Hafen fahren. Aber die Seeleute pflegen die Einfahrt an der Leeseite vorzuziehen, da der Wind innerhalb des Riffs sehr unstet ist. Diese Einfahrt ist eine Öffnung im Riff gerade gegenüber der Bucht und dem Dorf von Papiti. Sie ist aber sehr eng, und bei den unverläßlichen Winden, den Strömungen und den Felsen, die unter der Wasserfläche liegen, kommt es gelegentlich vor, daß ein Schiff auf die Korallen läuft.

Aber dem Steuermann war nicht bange. Er stellte die Leute, die er hatte, an die Brassen, sprang selbst auf die Schanzen, hieß jeden scharf aufpassen und befahl das Ruder zu legen. Wenige Augenblicke später liefen wir ein. Gegen Mittag flaute der Wind rasch ab, zu beiden Seiten brüllte die Brandung, und es blieb uns kaum Fahrt genug, daß das Schiff dem Steuer gehorchte; dennoch glitten wir weiter, wichen den grünen dunklen Flecken, die da und dort in unserem Weg lagen, geschickt aus, Jermin sah gelegentlich ins Wasser hinab und dann wieder um sich, vollkommen ruhig und ohne ein Wort zu sprechen, und wir kamen glatt durch. Leicht, wie von fächelnden Lüften getrieben, waren wir nach wenigen Minuten außer Gefahr und schwammen in dem stillen Becken innerhalb des Riffs. Es war die prächtigste Leistung, die ich von dem Manne gesehen habe.

Als wir auf die Fregatte und die anderen Fahrzeuge im Hafen zuhielten, kam ein Kanu zwischen ihnen heraus und lief auf uns zu. Ein Knabe und ein alter Mann, beide Insulaner, saßen darin; der Knabe fast nackt, der andere trug einen alten Marineuniformrock. Beide paddelten mit aller Macht, der Alte riß von Zeit zu Zeit sein Ruder aus dem Wasser und schlug dem Jungen damit über den Kopf, worauf beide mit frischer Kraft losruderten. Als sie in Rufweite gekommen waren, sprang der Alte auf, schwang sein Ruder und machte die verrücktesten Bewegungen; dabei quasselte er die ganze Zeit irgend etwas, das wir zunächst nicht verstanden. Endlich konnten wir soviel vernehmen: »Ah! Ihr pimi, ah! Ihr kommen! Warum ihr kommen? Ihr Strafe zahlen für Kommen kein Lotse. Ich sagen, ihr hören? Ich sagen, ihr eita metui (nicht gut). – Ihr hören? Ihr kein Lotse! – Ja, ihr verflucht! Ihr kein Lotse, gar nicht. Ich sagen: verflucht, ihr hören?!«

Diese Ansprache, die, was immer der lästernde alte Kerl meinen mochte, bewies, daß er es ernst meinte, wurde mit lautem Gelächter beantwortet. Das brachte ihn völlig zur Raserei; der Junge, der mit eingehaltenem Ruder um sich guckte, bekam ein tüchtiges Kopfstück, worauf er schnell wieder die Arbeit aufnahm und das Kanu ganz nahe herantrieb. Hier begann der Redner aufs neue, und es zeigte sich, daß seine heftige Ansprache an den Steuermann gerichtet war, der noch immer, sehr deutlich sichtbar, auf den Schanzen stand. Jermin war nicht spaßhaft zumut; mit einem Fluch hieß er den Kerl sich trollen. Da wurde der Alte verrückt vor Wut und fluchte ärger, als ich es je von einem zivilisierten Menschen gehört. »Ihr sabbiAus dem französischen Wort »savez« verdorben, unter den Seeleuten aller Nationen gebraucht und auch den Bewohnern Polynesiens geläufig. mich?« schrie er, »ihr kennen mich ah? gut; mich Jim, mich Lotse, lang schon Lotse!«

»Was?!« rief Jermin überrascht, wie wir alle, »der Lotse bist du, du alter Heide? Ja, warum bist du denn da nicht längst herausgekommen?«

»Ah! mich sabbi – mich wissen – du Pirati – sehen dich lange schon, aber nein mich kommen – ich sabbi dich eita mete nui (unerhört schlecht).«

»Schau', daß du fortpaddelst!« brüllte Jermin wütend, »fort mit dir, oder ich schmeiß' eine Harpune nach dir!«

Aber anstatt zu gehorchen, faßte Jim sein Ruder, ließ das Kanu gerade aufs Fallreep zuschießen und stand mit zwei Sprüngen an Deck. Er zog ein fettiges, seidenes Schnupftuch, das er auf dem Kopf trug, tiefer in die Stirn, gab seinem Marinerock einen kräftigen Riß, um ihn besser sitzen zu machen, dann schritt er auf den Steuermann zu und gab ihm in bilderreicher Rede zu verstehen, daß der gefürchtete Jim selbst vor ihm und das Schiff unter seinem Kommando stehe, bis der Anker ausgeworfen wäre, und daß er hören wolle, wer etwas dagegen zu sagen wage!

Da kaum ein Zweifel blieb, daß er im Recht war, wurde ihm die »Julia« schließlich übergeben. Und nun ging der Edle daran, uns vor Anker zu bringen, sprang zwischen die Ohrhölzer und heulte: »Luf! Luf! Halti ab! Halti ab!«

Er verlangte, daß der Mann im Ruder ihm jedesmal ehrerbietig antwortete. Wir machten schon fast keine Fahrt mehr, und doch trieb der leidenschaftliche alte Kerl es mit seinen Kommandos so toll, als wäre er der Fliegende Holländer in einer Sturmbö.

Jim war wirklich der angestellte Hafenlotse, und das war eine Stellung, die nicht wenig einbrachte, und die wenigstens in seinen Augen eine ungeheure Bedeutung hatte. Daß wir so ohne weiteres eingefahren waren, erschien ihm daher als ein schwerer Schimpf, der sowohl der Würde als der Einträglichkeit seines Amtes Abbruch tat.In den letzten Jahren haben mehr als 150 Segler jährlich Taheiti angesteuert. Es sind meistens Walfischfänger, die in der Nähe jagen. Die Hafengebühren, die in die Kasse der Königin fließen, sind so hoch, daß schon oft Beschwerde darüber geführt wurde. Jim bekam, glaube ich, fünf Silberdollar für jedes Schiff, das er hineinbrachte.

 


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