Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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100. Novelle
Der keusche Liebhaber

In der guten, mächtigen und reich bevölkerten Stadt Genua lebte vor einiger Zeit ein angesehener, mit Gütern und Reichtümern sehr gesegneter Kaufmann, der stattliche Waren übers Meer nach fremden Ländern und besonders nach Alexandria zu führen pflegte. Während der ganzen Zeit seines Lebens, von seiner zarten Jugend an bis zum fünfzigsten Jahr, hatte er keinen andern Wunsch und Drang, als auf dem Schiffe dem Gewinn nachzufahren und Schätze und große Reichtümer anzuhäufen. Wie er nun einmal, als er dieses Alter erreicht hatte, über sich nachdachte, erkannte er, daß er sein ganzes Leben lang nur auf das Mehren und Wachsen seiner Güter bedacht gewesen war, ohne je nur einen Augenblick an das gedacht zu haben, wozu ihn seine Natur hinzog, nämlich sich zu verheiraten und Nachkommenschaft zu haben, die seine mit großem Fleiß und vieler Mühe erworbenen und aufgestapelten Güter erben und ihm in ihrem Besitz nachfolgen könnte; und darob empfand er in seinem Herzen bittern, stechenden Schmerz, und er ward über alle Maßen traurig, seine Jugend so verbracht zu haben.

In diesem bekümmerten, reuevollen Zustande verbrachte er mehrere Tage; währenddessen fanden sich in der obengenannten Stadt die größeren und kleineren Kinder nach einem Fest, das sie jedes Jahr zu feiern und bei dem sie sich verschieden und manchmal recht merkwürdig, die einen so, die andern so, zu verkleiden und zu vermummen pflegten, in großer Zahl auf einem Platze ein, wo gewöhnlich die öffentlichen und herkömmlichen Feste der Stadt gefeiert wurden, um in Gegenwart ihrer Väter, Mütter und Freunde sich ihren Spielen hinzugeben und Lob, Preis und Ruhm davonzutragen. Hierbei erschien auch der gute, von Gedanken und Sorgen erfüllte Kaufmann. Und als er die Väter und Mütter über die Spiele, Kunststücke und Turnübungen der Kinder große Freude äußern sah, ward sein Herz noch mehr als früher vom Schmerz bedrückt, und da er es nicht mehr ansehen konnte, kehrte er traurig und nachdenklich nach Hause zurück, wo er sich eine Weile in Klagen erging. »O ich armer, unglücklicher alter Mann, immer ist's mir elend ergangen, und so wird's mir auch künftighin ergehen! Wie ist doch mein Schicksal hart, bitter und übel! O du elender Mensch, der du viel mehr als alle andern zu bedauern und zu bemitleiden bist, wieviel Nächte hast du doch gewacht, wieviel Mühsal, Strapazen und Arbeit hast du nicht zu Wasser und Lande getragen! Dein großer Reichtum und deine aufgehäuften Schätze nutzen dir nichts. Unter gefährlichen Abenteuern, in harten, heißen Mühen hast du sie zusammengetragen und aufgehäuft. Dein ganzes Leben lang hast du dich um sie gesorgt und niemals im geringsten daran gedacht, wer, wenn du gestorben und aus dieser Zeitlichkeit gegangen bist, sie besitzen wird und wem du sie nach menschlichem Gesetz zum Andenken an dich und deinen Namen hinterlassen wirst. O du arges Herz, weshalb hast du das so ganz versäumt, worauf du einzig hättest bedacht sein müssen! Niemals hast du an der Ehe Freude empfunden, stets sie geflohen, gefürchtet und verweigert, hast sogar die trefflichen, rechten Ratschläge derer gehaßt und verachtet, die darauf abzielten, dir eine Frau zu werben, damit dein Name, dein Ruhm und deine Ehre fortleben! O wie glücklich sind doch die Väter, die gute, kluge Kinder als Nachfolger hinterlassen! Wie viele Väter habe ich doch heut bei den Kinderspielen bemerkt, die sich glücklich nannten und erklären würden, ihre Jahre nicht verloren zu haben, wenn sie nach ihrem Tode nur einen kleinen Teil der Güter, die ich besitze, ihren Kindern hinterlassen könnten. Aber welche Freude, welchen Trost kann ich jemals haben, was für ein Name, was für ein Ruf wird mir nach meinem Tode werden? Wo ist der Sohn, der nach meinem Scheiden meiner gedenken wird? Gesegnet sei die heilige Ehe, durch die das Andenken und Gedächtnis der Väter sich erhält, deren Besitz und Erbe durch ihre freundlichen Kinder zu ewiger Dauer verholfen wird.«

Als der gute Kaufmann eine lange Zeit also sich selbst angeklagt hatte, schloß er, nachdem er das Heilmittel gefunden, seine Reden folgendermaßen: »Nun wohl, trotz der Zahl meiner Jahre brauche ich mich nicht von Schmerzen, Ängsten und Gedanken bestürmen und quälen zu lassen. Was ich bisher getan, war ganz recht, und ich kann mich mit den Vögelchen vergleichen, die ihr Nest gebaut und eingerichtet haben, ehe sie darin brüten. Ich habe, Gott sei Dank, Reichtümer genug für mich, eine Frau und mehrere Kinder, wenn solche mir beschieden sind, bin noch nicht so alt und ermangle noch nicht dermaßen der natürlichen Kraft, daß ich mich darum sorgen und die Hoffnung aufgeben müßte, noch Nachkommenschaft zu bekommen. Nun muß ich von ganzem Herzen nach einer Frau streben, die für mich paßt und geeignet ist.«

Damit schloß er sein langes Selbstgespräch, verließ das Zimmer und bat zwei seiner Gefährten, Seeleute wie er, zu sich, erklärte ihnen offen, wie es um ihn stehe, und ersuchte sie herzlich, ihm ihren Beistand zu leihen und eine Frau für ihn ausfindig zu machen, denn das sei sein größter Wunsch.

Als die beiden Kaufleute den guten Vorsatz ihres Genossen vernommen hatten, lobten und priesen sie ihn höchlichst und erklärten sich bereit, allen Fleiß und Eifer aufzuwenden, um für ihn eine Frau zu finden. Während sie treu auf die Suche gingen, gebärdete sich unser Kaufmann, von größter Heiratslust erfüllt, wie ein verliebter Jüngling und suchte in der ganzen Stadt unter den schönen Mädchen nach der jüngsten. Um die andern bekümmerte er sich nicht. Er suchte so lange, bis er ein Mädchen, wie er es wünschte, gefunden hatte; es stammte von ehrbaren Eltern ab, war über alle Maßen schön, jung, ungefähr fünfzehn Jahre alt, schmuck, freundlich und wohlerzogen. Nachdem er ihre Tugenden und ihm genehmen Lebensumstände erkundet hatte, faßte er den heißen Wunsch, sie durch rechtmäßige Ehe zur Herrin seiner Güter zu machen und warb um sie bei ihren Verwandten und Freunden, die nach einigen, bald beseitigten Schwierigkeiten in sein Begehren willigten. Und zur selben Stunde ward die Verlobung gefeiert, und er stellte das Wittum, das er ihr zuwenden wollte, sicher. Hatte der gute Kaufmann, solange er seinen Handel trieb, größte Freude an ihm gehabt, so wuchs sie jetzt noch viel mehr, als er sich verheiratet sah und besonders mit solch einer Frau, von der er schöne, liebenswerte Kinder empfangen konnte.

Das Hochzeitsfest ward in allen Ehren und mit großer Pracht gefeiert, und danach änderte und vergaß er seine frühere Lebensweise, seine Seefahrten und ließ sich's wohl sein und hatte von ganzem Herzen Freude an seiner schönen freundlichen Frau. Doch es währte nicht lange, da ward er dessen überdrüssig; denn ehe noch das erste Jahr verflossen war, ward es ihm zuwider, daheim müßig zu bleiben und so zu leben, wie es verheirateten Leuten zukommt. Er dachte mit großem Bedauern an seinen Kaufmannsberuf und seine Seefahrten und meinte, es sei ihm früher besser und schöner ergangen als jetzt, wo er ein Leben führte, das er sich zuerst Tag und Nacht gewünscht hatte. Er dachte und grübelte nur darüber nach, wie er nach alter Art nach Alexandria kommen könnte, doch meinte er, es sei nicht nur schwer, zu Schiffe zu gehen, über das Meer zu fahren und all seinen Besitz zu verlassen, es sei sogar das unmöglichste Ding auf der Welt. Obwohl er sich fest entschlossen hatte, zu seinem Beruf zurückzukehren und von dannen zu gehen, beschäftigte ihn unaufhörlich der Gedanke an seine Frau, denn er fürchtete, seine Absicht würde ihr Kummer bereiten. Was ihn auch sein Vorhaben auszuführen hinderte und ihm die größten Bedenken machte, war der Umstand, daß seine Frau so jung und er fest davon überzeugt war, daß sie in seiner Abwesenheit ihre Treue nicht halten würde. Er bedachte auch die Unbeständigkeit und das Abwechslungsbedürfnis des weiblichen Herzens und argwöhnte, zumal jetzt schon die jungen Galane in seiner Gegenwart oft vor der Tür vorübergingen, um seine Frau zu sehen, sie könnten späterhin sie aufsuchen, und der Zufall würde sie zu seinen Stellvertretern machen. Nadidem er lange Zeit sich mit diesen Schwierigkeiten und mannigfachen Gedanken geplagt hatte, ohne davon ein Wort verlauten zu lassen, sprach er, nachdem er erkannt hatte, daß er sich als ein Mann, der sein Leben schon zum größten Teil hinter sich hatte, um Frau, Ehe und das ganze Hauswesen nicht zu kümmern brauchte, und nachdem er allen Gedanken und Einwänden, die ihm den Kopf verwirrt hatten, kurz ein Ende gemacht hatte, folgendermaßen: »Ich will lieber leben als sterben, und wenn ich nicht in Kürze mein Hauswesen verlasse, weiß ich ganz genau, daß ich nicht mehr lange leben kann. Soll ich also diese schöne freundliche Frau verlassen? Ja, ich will es tun. Sie soll von nun an für sich selbst Sorge tragen, wenn es ihr beliebt, ich will mich nicht mehr damit beschweren. Ach, was soll ich nur machen? Welche Schande und welch Kummer käme über mich, wenn sie nicht Treue hielte und ihre Keuschheit bewahrte? Ich will lieber leben als sterben, indem ich Sorge dafür trage, daß sie sie bewahrt. Das wolle Gott nicht, daß ich um des Leibes einer Frau willen mich mit einer so großen Sorge belaste! Ich würde keinen andern Lohn und keine andere Vergeltung dafür haben als körperliche und seelische Qual. Nehmt mir diese grausamen Gedanken und Ängste, unter denen die meisten Menschen leiden und die sie veranlassen, bei ihren Frauen zu bleiben. Es gibt nichts Grausameres auf dieser Welt und nichts, was die Menschen mehr niederdrückt. Gott wolle mich nicht so lange leben lassen, daß in meiner Ehe dergleichen durch irgendeinen Zufall geschähe. Ich würde darüber sehr bekümmert und traurig sein. Jetzt muß ich die Freiheit und den Spielraum haben, um alles, was mir Freude macht, zu tun.«

Als der gute Kaufmann sein langes Selbstgespräch beendet hatte, fand er sich mit seinen Genossen, den Seeleuten, zusammen und erklärte ihnen, er wolle noch einmal Alexandria besuchen und Waren dorthin bringen, wie sie es oft mit ihm zusammen getan; aber er sprach ihnen nicht von den kummervollen Gedanken, die er sich über seine Frau gemacht hatte. Sie waren gleich einverstanden und erklärten ihm, er solle sich beim ersten günstigen Wind bereit halten. Die Schiffe und Fahrzeuge wurden mit den Waren beladen, klargemacht und an Plätze gebracht, wo sie nur auf günstigen Wind warteten, um in See zu stechen.

Der gute Kaufmann, der auf seiner Absicht noch ebenso fest wie tags zuvor beharrte, befand sich nach dem Abendessen mit seiner Frau allein auf seinem Zimmer, entdeckte ihr seine Absicht und den Plan seiner künftigen Reise, verbarg seine Freude und sagte ihr: »Meine treue Gattin, die ich mehr als mein Leben liebe, macht, ich bitte Euch, ein frohes Gesicht, zeigt Euch heiter, und laßt Euch bei dem, was ich Euch erklären will, nicht von Kummer und Traurigkeit anwandeln. Ich habe die Absicht, noch einmal mit Gottes Willen Alexandria aufzusuchen, wie ich es lange Zeit getan. Und ich meine, Ihr dürft darüber nicht betrübt sein, da Ihr ja wißt, daß dies früher mein Lebensberuf, mein Gewerbe und mein Geschäft gewesen ist, wodurch ich Reichtümer, Häuser, einen weitbekannten Namen, einen guten Ruf erworben und viele Freunde und Bekannte gefunden habe. Die schönen, reichen Kleider, Ringe, Schmucksachen und alle andern kostbaren Dinge, mit denen Ihr, wie keine andere Frau in dieser Stadt, wohlversehen und geziert seid, habe ich, wie Ihr wohl wißt, durch den Gewinn aus meinem Handel erworben. Diese Reise also soll Euch nicht bekümmern, seid nicht traurig darüber, denn ich kehre in Kürze zurück und verspreche Euch, wenn ich diesmal, wie ich hoffe, von Glück gesegnet bin, niemals mehr dorthin zu gehen und diesmal für immer davon Abschied zu nehmen.

Ihr müßt also jetzt guten, festen Mutes sein, ich lasse Euch die Verfügung und Verwaltung aller meiner Güter; doch bevor ich abreise, will ich Euch einige Ratschläge geben. Zuerst bitte ich Euch, seid fröhlich, während ich auf meiner Reise bin, und lebt vergnügt. Wenn ich nur ein wenig die Gewißheit habe, Ihr seid es, so werde ich viel heiterer meinen Weg machen. Zweitens: Ihr wißt, zwischen uns beiden soll alles klar und offen sein, denn Ehre, Nutzen und Ruf müssen, so wie ich glaube, daß sie es sind, zwischen uns beiden gleich sein, und Lob und Ehre des einen kann nicht ohne den Ruhm des andern bestehen, ebenso wie die Unehre des einen die Schande aller beider mit sich bringt. Ihr müßt nun nicht denken, als wäre ich allen Verstandes bar, wenn ich Euch, eine junge, schöne, freundliche, lebenslustige, für Zärtlichkeit empfängliche Frau ohne den Trost eines Mannes zurücklasse. Ich weiß sehr wohl, daß Euch in meiner Abwesenheit viele Leute begehren werden. Obwohl ich fest davon überzeugt bin, daß Ihr jetzt reine Gedanken, ein keusches, ehrbares Herz habt, halte ich, wenn ich Euer Alter und frisches Jugendfeuer bedenke, es doch für möglich, daß Ihr auf Irrwege geratet und in meiner Abwesenheit aus Zwang und Drang mit einem Mann Umgang pflegen werdet, worüber ich, Gott sei Dank, nicht im geringsten aufgebracht sein werde. Es ist mein Wunsch, daß ihr den Forderungen und dem Zwang Eurer Natur nachgebt, denn ich weiß, ihr zu widerstehen ist für Euch unmöglich. Hier will ich von der Angelegenheit sprechen, um die ich Euch herzlich bitten möchte: wahrt unserer Ehe so lange als möglich ihre Reinheit. Ich beabsichtige und wünsche nicht, irgend jemanden über Euch wachen zu lassen, damit Ihr nicht vom rechten Weg abweicht, ich wünsche vielmehr, Ihr selbst sollt für Euch sorgen und über Euch wachen. Es gibt in der Welt keine so aufmerksame Wache, daß sie eine zuchtlose Frau hindern könnte, ihrem Vergnügen nachzugehen. Wenn Euch also Euer heißes Blut plagt und keine Ruhe läßt, so daß Ihr die Herrschaft über Euch verliert, so bitte ich Euch, meine teure Gattin, handelt klug und bedacht, wenn Ihr Eurem Wunsch folgt, und so, daß nichts davon an die Öffentlichkeit dringt; benehmt Ihr Euch anders, so entehrt und schändet Ihr Euch, mich und alle unsere Freunde. Wenn ihr also Eure Keuschheit nicht mehr bewahren könnt, so gebt wenigstens acht darauf, daß Ihr nicht in aller Leute Mund kommt. Ich will Euch zeigen und lehren, was Ihr tun sollt, wenn es so weit kommt. Ihr wißt, in dieser guten Stadt gibt es viele junge, schöne Leute; unter ihnen sollt Ihr Euch nur einen erwählen, mit ihm begnügen und das, wozu Euch Eure Natur zwingt, tun, doch wünsche ich, wenn Ihr Eure Wahl trefft, gebt nur darauf acht, daß es kein Vagabund, kein ehrloser und übelberüchtigter Mensch sei, denn mit einem solchen dürft Ihr nichts zu schaffen haben, weil Euch daraus große Gefahr entstehen könnte. Ohne Zweifel würde er Euer Geheimnis bald aufdecken und an die Öffentlichkeit bringen. Bei solchen Leuten und ihresgleichen bleibt nichts verschwiegen, verborgen und verheimlicht. Ihr sollt Euch also den erwählen, der, wie Ihr fest überzeugt seid, klug und verständig ist, damit, falls irgendein Unglück über Euch kommt, ihm ebenso wie Euch daran liegt, Euer Geheimnis zu hüten. Darum bitte ich Euch herzlich, und versprecht mir, fest und treu meine Worte zu bewahren und nach ihnen zu handeln. Ihr sollt mir darauf nicht antworten, wie die Frauen das an sich haben und zu tun pflegen, wenn man ihnen so wie ich Euch von solchen Dingen spricht. Ich weiß, was sie antworten und welcher Redensarten sie sich zu bedienen pflegen; so oder ähnlich heißt's: 'Ach, ach, lieber Mann, woher kommt Ihr auf solche traurigen Gedanken, wie könnt Ihr nur so Euer Herz beschweren? Was hat Euch bloß so erregt, woher habt Ihr nur eine so schlechte, schändliche Meinung von mir, wie könnte ich mir ein so abscheuliches Vergehen zuschulden kommen lassen? Nein, nein, Gott verhüte, daß ich Euch derartiges antue, ich bitte ihn, er soll die Erde öffnen, daß sie mich lebend verschluckt und verschlingt an dem Tag und zu der Stunde, da ich dagegen fehle, ja nur den leisesten Gedanken an eine derartige Sünde hege.' Meine teure Gattin, ich habe Euch von dieser Art Antwort gesprochen, damit Ihr mir nicht ähnlich kommt, ich glaube wahr und wahrhaftig, daß ihr jetzt den besten und festesten Vorsatz habt, und bitte Euch, in ihm so lange, wie es Eure Natur zuläßt, zu verharren. Glaubt nicht, daß Ihr mir versprechen sollt, das, was ich Euch erklärt und geschildert habe, zu halten, Ihr sollt Euch nur an das, was ich Euch sagte, halten, wenn Ihr gegen das Gelüst Eurer frischen, frohen Jugend nicht mehr ankämpfen und ihm nicht widerstehen könnt.«

Als der gute Mann zu Ende gesprochen hatte, errötete die schöne, freundliche, gehorsame Frau und bebte vor Erregung, da sie auf die ihr von ihrem Mann gewordenen Ratschläge antworten sollte. Nicht lange danach schwand die Röte, sie gewann ihre Fassung und ihren Mut wieder und antwortete, obwohl mit zitternder Stimme, freundlich: »Mein teurer, geliebter Gemahl, ich versichere Euch, noch nie war ich so erschrocken, erregt und bestürzt wie jetzt über Eure Worte, die mir Kunde von Dingen gegeben haben, von denen ich bisher nicht hörte und wußte, an die ich nicht einmal mit dem leisesten Gedanken dachte. Etwas anderes dürft Ihr von mir nicht glauben, wenn Ihr mich nicht schmähen und schelten wollt, denn Ihr kennt meine Einfalt, Jugend und Unschuld und wißt, daß man in meinem Alter sicherlich einen solchen Fehler nicht begehen, eine solche Schuld nicht auf sich laden kann. Ihr habt mir erklärt, Ihr wüßtet sicher und bestimmt, daß ich in Eurer Abwesenheit nicht meine Keuschheit hüten und behaupten könnte. Dies Wort greift mir ans Herz und versetzt mich in tiefste Erregung, ich weiß nicht, was ich Euch jetzt sagen, antworten und auf Euern Rat entgegnen könnte, Ihr habt mir alle Worte genommen. Doch ein Wort, das aus der Tiefe meines Herzens kommt und so, wie es hervorbricht, aus meinem Munde gehen soll, will ich Euch sagen: Ich bitte Gott mit gefalteten Händen demütig, er möge einen Abgrund öffnen, in den ich gestürzt werde, von grausamem Tode gefoltert, an allen Gliedern zerschmettert, wenn jemals der Tag kommt, da ich mich nicht allein gegen die Reinheit unserer Ehe vergehen muß, sondern auch nur den geringsten Gedanken daran habe. Ich wüßte aber nicht, wie ich je eine derartige Schuld auf mich laden könnte. Da Ihr mir so zu antworten untersagt habt, wie Frauen gewöhnlich sich auszureden und zu entschuldigen pflegen, verspreche ich Euch, um Euch Euren Verdacht zu nehmen, damit Ihr seht, daß ich Euren Befehlen zu gehorchen, Euren Weisungen zu folgen und nachzukommen bereit bin, jetzt fest und treu, den Tag Eurer Rückkehr zu erwarten und meine Keuschheit ganz unverletzt zu bewahren; wenn aber nach Gottes Willen das Gegenteil geschieht, dürft Ihr versichert sein - das verspreche ich Euch - daß ich mich an den Rat und die Weisung, die Ihr mir gegeben habt, halten werde, ohne im geringsten dagegen zu fehlen. Wenn Ihr noch etwas auf dem Herzen habt, entdeckt mir, ich bitte Euch, alles, damit ich mich nach Euren Wünschen richten kann. Ich begehre nichts anderes, als daß wir beide nur einen Willen, und zwar den Euren, nicht den meinigen, haben.«

Als unser Kaufmann die Antwort seiner Frau vernommen hatte, war er so froh, daß er sich der Tränen nicht enthalten konnte, und erwiderte: »Meine teure Gattin, da Ihr in Eurer Freundlichkeit das Versprechen, das ich Euch abforderte, gegeben habt, bitte ich Euch, es halten zu wollen.«

Am nächsten Tag ganz früh sandten seine Genossen nach dem guten Kaufmann, er solle das Schiff besteigen. Er nahm Abschied von seiner Frau, empfahl sie der Hut Gottes und stach in See.

Darauf segelten sie nach Alexandria, wo sie, da der Wind ihnen günstig war, in kurzer Zeit ankamen und lange weilten, einmal um ihre Waren auszuladen, dann um neue an Bord zu nehmen.

Währenddessen hütete die schmucke und anmutige Demoiselle, von der ich sprach, das Haus und hatte zur Gesellschaft niemand andern als ein kleines, junges Mädchen, das sie bediente. Wie gesagt, war diese schöne Demoiselle erst fünfzehn Jahre alt, weshalb man, wenn sie einen Fehler beging, es nicht so sehr auf Rechnung ihrer Böswilligkeit setzen, als vielmehr ihrer schwachen Jugend Schuld geben mußte. Als der Kaufmann ihren süßen Augen schon viele Tage entschwunden war, vergaß sie ihn nach und nach. Und da ihre Anmut, Schönheit und Lieblichkeit einzigartig und seit langer Zeit in der ganzen Stadt bekannt waren, so kamen die Jünglinge, sobald sie von der Abreise ihres Mannes erfahren hatten, zu ihr, um sie zu besuchen, die anfangs nicht das Haus verlassen und sich zeigen wollte. Da die Besuche jedoch täglich stattfanden und sie an den schönen, melodischen Gesängen und der freundlichen Musik, mit der man sie vor dem Hause erfreute, großes Vergnügen fand, kam sie allmählich dazu, durch die Fenster, Öffnungen und verborgenen Gitter zu blicken, durch die sie ganz genau die, die sie weit lieber selbst gesehen hätten, erblicken konnte. Als sie die Gesänge und Tanzmusik hörte, erfüllte sie auf einmal solch eine Freude, und die Liebe rührte ihr Herz dermaßen, daß ihr Jugendfeuer oft ihre Zurückhaltung überwunden hätte; so häufig ward sie, wie oben erzählt, versucht, daß schließlich ihre Begehrlichkeit und ihr fleischliches Gelüst sie besiegten und sie von der Liebesleidenschaft heftig ergriffen ward. Indem sie oft daran dachte, daß sie, da niemand sie bewachte, gute Gelegenheit und Zeit hätte, um ihren Wunsch zu befriedigen, und es nur auf sie ankäme, ob sie es tun wollte, kam sie zu der Erkenntnis, ihr Mann habe sehr klug gehandelt, als er ihr versichert hatte, daß sie ihre Enthaltsamkeit und Keuschheit nicht werde bewahren können; doch wollte sie der Weisung folgen und nachkommen und das Versprechen, das sie ihm gegeben, halten. »Ich muß«, sagte sie, »nach dem Rat meines Mannes handeln. Wenn ich das tue, begehe ich kein Verbrechen und lade keine Unehre auf mich, denn er selbst hat es mir ja gestattet. Doch muß ich mich an mein Versprechen halten. Er hat mich belehrt und mir aufgetragen, wenn der Fall eintrete, daß ich meine Keuschheit nicht bewahren könnte, einen Mann auszuwählen, der klug, sehr rechtschaffen wäre und sich eines guten Rufs erfreute, und keinen andern. Danach will ich auch wahrlich nach bestem Vermögen handeln und den Rat meines Mannes in jedem Punkt befolgen. Ich glaube, er sagte nicht, daß der Mann alt sein müsse, sondern er kann, wie ich glaube, auch jung sein, wenn er nur ebenso in den Wissenschaften bewandert und klug wie ein alter ist. So hat er mich's gelehrt.«

Zur selben Zeit, da unsere Demoiselle diese Betrachtung anstellte und nach einem klugen, jungen Mann, der ihr Liebesfeuer löschen sollte, Umschau hielt, kam ein kluger, junger Gelehrter zur rechten Stunde in die Stadt, der eben von der fetten Stadt Bologna kam, wo er mehrere Jahre geweilt hatte, ohne daß er heimgekehrt wäre. Er hatte mit solchem Eifer den Studien obgelegen, daß es im ganzen Lande keinen Gelehrten von größerem Ruf gab. Alle Behörden und Räte der Stadt weilten fortwährend bei ihm, und mit andern Leuten als großen Gelehrten verkehrte er überhaupt nicht. Er hatte seit seiner Ankunft eine Gewohnheit, von der er nie abging, nämlich jeden Tag zum Markt, zum Stadthause und zu dem Ort, wo das Gericht abgehalten wurde, zu gehen, um vielen Leuten in ihren Rechtshändeln beizustehen. Nun führte der gerade Weg von seiner Wohnung nach dem Markt durch die Straße, in der das Haus dieser Demoiselle lag, und er ging stets, wenn er seinen Weg durch die Straße nahm, an der Tür ihres Hauses vorüber. Er war dort noch nicht hundertmal vorübergegangen, als er bemerkt und erwählt ward, denn sein freundlich-ernstes Wesen gefiel der Demoiselle gar sehr. Und obwohl sie niemals ihn sich in seinem gelehrten Beruf hatte üben sehen, glaubte sie doch sofort, daß er ein großer Gelehrter sei, zumal sie ihn als den klügsten Mann der Stadt rühmen und preisen hörte. So begann sie sich nach ihm zu sehnen, und heiße Liebe zu ihm erfüllte ihr Herz, und sie kam zu der Ansicht, er solle, wenn es ihm beliebe, derjenige sein, an den sie sich nach der Lehre ihres Mannes halten würde; wie sie ihm aber ihre große, heiße Liebe zeigen und den geheimen Wunsch ihres Herzens entdecken könne, wußte sie nicht, und darüber war sie sehr bekümmert. Gleichwohl kam sie auf den Gedanken, da er an keinem Tage auf seinem Gang zum Markt an ihrer Tür vorüberzukommen versäumte, sich, aufs schönste geschmückt, auf die Vortreppe zu stellen, damit er, wenn er beim Vorübergehen ihre Schönheit gewahr würde, das von ihr zu erbitten den Mut hätte, was sie ihm nicht abschlagen würde. Mehrere Male tat die Demoiselle so, obwohl sie es vorher nicht zu tun gepflegt hatte; doch obgleich sie sehr anmutig anzusehen und eine Frau war, für die ein junges Herz gleich im Liebesfeuer auflodern mußte, bemerkte es der kluge Gelehrte niemals; er ging vielmehr so ehrbar dahin, daß er weder nach rechts noch nach links sah. So erreichte die gute Demoiselle nicht das mindeste auf die Art, wie sie es geplant und ausgeführt hatte; ob sie darüber bekümmert und traurig war, braucht man nicht zu fragen, und je mehr sie an ihren Gelehrten dachte, desto höher loderten um sie die Liebesflammen. Nach einer Menge von Plänen, die ich der Kürze halber übergehe, beschloß sie, ihre kleine Dienerin zu ihm zu schicken. Sie rief sie herbei und trug ihr auf, das Haus dieses großen Gelehrten aufzusuchen und, wenn sie ihn dort gefunden, ihm zu sagen, er möge so schnell wie möglich in die Wohnung der und der Demoiselle, der Gattin des und des, kommen, und wenn er fragen sollte, was der Demoiselle beliebe, solle sie antworten, sie wisse nichts, nur das allein, daß sie ihr gesagt habe, große Eile tue not.

Das Mädchen schrieb sich seinen Auftrag ins Gedächtnis und ging davon, um den Gewünschten zu suchen. Nicht lange danach kam sie an das Haus, wo er mit vielen Freunden und angesehenen Leuten bei Tische saß. Die Kleine trat ein, grüßte die Gesellschaft, wandte sich an den Gelehrten und richtete vor allen Leuten an der Tafel die Botschaft gut und klug aus, so wie ihr Auftrag lautete.

Der gute Herr, der aus seiner Kindheit sich des Kaufmanns, dessen Dienerin zu ihm sprach, und seines Hauses erinnerte, aber nicht wußte, daß er verheiratet, noch wer seine Frau war, glaubte sofort, daß in der Abwesenheit des Kaufmanns seine Frau ihn zu sich bäte, um in einer wichtigen Sache beraten zu werden, wie sie es auch in Wirklichkeit tat, doch anders, als er meinte.

Er antwortete der Kleinen: »Liebe Freundin, bestellt Eurer Herrin, ich würde sofort nach dem Mittagsmahle zu ihr kommen.«

Die Botin überbrachte die Antwort, die man ihr gegeben hatte, und Gott weiß, ob sie fröhlich von der Kaufmannsfrau aufgenommen ward, die ob der großen Freude und des heißen Wunsches, ihren Gelehrten im Hause zu haben, am ganzen Leibe zitterte und nicht wußte, was sie tun sollte. Sie ließ das Haus ordentlich säubern, ihr Zimmer überall mit schönem Grün schmücken, das Bett und das Ruhebett bedecken, reiche Teppiche, Vorhänge, Stickereien anbringen und putzte sich selbst so schön heraus, wie sie konnte, und legte ihren kostbarsten Schmuck an. So wartete sie ein Weilchen, das ihr aber in ihrer großen Sehnsucht ewig schien, so heiß wünschte sie ihn herbei, und mit solcher Leidenschaft erwartete sie ihn. Als sie ihn in der Ferne kommen sah, ging sie in ihr Zimmer hinauf und verließ es wieder, kam und ging bald hierhin, bald dorthin, so aufgeregt war sie, daß sie ganz geistesabwesend schien. Endlich stieg sie wieder hinauf in ihr Zimmer und ordnete und legte die kostbaren Sachen zurecht, die sie hatte hervorholen lassen, um ihren Liebhaber festlich zu empfangen. Sie hieß das kleine Kammermädchen unten bleiben, damit es ihn ins Haus lasse und zu ihr, der Gebieterin, führe. Als er gekommen war, empfing die Kleine ihn freundlich, ließ ihn ein, schloß die Tür und sperrte alle seine Diener aus, denen gesagt ward, sie sollten hier ihren Herrn erwarten. Als die Demoiselle ihren Geliebten sah, konnte sie sich nicht beherrschen und ging ihm nach unten entgegen, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in das für ihn geschmückte Zimmer; als er sich in ihm befand, war er sehr erstaunt, einmal über die mannigfachen, schönen, kostbaren Schmuckstücke, die er hier sah, dann auch ob der großen Schönheit der Dame, die ihn führte. Sobald er ins Zimmer getreten war, setzte sie sich auf einen Schemel in der Nähe des Ruhebettes und hieß ihn, sich auf einen andern daneben setzen. Eine Weile sagten alle beide kein Wort, denn jeder glaubte, der andere würde sprechen, der eine so, die andere so. Der Gelehrte meinte nämlich, sie habe ihm irgend etwas Wichtiges und Schwieriges zu eröffnen, und wollte sie beginnen lassen, sie andererseits glaubte, er sei so klug, daß er, ohne daß sie ihm noch etwas zu erklären und zu schildern brauchte, wissen müßte, weshalb sie nach ihm geschickt hatte.

Als sie sah, daß er keine Anstalten zu sprechen machte, begann sie: »Mein teurer, trefflichster, kluger Freund, ich will Euch jetzt sagen, was mich dazu bewogen hat, Euch zu mir zu rufen. Ich glaube, Ihr seid mit meinem Manne gut bekannt und vertraut; so wie Ihr mich hier seht, hat er mich zurückgelassen, um seine Waren nach Alexandria, wie er es lange gewöhnt war, zu bringen. Vor seiner Abreise erklärte er mir, er wisse sicher, daß meine Natur in seiner Abwesenheit mich zwingen werde, meine Enthaltsamkeit aufzugeben, und ich notwendig mit einem Mann Umgang haben müsse. Ich halte ihn wirklich für einen sehr klugen Mann, denn was ich damals für ganz unmöglich gehalten hätte, erkenne ich jetzt als Wirklichkeit, denn meine Jugend, meine Schönheit, meine frischen Jahre wollen nicht, daß meine Tage ohne Freude verlaufen. Meine Natur könnte sich damit auch nicht zufriedengeben. Und damit Ihr mich deutlich versteht, will ich Euch sagen, daß mein kluger und wohlerfahrener Mann, der bei seiner Abreise viel gründlicher als ich selbst über mich dachte und wußte, daß die jungen, zarten Blümchen vertrocknen und vergehen, wenn ihnen nur ein kleines Übel geschieht und gegen die natürlichen Wünsche und Neigungen gehandelt wird, das erwog, was mir begegnen sollte. Er erkannte deutlich, daß ich, wenn mein Leben nicht mit den Forderungen der Natur in Einklang stünde, nicht in ihm beharren würde, und ließ mich daher schwören und versprechen, daß ich, wenn es so weit käme und meine Natur mich meine Enthaltsamkeit zu brechen zwänge, einen klugen und angesehenen Mann erwählen würde, der unser Geheimnis wohl zu hüten und bewahren wüßte. Ich habe nun in der ganzen Stadt keinen besseren als Euch finden können, denn Ihr seid jung und klug; daher bitte ich Euch, wollt mich nicht abweisen und verstoßen! Ihr seht, wer ich bin, und Ihr könnt mir, ohne daß jemand ein Wort darüber verlieren würde, meinen guten Mann ersetzen. Der Ort, die Zeit und alle Umstände begünstigen uns.«

Der gute, überraschte, verdutzte Herr war von diesen Worten ganz benommen, wiewohl er sich's nicht anmerken ließ. Er nahm die rechte Hand der Demoiselle und sagte vergnügt und heiter: »Ich muß der Dame Fortuna von ganzem Herzen dafür danken, daß sie mir solch ein Glück beschert und mir das Ziel meines höchsten Wunsches zeigt. Niemals darf ich mich mehr unglücklich nennen, nachdem ich sie so freigebig gegen mich gefunden habe. Ich kann sicherlich sagen, daß ich heut der glücklichste aller Menschen bin, denn wenn ich bedenke, meine teure, anmutige Freundin, wie fröhlich wir unsere jungen Tage in aller Heimlichkeit verbringen könnten, möchte ich vor Freude jauchzen. Wo gibt es einen Menschen, den Fortuna mehr als mich begünstigte? Legte sich nicht ein kleines leichtes Hindernis der Verwirklichung meines Wunsches in den Weg, so wäre ich der glücklichste Mensch von der Welt.«

Als die Demoiselle hörte, daß ihn etwas am Liebesturnier hinderte, bat sie ihn kummervoll, zu sagen, was es sei, ob sie ein Mittel dagegen wüßte.

»Das Hindernis«, erklärte er, »ist nicht so groß, daß ich es nicht in kurzer Zeit überwinden könnte; da Ihr die Freundlichkeit habt, danach zu fragen, will ich es Euch erzählen. Zur Zeit, da ich auf der Universität im fetten Bologna meinen Studien oblag, ward das Volk der Stadt verführt und kam in derartige Aufregung, daß es sich in einer Empörung gegen seinen Herrn erhob. Ich ward mit andern meiner Genossen angeklagt, den Aufruhr ins Werk gesetzt zu haben, und dafür in enge Haft gebracht. Als ich mich dort befand, gelobte ich, da ich trotz meiner Unschuld das Leben zu verlieren fürchtete, und versprach ich Gott, wenn er mich aus dem Kerker befreie und meinen Verwandten und Freunden zurückgäbe, aus Liebe zu ihm ein ganzes Jahr lang zu fasten, jeden Tag nur Wasser und Brot zu mir zu nehmen und während dieser Enthaltsamkeit keine Fleischessünde zu begehen. Nun habe ich den größten Teil des Jahres hinter mir und brauche nicht mehr lange so zu leben. Daher bitte ich Euch recht sehr, nachdem Ihr mich so freundlich zu Eurem Liebhaber erwählt habt, Ihr möget keinen andern nehmen, und es möge Euch während der kurzen Zeit, da ich noch meine Enthaltsamkeit beobachten muß, es nicht leid werden. Ich hätte mein Gelübde schon längst erfüllt, wenn ich einen Beistand gehabt hätte, denn ich bin aller Fasttage, die ein anderer für mich hält, so quitt, als hätte ich sie selbst gehalten; und da ich sehe, welche große Liebe und Neigung Ihr zu mir gefaßt habt, werde ich Euch mit Eurer Einwilligung ein Vertrauen schenken, das ich in meine Freunde und Brüder niemals zu setzen gewagt hätte, aus Furcht, daß sie für mich nicht fasten würden. Und ich bitte Euch, helft mir einen Teil der Tage, die noch an meinem Jahr fehlen, fasten, damit ich schneller Eurem freundlichen Ersuchen nachkommen kann. Meine anmutige, zärtliche Freundin, ich habe nur noch sechzig Tage, die, wenn es Euch recht ist, ich in zwei Hälften teilen will. Ihr sollt die eine und ich die andere haben unter der Bedingung, daß Ihr mir treulich versprecht, sie aufrichtig zu halten. Wenn sie vorüber sind, wollen wir unsere Tage fröhlich verbringen. Wenn Ihr also mir, wie ich Euch gesagt, helfen wollt, so erklärt es mir jetzt.«

Man kann sich denken, daß die lange Zeit ihr nicht behagte, doch da sie so freundlich gebeten ward und die Fastenzeit bald vollendet und beendet wünschte, versprach sie, die Tage zu halten und ihm ohne Trug, Täuschung und Heuchelei bei seinem Gelübde zu helfen.

Als der gute, kluge Herr seine Sache gewonnen sah, nahm er Abschied von der Demoiselle und sagte ihr, er werde sie oft besuchen, da er von seiner Wohnung nach dem Markt vor ihrem Hause vorübergehen müsse. Darauf verließ er sie, und die schöne Dame begann am nächsten Tag mit ihrer Fastenzeit und nahm sich vor, solange sie Enthaltsamkeit üben mußte, ihr Brot und Wasser erst nach Sonnenuntergang zu genießen.

Als sie drei Tage gefastet hatte, kam der kluge Gelehrte, als er zur gewohnten Stunde zum Markt ging, zu seiner Dame, sprach lange mit ihr und fragte sie beim Abschied, ob sie mit dem Fasten begonnen habe, und sie erwiderte: »Ja.«

»Bleibt nur so dabei«, sagte er, »und haltet mir Euer Versprechen.«

»Ganz gewiß«, versetzte sie, »zweifelt nicht daran.«

Er nahm Abschied und ging von ihr, sie aber hielt Tag für Tag nach ihrer treuen und guten Art das Fasten so, wie sie es versprochen hatte. Sie hatte noch nicht acht Tage gefastet, da begann ihr Jugendfeuer zu schwinden, und zwar dermaßen, daß sie gezwungen ward, ihre Kleider zu wechseln, denn an Stelle der dünnen und leichten, die sie vor ihrem Fasten getragen hatte, mußte sie nun dick gefütterte und mit Pelz besetzte, die sie sonst nur im Winter trug, anziehen. Nach vierzehn Tagen kam abermals ihr Liebhaber, der Gelehrte, zu ihr und fand sie so schwach, daß sie kaum durch das Haus gehen konnte. Das gute, einfältige Weibchen argwöhnte nicht, daß es zum besten gehalten wurde, so verliebt war es, und so fest hatte es sich in den Kopf gesetzt, auf diesen Jüngling zu warten, um der schönen, heiteren Sünde willen, die sie bei ihrem großen Gelehrten sicher zu genießen glaubte. Als er sie beim Eintritt in das Haus so schwach sah, fragte er sie: »Was macht Ihr denn für ein Gesicht, und wie geht's Euch? Jetzt bemerke ich wohl, daß Ihr große Enthaltsamkeit geübt habt. Meine teure, einzige Freundin, bleibt fest und standhaft, heute haben wir die Hälfte unserer Fastenzeit vollbracht. Wenn Eure Natur schwach ist, besiegt sie durch Euer starkes, unbeugsames Herz, und brecht nicht Euer treues Versprechen.«

Er ermahnte sie so freundlich, daß sie Mut faßte und ihr die andern, noch übrigen fünfzehn Tage nicht lange zu dauern schienen. Als der fünfundzwanzigste kam, hatte das einfältige Weibchen alle Farbe verloren, schien halb tot, und ihr Begehren war nicht mehr so groß wie früher. Sie mußte sich zu Bett legen und in ihm fortwährend bleiben, und hier kam sie auf den Gedanken, daß ihr Gelehrter sie Enthaltsamkeit üben ließ, um ihr fleischliches Gelüst zu bekämpfen. Und sie fand, daß er es klug angestellt und wie ein weiser Mann gehandelt hatte. Trotzdem wich sie nicht von dem eingeschlagenen Weg ab und kam ihrem Versprechen wie sonst nach. Am vorletzten Tage ließ sie ihren Gelehrten rufen, der sie fragte, als er sie im Bett sah, ob sie für den einzigen noch übrigen Tag den Mut verloren habe. Sie fiel ihm ins Wort und entgegnete: »Ach, mein lieber Freund, ihr habt mich innig und treulich, nicht in Unehren, wie ich es von Euch gewünscht habe, geliebt, deshalb halte ich Euch und will Euch, solange mir Gott das Leben schenkt, für meinen einzigen und treuesten Freund halten, der mich behütet, gelehrt und unterwiesen hat, meine Keuschheit und Reinheit, die Ehre und den guten Ruf von mir, meinem Mann, meinen Verwandten und Freunden zu bewahren. Gesegnet sei mein teurer Gatte, an dessen Weisung ich mich gehalten habe, was meinem Herzen nun so wohl tut. Euch, mein wahrer Freund, danke ich von ganzem Herzen dafür, daß Ihr mich in Ehren und Treuen gehalten habt, und werde Euch niemals genügend dafür danken können, ebensowenig wie mein Mann, meine Verwandten und alle meine Freunde.«

Als der kluge Herr sein Unternehmen wohl zu Ende geführt sah, nahm er Abschied von der guten Demoiselle und ermahnte sie freundlich, sich künftighin stets, wenn sie sich von der Lust ergriffen fühlte, an diese Kasteiung zu erinnern; dadurch blieb sie keusch und rein bis zur Rückkehr ihres Mannes, der nichts von dem Abenteuer erfuhr; denn sie erzählte es ihm ebensowenig wie der Gelehrte.

 


 


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