Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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99. Novelle
Die Macht des geistlichen Wortes

Wenn es euch beliebt, sollt ihr, ehe viel Zeit vergeht, gleich jetzt meine kleine kurze Geschichte von einem wackern spanischen Bischof hören, der in einigen Angelegenheiten seines Herrn, des Königs von Kastilien, zur Zeit dieser Geschichte an den Hof nach Rom ging. Dieser tüchtige Prälat, von dem meine letzte Novelle handeln soll, kam eines Abends in ein kleines lombardisches Städtchen; er langte hier an einem Freitag ziemlich spät gegen Abend an und befahl seinem Haushofmeister, zur rechten Stunde das Nachtmahl zu bereiten und das Beste, was man in der Stadt auftreiben könnte, dafür zu besorgen, denn Gott sei Dank fastete er, obwohl er groß und dick war und keinen andern Dienst als den für seinen Bauch kannte, doch an diesem Tage. Sein Haushofmeister ging dem Befehl gemäß auf den Markt und in alle Fischhandlungen der Stadt, um Fische zu kaufen. Doch um die Geschichte kurz zu machen: es glückte ihm und seinem Wirt trotz aller Mühe nicht, auch nur ein Stückchen Fisch zu bekommen. Als sie ohne Fische nach Haus zurückkamen, fanden sie zufällig einen guten Bauern, der zwei hübsche Rebhühner hatte und nur auf einen Käufer wartete. Deshalb dachte der Haushofmeister, sie sollten ihm, wenn er sie für einen guten Preis bekommen könnte, nicht entgehen, sie sollten für Sonntag bleiben, und sein Herr würde eine große Freude haben. Er kaufte sie und zahlte einen niedrigen Preis dafür. Er kam zu seinem Herrn mit den beiden dicken, fetten, leckeren Rebhühnern in der Hand und erzählte ihm, er sei umsonst nach Fischen in der Stadt gewesen. Der Herr, der darüber nicht sehr erfreut war, fragte ihn: »Und was könnten wir nun zu Abend essen?«

»Gnädiger Herr«, antwortete er, »ich werde Euch Eier auf hunderttausend Arten zubereiten lassen, Ihr könnt auch Äpfel und Birnen haben; unser Wirt hat zudem guten, fetten Käse. Wir werden Euch schon etwas auftischen. Gebt Euch heute zufrieden, ein Nachtmahl ist bald vorüber, morgen, so Gott will, soll es besser sein. Wir werden in die Stadt kommen, wo weit besser für Fische gesorgt ist als in dieser, und Sonntag sollt Ihr trefflich speisen. Hier, seht die beiden Rebhühner, die ich besorgt habe. Sie sind doch gewiß gut und wohlgenährt.«

Der Herr Bischof ließ sich die Rebhühner geben und fand sie wirklich vortrefflich. Daher kam er auf den Gedanken, sie sollten bei dem Nachtmahle die Stelle des Fischs einnehmen, den er zu bekommen gedachte, von dem aber kein Stückchen aufzutreiben gewesen war, daher ließ er sie schnell töten, rupfen, spicken und auf den Spieß stecken.

Als der Haushofmeister sah, daß er sie rösten wollte, sagte er erstaunt zu seinem Herrn: »Gnädiger Herr, es war ganz richtig, sie zu schlachten, doch sie jetzt schon für Sonntag zu rösten scheint mir nicht gut.« Der Haushofmeister verlor seine Zeit, trotz all seinen Einwänden ward nicht auf ihn gehört, sie wurden auf den Spieß gesteckt und geröstet. Der gute Prälat war beinah die ganze Zeit, in der sie brieten, zugegen, worüber sich sein Haushofmeister nicht genug wundern konnte. Er wußte nichts von dem zuchtlosen Gelüst seines Gebieters, der jetzt die Rebhühner verschlingen wollte, sondern meinte vielmehr, er ließe sie zum Mittagessen für den Sonntag schon zubereiten.

Daher ließ er sie also herrichten, und als sie fertig und geröstet, der Tisch gedeckt, der Wein gebracht, Eier in verschiedener Weise zubereitet und aufgetragen waren, setzte sich der Prälat an die Tafel, sagte das Benedicite und fragte nach seinen Rebhühnern. Sein Haushofmeister wünschte zu wissen, was sein Herr mit diesen Rebhühnern machen wollte, brachte sie ihm, wie sie vom Spieß kamen und einen aromatischen Duft verbreiteten, der allein schon genügte, einem Leckermaul das Wasser im Munde zusammenzutreiben. Der gute Bischof ging gegen die Rebhühner vor und entkleidete zuerst das Beste des Fleisches. Er begann so eilig zu schneiden und zu essen, daß sein Edelmann, der ihm vorschnitt, keine Zeit für seine Obliegenheit fand. Als der Haushofmeister seinen Herrn die Rebhühner angreifen sah, war er sehr erstaunt, konnte nicht an sich halten und sagte ihm: »Aber, gnädiger Herr, was macht Ihr denn? Seid Ihr ein Jude oder Sarazene, daß Ihr nicht anders den Freitag achtet? Meiner Seel, ich wundere mich sehr über das, was Ihr tut.«

»Schweig, schweig!« sagte der gute Prälat, dem die Hände und auch der Bart ganz fettig von diesen Rebhühnern geworden waren, »du bist dumm und weißt nicht, was du sprichst. Ich tue nichts Schlimmes. Du weißt doch ganz gut, daß ich und die andern Priester aus einer Hostie, die nur aus Mehl und Wasser besteht, durch Worte den kostbaren Leib Jesu Christi schaffen. Und kann ich, der ich am Hof von Rom und in so verschiedenen Orten so viel gesehen habe, nicht noch mit viel größerem Recht diese Rebhühner, die Fleisch sind, durch meine Worte in Fisch umwandeln, wenn sie auch die Form von Rebhühnern behalten? So tue ich, zum Teufel, seit manchen langen Tagen tue ich so. Die Rebhühner waren kaum am Rost, als ich durch die Worte, die ich kenne, sie dermaßen bezaubert habe, daß sie sich in Fisch verwandelten. Und ihr alle hier könntet sie wie ich ohne Sünde essen. Doch da ihr euch von dem Vorurteil nicht frei machen könntet, würden sie euch auch nicht bekommen, deshalb will ich sie ganz allein essen.«

Der Haushofmeister und alle andern Leute lachten und taten, als glaubten sie der so schlau erdachten und zurechtgelegten Lüge ihres Herrn, und hatten noch später ihre Freude daran und erzählten sie auch vergnügt manches Mal an verschiedenen Orten.

 


 


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