Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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43. Novelle
Der Hahnrei als Geschäftsmann

Jüngst fand ein braver Mensch, ein Arbeiter und Geschäftsmann, der in einem guten Dorf der Kastellanei von Lille wohnte, Mittel und Wege, auf sein und seiner guten Freunde Betreiben ein schönes, junges Mädchen zur Frau zu erhalten, das nicht besonders reich war; und ebensowenig war es ihr Mann, doch zeigte er sich strebsam, sehr eifrig und war tüchtig hinter Erwerb und Gewinn her. Und die Frau gab sich ihrerseits Mühe, den Haushalt nach dem Wunsch ihres Mannes zu führen, der sie deshalb auch sehr hochhielt und mit minderem Bedauern oft seinen Handelsgeschäften nachging, ohne Verdacht und Argwohn zu schöpfen, daß sie etwas anderes als Gutes täte.

Der arme Mann war aber so vertrauensselig und ließ sie so lange allein, daß sich ihr ein schmucker Gesell näherte und es ihm, um es kurz zu machen, gelang, in wenigen Tagen sein Stellvertreter zu werden, was dem, der die beste Frau von der Welt zu haben glaubte, eine Frau, die nur an das Wachstum ihrer Ehre und ihrer Habe dachte, nicht im entferntesten in den Sinn kam. Dem war jedoch nicht so, denn sie vergaß bald die Liebe, die sie ihm schuldete, und kümmerte sich nicht um Nutzen noch Schaden. Es genügte ihr völlig, wenn sie sich nur mit ihrem Freunde zusammenfand, so daß eines Tages das, was nun erzählt wird, geschah.

Da unser obengenannter guter Kaufmann außerhalb weilte, ließ seine Frau wie gewöhnlich das gleich ihren Freund wissen, der sich nicht gern ihrem Wunsch entzogen hätte, sondern unverzüglich kam. Und um keine Zeit zu verlieren, fand er sich so eilig wie möglich bei seiner Dame ein und begann warm und feurig von seiner Liebe zu sprechen, und zum Schluß ward ihm das ersehnte Vergnügen ebensowenig versagt, wie die anderen Male, die recht zahlreich waren.

Zum Unglück kommt, seht da! der gute Mann, gerade als das Liebesspiel im besten Zuge war, und findet die Gesellschaft bei der Arbeit, worüber er sehr erstaunt war, denn er hatte nicht geglaubt, daß seine Frau zu dieser Sorte gehöre.

»Was soll das heißen?« fragte er. »Beim Tode Gottes, Schurke, ich werde Euch kalten Blutes töten!«

Obwohl der andere sich überrascht und auf frischer Tat ertappt sah, verlor er nicht seine Fassung, denn er kannte ihn als notleidend und armselig, und entgegnete ihm sofort: »Ach, Johann, lieber Freund, ich bitte Euch um Gnade, verzeiht mir, wenn ich Euch etwas Böses getan habe, ich will Euch auch meiner Treu sechs Maß Getreide geben!«

»Bei Gott«, versetzte er, »ich will nichts davon haben, Ihr werdet durch meine Hände enden, und ich werde das Leben Eurem Leibe entreißen, wenn ich nicht zwölf Maß Getreide bekomme!«

Und die gute Frau, die dieser Unterhaltung zuhörte, wandte sich, um, wie sie gehalten war, auf ihren Vorteil zu sehen, an ihren Mann: »Ach, Johann, lieber Herr, laßt ihn vollenden, was er begonnen hat, ich bitte Euch, und ihr sollt acht Maß haben. Er wird sie doch bekommen?« fragte sie und drehte sich zu ihrem Freunde herum.

»Ich bin's zufrieden«, erklärte er, »doch ist das wahrhaftig zu viel, jetzt wo das Getreide teuer ist!«

»Ist das zuviel?« rief der wackere Mann. »Bei Gottes Tod, mir tut's schon sehr leid, daß ich nicht mehr gefordert habe. Denn Ihr habt Euch eine Tat zuschulden kommen lassen, die, käme sie zur Kenntnis des Gerichts, Euch weit teurer zu stehen kommen würde. Doch entschließt Euch: Entweder ich bekomme zwölf Maß, oder Ihr müßt hier sterben.«

»Es ist wahrlich nicht recht von Euch, mir zu widersprechen!« erklärte seine Frau. »Mir scheint, Ihr müßtet mit diesen acht Maß zufrieden sein, denkt doch daran, daß es eine große Masse Getreide ist!«

»Sprecht mir nicht mehr davon«, versetzte er, »ich will zwölf Maß haben, oder ich werde ihn und Euch ebenfalls töten!«

»Zum Teufel!« sagte der Gesell. »Ihr seid ein tüchtiger Kaufmann, doch wenn ich schon so viel zahlen soll, wie Ihr wollt, will ich doch wenigstens Zahlfrist haben!«

»Das bewillige ich Euch gern, doch muß ich meine zwölf Maß haben!«

Darauf legte sich der Lärm, und der Termin der Zahlung ward festgesetzt, sechs Maß sollten am nächsten Tag und die andern am nächsten Festtag des heiligen Remy entrichtet werden, und das auf Anordnung der Frau, die die Mittlerin machte und zu ihrem Manne sagte: »So, nun könnt Ihr doch zufrieden sein, nicht wahr, wo Ihr Euer Getreide so bekommen werdet, wie ich gesagt habe!«

»Ja, wirklich«, entgegnete er.

»Und nun geht davon«, rief sie, »bis er vollendet hat, was er begonnen, als Ihr dazukamt. Sonst gilt sein Handel nicht, wie Ihr gehört habt, denn ich hab das so abgemacht, wie Ihr Euch erinnern werdet!«

»Sankt Johann, so ist es«, meinte der gute Gesell. »ich werde auch mein Wort halten«, erklärte der gute Kaufmann. »Gott verhüte, daß ich beim Handel als Betrüger oder Lügner erfunden werde. Ihr sollt vollenden, was Ihr begonnen habt, und ich erhalte meine zwölf Maß an den obengenannten Terminen. So lautet unser Vertrag, nicht wahr?«

»Ja, wahrhaftig!« sagte seine Frau.

»Lebt wohl denn«, entgegnete er, »doch morgen muß ich sechs Maß Getreide haben!«

»Zweifelt nicht daran!« versetzte der andere. »Ich werde Euch das Versprechen halten.«

So verließ der tapfere Mann frohen Muts ob der zwölf Maß Getreide, die er zu erwarten hatte, sein Haus. Und seine Frau und ihr Freund begannen von neuem. Das Zahlen blieb dem Zufall überlassen, gleichwohl wurde mir später erzählt, daß das Getreide an dem obengenannten Tag und Termin bezahlt und abgeliefert ward.

 


 


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