Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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47. Novelle
Die Strafe für die Ehebrecherin

In der Provence lebte vor kurzem ein weit und breit bekannter Präsident, der ein großer Gelehrter und kluger Mann, ein tapferer Krieger und verständiger Ratgeber war, und in dem, um es kurz zu sagen, alles Löbliche, was man nur bei einem Menschen finden konnte, sich zusammenfand. Unter einem nur, woran er nicht schuld war, hatte er zu leiden, und das machte ihm, und mit gutem Grund, den meisten Kummer. Um von seinem Leid euch zu berichten, sage ich, er ward betrogen, denn er hatte eine schlechte Frau zur Ehe genommen. Der gute Herr bemerkte und erkannte die Untreue seiner Frau und fand sie stets zur Zuchtlosigkeit geneigt. Und soviel Verstand ihm Gott auch gegeben hatte, er wußte doch kein anderes Mittel zu finden, als zu schweigen und sich blind zu stellen, denn er hatte zeit seines Lebens genug gelesen und gesehen, um genau zu wissen, daß eine Züchtigung bei einer solchen Frau nichts mehr nutzt.

Ihr könnt euch aber denken, daß ein so gemütvoller und tugendsamer Mann wie er mit seinem Leben nicht zufrieden war, man muß vielmehr erklären und schließen, daß sein von Schmerzen zerrissenes Herz unter diesem traurigen Geschick litt. Und während er nach außen hin tat und sich den Anschein gab, als kennte und sähe er die Aufführung seiner Frau nicht, kam eines Tags ein Diener in sein Zimmer und sagte ihm im geheimen: »Gnädiger Herr, ich möchte Euch, wie es meine Pflicht ist, von allem, was besonders Eure Ehre angehen kann, unterrichten. Ich habe die Aufführung von Madame, Eurer Frau beobachtet und versichere Euch, daß sie die Euch gelobte Treue sehr schlecht hält. Denn ganz gewiß nimmt der und der« (er nannte ihm den Namen) »sehr oft Eure Stelle ein.«

Der gute Präsident, der ebenso wohl oder noch besser als sein Diener, der ihm diese Kunde gab, wußte, wie es um seine Frau stand, antwortete ihm zornig: »Ah, Schurke, ich weiß wohl, daß alles, was Ihr mir sagt, gelogen ist. Ich kenne meine Frau allzu gut, sie ist nicht solch eine Person. Habe ich Euch dazu in meine Dienste genommen, daß Ihr mir eine solche Lüge, und noch dazu von der, die so gut und treu ist, vorbringt? Künftighin sollt Ihr es wahrhaftig nicht mehr tun! Sagt, was ich Euch schuldig bin, und macht Euch dann fort, und laßt Euch niemals mehr vor mir sehen, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

Der arme Diener, der seinem Herrn mit seinem Bericht willkommen zu sein geglaubt hatte, sagte, was er von ihm zu fordern hatte. Er empfing den Lohn und verließ das Haus.

Als unser Präsident die Untreue seiner Frau immer größer werden sah, war er sehr bekümmert und aufs tiefste erregt. Er wußte nicht, wie er ein Mittel und einen Weg finden könnte, um sich ihrer in anständiger Weise zu entledigen. Da kam ihm der Gedanke, Gott wolle es oder das Schicksal habe es so beschlossen, daß seine Frau sich bald danach zu einer Hochzeit begeben wollte; und wenn er seinen Plan ausführen konnte, mußte er der glücklichste Mensch auf Erden sein.

Er ging zu einem Diener, der seine Pferde und sein schönes Maultier zu besorgen hatte, und sagte zu ihm: »Gib wohl acht und laß mein Maultier Tag und Nacht nichts trinken, so lange nicht, bis ich dir's sage. Und jedesmal, wenn du ihm seinen Hafer vorschüttest, tu darunter eine tüchtige Handvoll Salz. Und daß kein Mensch davon etwas erfährt!«

»Ich werde schon den Mund halten«, erklärte der Diener, »und nach Eurem Befehl tun.«

Als der Hochzeitstag der Base von Madame, der Präsidentin, herannahte, sagte sie zu dem guten Präsidenten: »Wenn Ihr damit einverstanden seid, gnädiger Herr, möchte ich gern zur Hochzeit meiner Base, die Sonntag an dem und dem Ort gefeiert wird, gehen.«

»Schön, liebe Freundin, ich bin des wohl zufrieden, geht, und Gott geleite Euch«

»Ich danke Euch, gnädiger Herr«, entgegnete sie, »doch weiß ich nicht, wie ich dorthin am besten kommen kann. Meinen Wagen möchte ich nicht gern benutzen, weil ich dort nur so kurze Zeit bleibe, und Euer Zelter scheut so leicht, daß ich den Weg auf ihm nicht zurückzulegen wage.«

»Nun wohl, liebe Freundin, so nehmt doch mein Maultier. Es ist schön, geht gut und sanft und ist so sicher zu Fuß, wie ich kein anderes gefunden habe.«

»Wahrhaftig, gnädiger Herr«, entgegnete sie, »ich bin Euch zu Dank verpflichtet, Ihr seid ein guter Gatte.«

Der Tag der Reise kam, und die Diener von Madame, der Präsidentin, und ihre Frauen, die ihr dienen und sie begleiten sollten, machten sich bereit. Ebenso kamen zu Pferde zwei oder drei Galane, die sie geleiten sollten, und fragten, ob Madame bereit sei, und sie ließ ihnen sagen, sie werde gleich kommen. Sie war gerüstet und stieg herab, und das schöne Maultier, das acht Tage nicht getrunken hatte und vor Durst, so viel Salz hatte es gefressen, ganz rasend war, ward ihr an den Tritt geführt.

Als sie es bestiegen, ritten die Galane voran, ließen ihre Pferde tänzeln und spornten sie, daß sie sich hoch aufbäumten.

In der Begleitung dieser schmucken Galane, ihrer Diener und Frauen, ritt Madame durch die Stadt und kam aufs Land. Und sie ritt so lange, bis sie an einen Platz kam, in dessen Nähe die breite Rhone floß, die an diesem Punkt reißend schnell dahinströmt. Und als das Maultier, das acht Tage nicht getrunken hatte, das Wasser spürte, stürzte es, ohne nach Weg und Steg zu fragen, in tollen Sprüngen dahin und mit seiner ganzen Last, dem kostbaren Leibe Madames, hinein. Die, welche vorausritten, wandten sich um und sahen sie sehr wohl; doch andere Hilfe brachten sie ihr nicht, es lag auch nicht in ihrer Macht. So ertrank Madame, und es war sehr schade um sie. Als das Maultier nach Herzenslust getrunken hatte, schwamm es so lange, bis es das Ufer fand, und rettete sich. Und einer der Diener des Herrn Präsidenten suchte ihn, der keine andere Nachricht als eine solche erwartete, in seinem Zimmer auf und berichtete ihm unter Tränen das klägliche Geschick Madames, seiner Herrin.

Obwohl der gute Präsident viel vergnügter war, als er jemals traurig gewesen, zeigte er sich doch sehr bekümmert, bedauerte seine gute Frau und bekundete tiefe Trauer. Er verwünschte sein Maultier und die schöne Hochzeit, die seine Frau zu dieser Reise bewogen hatte. »Bei Gott«, rief er, »euch trifft der größte Vorwurf, so viele Menschen seid ihr gewesen und habt nicht der armen Frau, die euch so zugetan war, zu helfen gewußt! Ihr seid feig und schlecht und habt es deutlich bewiesen.«

Der Diener entschuldigte sich, und die andern ebenfalls, so gut sie es vermochten. Und er verließ den Herrn Präsidenten, der Gott mit gefalteten Händen dankte, daß er ihn von seinem Weibe erlöst hatte. Als die Stunde gekommen war, ließ er die Leichenfeierlichkeiten, wie es sich gebührte, abhalten, doch ihr könnt es glauben, daß er, obwohl er noch in den besten Jahren war, sich wohl hütete, noch einmal zu heiraten, aus Furcht vor der Gefahr, in der er so lange geschwebt hatte.

 


 


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