Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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53. Novelle
Das Hochzeitsquiproquo

Vor kurzem befanden sich in der Kirche der heiligen Gudula zu Brüssel an einem Morgen mehrere Männer und Frauen, die um die Zeit der ersten Messe, die zwischen vier und fünf Uhr gehalten wurde, heiraten sollten. Und unter denen, die in den Stand der süßen und sicheren Ehe treten und in die Hand des Priesters versprechen sollten, sich um keinen Preis gegen sie zu vergehen, waren ein junger Mann und ein junges Mädchen, die zwar nicht zu den reichsten gehörten, aber den guten Willen hatten, zu arbeiten und vorwärtszukommen. Sie standen nebeneinander und warteten nur darauf, daß der Priester sie riefe, um ihre Ehe zu vollziehen. In ihrer Nähe standen dort auch ein alter Mann und eine alte Frau, die große Güter und viele Reichtümer besaßen und aus Lust und Gier, noch mehr zu bekommen, einander Liebe und Treue versprochen hatten und ebenfalls zur Zeit der ersten Messe ihre Ehe geschlossen haben wollten.

Der Pfarrer kam und sang diese hochersehnte Messe. Und zum Schluß traten, wie es Sitte ist, alle die vor, welche heiraten sollten und deren es, abgesehen von den vier obengenannten, noch mehrere dort gab.

Nun müßt ihr wissen, daß der gute Pfarrer, der vor dem Altar den geheimnisvollen Bund der Ehe zu vollziehen bereit war, nur ein Auge besaß, da er seit kurzer Zeit, ich weiß nicht durch welches Unglück, das andere verloren hatte. Es war auch weder die Kapelle noch der Altar hell erleuchtet, und da es außerdem noch Winter war, herrschte eine ziemlich tiefe Dämmerung. Daher irrte er sich, und als er an sein Amt ging und die Eheschließung vornehmen wollte, nahm er den alten, reichen Mann und das junge, arme Mädchen und fügte sie durch seinen geistlichen Segen zusammen. Anderseits vermählte er den jungen, armen Menschen mit der alten, reichen Frau; und weder die Männer noch die Frauen in der Kirche bemerkten es, was sehr sonderbar war, besonders bei den Männern, da sie Augen und Kopf, wenn sie vor dem Pfarrer knien, eher als die Frauen zu heben wagen, die in dieser Hinsicht einfältig und dumm sind und den Blick auf die Erde heften. Es ist Sitte, daß nach dem Eheschluß die Freunde der Neuvermählten sie an die Hand nehmen und fortführen. Daher ward das arme, junge Mädchen in das Haus des reichen Mannes geführt, und ebenso ward die alte, reiche Frau in das arme Häuschen des jungen Gesellen gebracht.

Als die junge Neuvermählte sich in dem Hof und in dem großen Saal des Mannes, den sie irrtümlich geheiratet hatte, befand, war sie sehr erstaunt und erkannte wohl, daß es nicht das Haus war, das sie an diesem Tage verlassen hatte. Als sie in das wohlgeschmückte, mit schönen Teppichen reich behangene Zimmer kam, sah sie das große Feuer im Kamin und den schönen Tisch gedeckt und das kräftige Mahl bereitet und den schönen Kredenzschrank wohl mit Tafelgeschirr versehen. Darüber erstaunte sie noch mehr als vordem, und ihre Verwunderung ward noch größer, da sie keine Seele von all denen kannte, die sie sprechen hörte. Es ward ihr sofort ihr grobseidenes Tuch, in das sie wohlverhüllt und eingewickelt war, abgenommen; und als ihr Mann und desgleichen die andern Leute dort ihr Gesicht und ihre Gestalt nun sahen, waren sie, ihr dürft es glauben, ebenso überrascht, als wären ihnen aus der Stirn Hörner gewachsen.

»Wie«, rief der Mann, »ist das meine Frau? Oh, wie bin ich glücklich, Muttergottes! Seit gestern ist sie ja ganz verwandelt, ich glaube wahrhaftig, sie ist im Jungbrunnen gewesen.«

»Wir wissen nicht«, erklärten die, die sie herbeigeführt hatten, »woher sie kommt und was man mit ihr getan hat, doch das wissen wir bestimmt, daß sie die Frau ist, die Ihr heut geheiratet habt, und daß wir sie beim Altar an der Hand faßten und seitdem nicht mehr einen Augenblick losließen.«

Die Gesellschaft war sehr erstaunt, und lange Zeit sagte niemand ein Wort. Doch die arme, einfältige, erschrockene Neuvermählte war ganz trostlos, weinte heftig und vermochte nicht ihre Fassung zu bewahren. Sie wäre viel lieber bei ihrem Freunde gewesen, den sie an diesem Tage geheiratet zu haben geglaubt. Als der Mann ihren Kummer sah, hatte er Mitleid mit ihr und sagte: »Liebe Freundin, beruhigt Euch doch, Ihr seid ja, so Gott will, in ein gutes Haus gekommen, fürchtet Euch nicht, man wird Euch hier schon kein Leids antun. Aber sagt mir doch, wer Ihr seid und auf wessen Veranlassung Ihr hierherkommt.«

Als sie ihn so freundlich sprechen hörte, faßte sie sich ein wenig und nannte ihm Vater und Mutter und erklärte, sie sei aus Brüssel und habe einen Mann, dessen Namen sie ihm nannte, zum Verlobten gehabt und geglaubt, ihn rechtmäßig geheiratet zu haben. Der Mann und alle dort Anwesenden begannen zu lachen und erklärten, der Pfarrer hätte ihnen diesen Streich gespielt. »Doch Gott sei ob dieses Tausches gelobt«, so erklärte der Mann von neuem, »ich bin von ganzem Herzen froh darüber, daß Gott Euch mir zugeschickt hat, und verspreche Euch bei meiner Seele, Euch gut zu behandeln. «

»Nein, nein«, rief sie weinend, »Ihr seid nicht mein Mann, ich will zurück zu dem, dem mich mein Vater gegeben hat.«

»Das wird nicht gehen«, versetzte er. »Ich habe Euch in der heiligen Kirche geheiratet, und Ihr könnt dagegen keinen Widerspruch erheben. Ihr seid und bleibt meine Frau, gebt Euch zufrieden, es wird Euch schon gut gehen. Ich habe, Gott sei Dank, Güter genug, und Ihr sollt über sie verfügen und gebieten und werdet es nicht zu bedauern haben.«

Er predigte so lange, desgleichen alle andern Anwesenden, bis sie sich zufriedengab.

Nun wollen wir zu unsrer Alten und dem jungen Gesellen zurückkehren. Um es kurz zu machen: sie ward in das Haus des Vaters des Mädchens geführt, das zu dieser Stunde bei dem alten Mann schlief. Als sie sich im Hause befand, meinte sie vor Wut zu vergehen und schrie ganz laut: »Was soll ich hier, weshalb führt man mich nicht in mein Haus oder in das meines Mannes?«

Als der junge Mann diese Alte sah und sprechen hörte, war er sehr erstaunt, und ebenso sein Vater, seine Mutter und die ganze übrige Gesellschaft. Nun traten der Vater und die Mutter vor, die die alte Frau kannten und von ihrer Heirat sehr wohl gehört hatten, und sagten: »Man hat Euch, lieber Sohn, die Frau des und des Mannes gegeben, und Ihr dürft versichert sein, er hat die Eure genommen; und das durch die Schuld unseres Pfarrers, der so schlecht sieht. Und so Gott mir helfe, ich glaube gar, obschon ich, als Ihr Eure Ehe schloßt, weit weg von Euch stand, diesen Tausch mit angesehen zu haben.«

»Was soll ich nun machen?« fragte der Neuvermählte.

»Bei meiner Seele«, versetzte sein Vater, »ich weiß es auch nicht recht, doch fürchte ich sehr, Ihr könnt eine andere Frau nicht mehr nehmen.«

»Bei Sankt Johann«, erklärte die Alte, »ich will ihn ganz und gar nicht. Ich brauche solch einen Menschen nicht! Da wäre ich wahrhaftig recht glücklich, wenn ich solch einen jungen Burschen hätte, der sich um mich nicht kümmert, all mein Geld vertut und, wenn ich ihm ein Wörtchen sage, mich noch tüchtig verprügelt. Weg, weg, holt Eure Frau, und laßt mich dorthin gehen, wohin ich gehöre.«

»Wenn ich«, entgegnete ihr Mann, »sie wiederfinden könnte, so wäre sie mir, bei der Heiligen Jungfrau, viel lieber als Ihr, wenn sie auch arm ist. Doch sollt Ihr nicht von der Stelle, wenn es mir nicht gelingt.«

Sein Vater und einige seiner Verwandten gingen in das Haus, in dem die Alte gern hätte sein mögen. Und sie fanden die Gesellschaft tapfer schmausend und mit der Zubereitung der Brautsuppe für Mann und Frau beschäftigt. Sie erzählten, was sie hergeführt hätte, und man antwortete ihnen: »Ihr kommt zu spät. Jeder soll behalten, was er hat. Der Herr hier ist mit der Frau, die Gott ihm geschenkt hat, zufrieden, hat sie geheiratet und will keine andere. Und Euch braucht es nicht leid zu tun, denn wo wäret Ihr sonst so glücklich gewesen und hättet Eure Tochter so gut verheiratet! Nun seid ihr auf einmal allesamt reich.«

Der gute Vater ging nach Haus zurück und überbrachte die Antwort, worüber die Alte aus der Haut zu fahren meinte. »Was?« rief sie, »ich bin betrogen! Bei Gott, damit gebe ich mich nicht zufrieden. Ich werde schon mein Recht bekommen.«

Die Alte war also recht unzufrieden. Ebensosehr oder noch mehr der junge Mann, der sich um sein Liebchen gebracht sah. Und er hätte sich wohl noch leicht damit abgefunden, wenn er das Geld der Alten wenigstens hätte bekommen können. Aber davon war gar keine Rede, denn sie führte sich so böse auf, daß er sie in ihr Haus ziehen lassen mußte. Nun ward ihm der Rat gegeben, sie vor den gnädigen Herrn von Cambray laden zu lassen, und sie ließ ebenfalls den alten Mann, der die junge Frau geheiratet hatte, vor ihn laden. Und sie haben einen großen Prozeß begonnen, dessen Urteil noch nicht verkündet ist, so daß ich euch nichts mehr davon zu sagen weiß.

 


 


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