Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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52. Novelle
Die drei Lehren

Als jüngst ein vornehmer, gelehrter, kluger und tugendreicher Edelmann auf dem Sterbebett lag, seine Anordnungen getroffen und sich mit seinem Gewissen abgefunden hatte, rief er seinen einzigen Sohn, dem er viele irdische Güter hinterließ. Und als er ihm seine Seele, die Mutter, die vor kurzem gestorben war, und alle armen Seelen im Fegfeuer empfohlen hatte, gab er ihm zum Schluß noch drei Lehren, die letzten, die er ihm geben konnte, und sagte: »Mein teurer Sohn, zuerst erteile ich Euch den guten Rat, verkehrt niemals so lange im Hause Eures Nachbarn, bis man Euch schwarzes Brot vorsetzt. Zweitens rate ich Euch, hütet Euch wohl, Euer Pferd im Galopp zu reiten. Drittens nehmt keine Frau aus fremdem Lande. Gedenkt dieser drei Dinge, und ich zweifle nicht, daß es Euch gut gehen wird. Doch wenn Ihr sie nicht befolgt, werdet Ihr wahr und gewißlich zur Überzeugung kommen, daß Ihr besser getan, wenn Ihr Euch an den Rat Eures Vaters gehalten hättet.«

Der Sohn dankte seinem Vater für seinen guten Rat und versprach ihm, seine Lehren sich tief ins Herz zu schreiben, ihrer stets zu gedenken und sich immer nach ihnen zu richten. Bald darauf starb der Vater, und die Leichenfeier ward gehalten, wie es einem Manne seines Ranges und Reichtums zukam; denn sein Sohn wollte sich für einen anständigen Mann gehalten wissen, der über große Mittel verfüge.

Eine Weile danach freundete sich, da man mit dem einen schneller als mit dem anderen bekannt wird, dieser gute Edelmann, der Vater und Mutter verloren hatte, im heiratsfähigen Alter stand und ein Heim nicht kannte, mit einem Nachbarn an und pflegte meist bei ihm zu trinken und zu essen. Dieser Nachbar, der mit einer schönen Frau verheiratet war, ward sehr eifersüchtig, und seine argwöhnischen Augen verrieten ihm, daß unser Edelmann nur wegen seiner Frau in sein Haus kam, wirklich in sie verliebt war, und er fürchtete, daß jener sie ihm mit der Zeit entreißen könnte. Das bereitete ihm durchaus keine Freude, aber er wußte nicht, wie er sich seiner auf anständige Weise entledigen könnte, denn ihm seine Gedanken zu verraten, ging doch nicht an. Daher beschloß er, ihm seine Meinung nach und nach zu verstehen zu geben, so daß er, wenn er nicht zu dumm war, schließlich begreifen mußte, daß seine fortgesetzten Besuche ihm nicht gefielen; und er ließ ihm, um seine Absicht auszuführen, anstatt des weißen Brotes wie sonst schwarzes Brot darbieten. Das fiel, ich weiß nicht nach wieviel Mahlzeiten, unserm Edelmann auf, und er erinnerte sich der Lehre seines Vaters; nun erkannte er, daß er einen Fehler begangen hatte, bereute seine Schuld, verbarg ganz heimlich in seiner Tasche ein Stück des schwarzen Brotes und nahm es mit heim; und zum Andenken hängte er es an einer Schnur im großen Saal auf und ging niemals wieder, wie er es vordem getan, in das Haus seines Nachbarn.

Eines Tages, als er sich zu seinem Zeitvertreib auf dem Felde befand und seine Windspiele einen Hasen aufgejagt hatten, trieb er sein Pferd, so kräftig er konnte, an und stürmte den Windspielen und dem Hasen nach, bis sein Pferd, das lief, was es konnte, fehltrat, niederstürzte und sich den Hals brach; und er war sehr erschrocken, aber auch sehr froh, als er sich vor dem Tode und vor Wunden bewahrt sah; doch den Hasen hatte er gefangen. Und als er ihn in der Hand hielt und sein Pferd, das er so geliebt hatte, betrachtete, erinnerte er sich der zweiten Lehre, die sein Vater ihm gegeben, und sagte sich: hätte er sie wohl im Gedächtnis behalten, so hätte er nicht einen solchen Verlust erlitten, sondern diese große Gefahr gemieden. Als er daheim war, hängte er in seinem Saal neben das schwarze Brot an eine Schnur die Pferdehaut zum Gedächtnis und Andenken an die zweite Lehre, die sein Vater ihm einst gegeben hatte.

Eine Weile danach erfaßte ihn Reiselust, er wollte fremde Länder sehen, ordnete seine Angelegenheiten, steckte Geld zu sich, suchte gar manches Land auf, kam in die verschiedensten Gegenden, machte endlich halt und nahm Wohnung in dem Hause eines großen Herrn, in einem fremden und fernen Land; und er führte sich so wohl auf und zeigte ein solch gutes Benehmen, daß der Herr ihm bereitwillig seine Tochter zur Frau gab, obwohl er, abgesehen von seinen löblichen Sitten und Eigenschaften, nichts von ihm wußte.

Um es kurz zu machen: er verlobte sich mit der Tochter dieses Herrn, und der Hochzeitstag kam. Und als er die Nacht bei ihr zu schlafen gedachte, erklärte man ihm, nach der Sitte des Landes schlafe man nicht die erste Nacht bei seiner Frau und er solle sich bis zum nächsten Tag gedulden.

»Wenn das so Brauch ist«, sagte er, »soll man meinetwegen davon nicht abgehen.«

Seine Gattin ward nach dem Tanze in ein Zimmer geführt, wo sie schlafen sollte, und er in ein anderes. Und zu seinem Glück war zwischen diesen beiden Zimmern nur eine Wand aus Lehm. Um bequem sehen zu können, kam er auf den Gedanken, mit seinem Degen ein Loch in diese Wand zu machen, und sah ganz nach Wunsch, wie seine junge Frau in ihr Bett stieg, sah aber auch nicht lange danach den Kaplan des Hauses sich neben sie legen, um ihr Gesellschaft zu leisten, damit sie nicht Furcht hätte, oder vielleicht auch, um zu versuchen, ob er vielleicht vorher schon den Zehnten einfordern könnte, wie es die Franziskaner, von denen früher erzählt wurde, getan hatten.

Als unser guter Edelmann das Pärchen beisammen sah, hatte er gerade genug Flachs an seinem Rocken, wie ihr euch denken könnt, und sogleich erinnerte er sich der dritten Lehre, die sein Vater ihm gegeben und die er so schlecht befolgt hatte. Er tröstete sich aber und dachte, die Sache sei noch nicht so weit gediehen, daß er nicht noch mit heiler Haut davonkommen könnte. Am nächsten Morgen erhob sich der gute Kaplan, sein nächtlicher Stellvertreter und Vorgänger, sehr zeitig und vergaß zufällig seine Hosen unter dem Kopfkissen des Betts der Neuvermählten. Ohne sich etwas merken zu lassen, trat unser guter Edelmann an das Bett, begrüßte seine Frau, so freundlich er konnte, und wußte, ohne daß es eine Menschenseele merkte, die Hosen des Priesters an sich zu nehmen.

Dieser ganze Tag ging unter Festen und Freuden vorüber, und als der Abend kam, ward das Bett für die Neuvermählte hergerichtet, mit aller Pracht geschmückt und sie darin zur Ruhe gelegt. Nun sagte man dem Bräutigam, er könne, wenn es ihm beliebe, heute zu seiner Frau schlafen gehen. Er hatte seine Antwort schon fertig und sagte zum Vater, zur Mutter und zu den Verwandten, die es hören mochten: »Ihr wißt nicht, wer ich bin und wem ihr eure Tochter gegeben habt, und habt mir doch die höchste Ehre erwiesen, die jemals einem jungen fremden Edelmann zuteil ward, wofür ich euch sehr dankbar sein müßte. Doch habe ich mich entschlossen und werde davon auch nicht abgehen, nicht eher bei ihr zu schlafen, als bis ich ihr und auch euch gezeigt habe, wer ich bin, was ich habe und wie ich wohne.«

Der Vater nahm alsbald das Wort und erwiderte: »Wir wissen sehr wohl, daß Ihr ein Edelmann von hoher Geburt seid und Gott Euch nicht mit so vielen trefflichen Eigenschaften bedacht hat, ohne Euch zugleich Freunde und Reichtum zu geben. Ihr paßt uns, und wir bitten Euch, das Beilager zu vollziehen; wir werden auch späterhin noch früh genug erfahren, wie es um Euch steht, wenn es Euch beliebt.«

Um es kurz zu machen: er versicherte und schwor, erst in seinem Hause bei ihr schlafen zu wollen, und ihr Vater und ihre Mutter und viele ihrer Verwandten und Freunde sollten sie dort hinführen. Er ließ sein Haus zu ihrer Aufnahme herrichten und kam einen Tag vor ihnen daheim an. Und sobald er vom Pferde gestiegen war, nahm er die Hosen des Priesters und hängte sie in den Saal neben das schwarze Brot und die Pferdehaut. Die Verwandten und Freunde der guten Neuvermählten wurden großartig aufgenommen und bewirtet und waren sehr erstaunt, das Haus eines solch jungen Edelmanns so wohl versehen mit Tafelgeschirr, Teppichen und allen möglichen Möbeln zu finden, und schätzten sich glücklich, ihre schöne Tochter so gut verheiratet zu haben.

Als sie im Hause Umschau hielten, kamen sie in den großen, mit schönen Teppichen ausgehängten Saal und bemerkten in seiner Mitte das schwarze Brot, die Pferdehaut und ein Paar Hosen, die an Schnüren niederhingen, worüber sie sich sehr wunderten; und sie fragten ihren Wirt, den Bräutigam, was das zu bedeuten habe. Und er erwiderte ihnen, er würde es ihnen erklären, wenn sie gegessen hätten. Das Mahl war bereit, und Gott weiß, daß sie wohl bedient wurden. Sie hatten kaum gegessen, als sie nach der Bedeutung und dem Rätsel des schwarzen Brots, der Pferdehaut und so weiter fragten; und der gute Edelmann erzählte ihnen die Geschichte ausführlich, daß sein Vater auf dem Sterbebett, wie oben berichtet, ihm drei Lehren gegeben hätte. »Die erste war, ich solle niemals so oft in ein Haus kommen, daß man mir schwarzes Brot vorsetze. Ich vergaß diese Lehre. Nach seinem Tode nämlich besuchte ich so häufig einen meiner Nachbarn, bis er wegen seiner Frau eifersüchtig wurde und man mir statt des weißen Brots, das ich lange erhalten, schwarzes vorsetzte; und zum Andenken an diese Lehre, deren Güte ich erprobt hatte, habe ich hier dies Schwarzbrot aufhängen lassen. - Die zweite Lehre, die mein Vater mir gab, war, niemals mein Pferd im Galopp zu reiten. Ich hielt mich nicht daran, und das bekam mir eines Tages übel; denn als ich hinter dem Hasen und meinen Hunden hergaloppierte, brach mein Pferd den Hals, und ich ward tüchtig zerschlagen. Und zum Andenken daran hängt hier die Haut des Pferdes, das ich damals verlor. - Die dritte Lehre, die mein Vater mir gab, war, ich solle nie eine Frau aus fremdem Land heiraten. Nun habe ich auch dagegen gefehlt, und ich will euch sagen, wie es mir dabei ergangen ist. Als ihr mir nämlich erklärtet, ich dürfe die erste Nacht nicht bei eurer Tochter schlafen, ward ich in dem Zimmer dicht neben dem ihren einquartiert; und da die Wand zwischen ihr und mir nicht allzu stark war, machte ich mit meinem Degen ein Loch hinein und sah bei ihr den Kaplan eures Hauses schlafen, der am Morgen, als er aufstand, seine Hosen unter den Kopfkissen des Betts vergaß. Ich nahm sie an mich, und sie sind's, die ihr hier hängen seht und die die heilige Wahrheit der dritten Lehre, die mir mein Vater einst gab und an die ich mich nicht gehalten habe, bezeugen und bestätigen. Und die drei Dinge, die ihr hier seht, sollen mich künftig bewahren, von neuem gegen die erteilten Lehren zu verstoßen. Gott sei Dank habe ich gegen eure Tochter nicht derartige Verpflichtungen, daß ich mich ihrer nicht mit Anstand entledigen könnte, und bitte euch, nehmt sie wieder und führt sie in euer Land zurück; denn solange ich lebe, will ich mit ihr nichts zu schaffen haben. Da ich euch aber einen so langen Weg habe machen lassen und euch habe zeigen wollen, daß ich nicht der Mann bin, der mit dem, was ein Priester übrigläßt, vorliebnimmt, will ich euch eure Kosten ersetzen.«

Die andern wußten nichts zu erwidern, sahen sich geschlagen, erkannten ihr Unrecht und waren es zufrieden, da sie sich fern von ihrem Lande sahen und nicht die Macht hatten, hier Widerspruch zu erheben, sich ihre Kosten ersetzen zu lassen und dorthin, woher sie gekommen, zurückzukehren. Die drei Lehren, die der gute Vater seinem Sohn gab, sind, wie ihr in dieser Geschichte gehört habt, sehr beherzigenswert, und jeder möge sich, soweit er sich davon betroffen fühlt, an ihnen ein Beispiel nehmen.

 


 


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