Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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24. Novelle
Die halbausgezogenen Stiefel des Grafen Walerant

Obwohl in den oben erzählten Novellen die Namen der Männer und Frauen, von denen sie gehandelt haben und handeln, nicht aufgezeichnet sind, möchte ich doch sehr gern in meiner kleinen Geschichte den Namen des Helden nennen, des Grafen Walerant, seinerzeit Graf von St. Pol, der schöne Graf genannt. Unter seinen Herrschaften befand sich auch ein Dorf in der Kastellanei von Lille names Wrelenchem, von Lille nur ungefähr eine Meile entfernt. Dieser schmucke Graf, von guter und freundlicher Gemütsart, war und blieb zeit seines Lebens der Liebe über die Maßen ergeben.

Aus dem Bericht einiger seiner Leute, die ihn in dieser Hinsicht bedienten, erfuhr er, daß in dem genannten Wrelenchem ein sehr schönes, schmuckes und wohlgestaltetes Mädchen lebe. Er zögerte nicht lange, nachdem er diese Kunde vernommen hatte, und fand sich in diesem Dorf ein. Und alles, was ihm seine Diener bezüglich des Mädchens gesagt hatten, traf in jeder Hinsicht zu, wie sich der Graf mit eigenen Augen überzeugen konnte.

»Was ist da nun zu machen?« fragte der schmucke Graf. »Ich muß sie unter vier Augen sprechen, gleichviel was es kostet!«

Der eine seiner Diener, ein wahrer Gelehrter in seinem Fach, erklärte: »Gnädiger Herr, um Eurer Ehre willen und der des Mädchens auch scheint's mir am besten, wenn ich ihm Euren Wunsch entdecke. Und nach der Antwort, die ich erhalte, werde ich schon wissen, was ich zu sagen und weiter zu tun habe!«

Wie der Mann vorschlug, so geschah es, denn er ging zu dem schönen Mädchen und begrüßte es sehr höflich. Und dieses, ebenso klug und gut wie schön, erwiderte höflich seinen Gruß. Um es kurz zu machen: nach manchem freundlichen Wort hält der gute Kuppler ihm eine große Rede über das Wohlwollen und die Ehre, die sein Herr ihm zu beweisen vorhabe. Und es komme nur auf sie an, dann können durch sie ihre ganze Familie Reichtum und Ehre gewinnen.

Das gute Mädchen hörte bald, was die Stunde geschlagen hatte, und gab eine Antwort, wie sie von ihm, das schön und gut war, nicht anders zu erwarten war: Was den Herrn Grafen betreffe, so wolle sie, ihre Ehre unangetastet, ihm gehorchen, ihn fürchten und ihm in allen Dingen dienen. Doch wer etwas von ihr verlange, das wider ihre Ehre sei, die sie so hoch wie ihr Leben halte, den kenne sie nicht und dem werde sie begegnen wie der Affe den Leuten, die ihm einen Schabernack spielten.

Wer über diese Antwort erstaunt und ärgerlich war, das war unser Liebesbote, der seinem Herrn alles, was er hatte, brachte: Fisch, denn an Fleisch fehlte es. Ob der Graf, als er die stolze und herbe Antwort des Mädchens, dessen Freundschaft und Genuß er mehr als irgend etwas anderes in der Welt ersehnte, unzufrieden war, braucht man nicht zu fragen. Endlich sagt er: »Nun gut, dann wollen wir's für diesmal lassen, ich werde schon wieder darauf zurückkommen, wenn sie denkt, alles sei vergessen!«

Bald danach verließ er das Dorf und kam erst nach sechs Wochen wieder. Und als er zurückkehrte, geschah es so verstohlen, daß kein Mensch im Örtchen davon erfuhr, so einfach kleidete er sich und so heimlich fand er sich ein. Seine Spione berichteten ihm, daß unser schönes Mädchen in einem Waldwinkel fern von allen Leuten Gras schneide. Er war sehr froh und machte sich so angezogen, wie er war, von seinen Spähern begleitet, auf den Weg zu ihr. Und als er der Gesuchten nahe war, verabschiedete er seine Leute und ging so lange, bis er sich bei seiner Dame befand, die seiner nicht eher gewahr wurde, als bis sie ihn erblickte. Daß sie überrascht und erschrocken war, sich von dem Herrn Grafen festgehalten und ergriffen zu sehen, ist nicht wunderbar. Sie wechselte die Farbe, war ratlos, und für ein Weilchen verlor sie sogar die Sprache, denn sie wußte durch das Gerücht, daß er Frauen gegenüber gefährlich und unternehmungslustig war.

»Ah, Teufel, Fräulein«, sagte nun der schmucke Graf, der sich vom Liebesfeuer erfaßt sah, »Ihr seid wunderbar stolz. Man kann Euch nicht ohne Belagerung besitzen. Nun denkt wohl auf Eure Verteidigung, denn Ihr seid zur Schlacht gekommen. Bevor Ihr von mir geht, sollt Ihr nach meiner Lust und ganz nach meinem Willen für die Mühen und Leiden, die ich ob der Liebe zu Euch getragen und gelitten habe, büßen!«

»Ach, gnädiger Herr«, sagte da das junge Mädchen, erschrocken und überrascht, wie es war, »ich bitte Euch um Gnade! Habe ich etwas gesagt oder getan, was Euch mißliebig war, so wollet es mir verzeihen, obwohl ich nichts gesagt oder getan zu haben glaube, deshalb Ihr mir gram sein müßtet. Ich weiß wirklich nicht, was man Euch berichtet hat. Man hat mir in Eurem Namen einen schändlichen Antrag gemacht. Ich habe dem aber keinen Glauben geschenkt, denn ich halte Euch für so tugendsam, daß, wie ich meine, Ihr um keinen Preis eine Eurer niedrigen Untertaninnen so wie mich entehren würdet, im Gegenteil, Ihr würdet ihr die Ehre noch bewahren helfen!«

»Hört mit diesen Redensarten auf«, entgegnete der gnädige Herr, »Ihr könnt sicher sein, daß Ihr mir nicht entwischt, ich will Euch zeigen, wie gut ich's mit Euch meine und warum ich Botschaft zu Euch schickte!«

Und ohne weiter ein Wort zu sprechen, streifte er ihr die Röcke in die Höhe, nahm sie in seine Arme, und legte sie auf einen kleinen Grashaufen, den sie zusammengekehrt hatte, mühelos ausgestreckt auf den Rücken und traf schnell seine Vorbereitungen, um sein so lange gehegtes Gelüst zu stillen.

Dem jungen Mädchen, das sich in dieser Gefahr und auf dem Punkt sah, das, was ihm in dieser Welt am teuersten war, zu verlieren, kam ein guter Einfall, und es sagte zu dem gnädigen Herrn: »Ich ergebe mich Euch. Ich will, was Euch gefällt, ohne jede Weigerung und Widerspruch tun. Es muß Euch doch auch lieber sein, von mir das, was Ihr wollt, mit meiner Einwilligung und meinem Einverständnis zu erhalten, als wider meinen Willen Eurem zuchtlosen Begehren zu willfahren.«

»Ah, Teufel«, sagte der gnädige Herr, »damit Ihr mir entwischt, nein! Was wollt Ihr denn?«

»Ich bitte Euch«, versetzte sie, »da ich Euch nun einmal gehorchen muß, tut mir die Ehre an und beschmutzt mich nicht mit Euren schmierigen und garstigen Stiefeln!«

»Was soll ich denn machen? « fragte der gnädige Herr.

»Ich will sie Euch hübsch abziehen, wenn es Euch gefällt«, antwortete sie, »denn ich hätte wahrhaftig nicht das Herz und den Mut, Euch in diesen häßlichen Stiefeln schönzutun!«

»Auf die Stiefel kommt's wenig an!« versetzte der gnädige Herr. »Doch meinetwegen, da's Euch beliebt, sollen sie herunter!« Und darauf ließ er von seinem Unterfangen ab, setzte sich aufs Gras und hielt ihr ein Bein hin. Und das schöne Mädchen löst ihm den Sporn und zieht ihm dann den einen der sehr engen Stiefel ab. Und als er ungefähr zur Hälfte abgezogen war, was ihr auch schon viel Mühe machte, denn sie zog ihn absichtlich schief, machte sie sich, so schnell sie nur die Füße tragen konnten, davon, vom besten Willen gefördert und getrieben, ließ den schmucken Grafen zurück und hörte nicht eher auf zu laufen, als bis sie im Hause ihres Vaters war.

Als der gute Herr sich so getäuscht sah, geriet er in den größten Zorn. Und wer ihn zu dieser Stunde hätte lachen sehen, hätte niemals das Fieber bekommen.

Da das Unglück nun einmal geschehen war, erhob er sich und wollte auf seinen Stiefel treten, um ihn so von seinem Bein zu ziehen - doch umsonst, er war zu eng. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu seinen Leuten zurückzukehren.

Zu seinem Glück hatte er nicht weit zu gehen, da fand er seine guten Jünger auf dem Rand eines Grabens, wo sie ihn erwarteten, und sie wußten nicht, was sie denken sollten, als sie ihn in solchem Aufzug sahen. Er erzählte ihnen die ganze Geschichte und ließ sich wieder den Stiefel anziehen. Und wer ihn hörte, hätte denken müssen, sie, die ihn getäuscht hatte, wäre in dieser Welt nicht sicher, so groß war seine Absicht und sein Wunsch, ihr Kummer zu bereiten. Doch wenn er ihr auch damals Böses anzutun die Absicht hatte und über sie eine Zeitlang ärgerlich war, so beruhigte er sich doch, und all sein Groll ward in eine herzliche Liebe umgewandelt. Später nämlich verheiratete er sie sehr reich und gut, suchte ihr selbst einen Mann aus und gab ihr eine prächtige Aussteuer; und dazu bewog ihn einzig der Freimut und die Treue, die er bei ihr gefunden und von denen er wahrhafte Kenntnis durch die oben erzählte Abweisung erhalten hatte.

 


 


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