Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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2. Novelle
Der Franziskaner als Arzt

In der von vielen Leuten häufig besuchten und wohlbekannten Hauptstadt des Königreichs England, London, lebte vor kurzer Zeit ein reicher und mächtiger Mann, der Kaufmann und Bürger war, große Kostbarkeiten und unzählige Schätze besaß und sich noch für weit reicher als durch seine Güter hielt, weil er eine schöne Tochter hatte, die Gott ihm als hohe Draufgabe auf seine Habe geschickt hatte, denn an Freundlichkeit, Schönheit und Schmuckheit übertraf sie alle Mädchen, die älter als sie waren.

Und in der Zeit, da dieser lockende Ruf und das Gerücht von ihren löblichen Eigenschaften umliefen, in ihrem fünfzehnten Jahr ungefähr, bemühten sich, weiß Gott, viele Leute aus gutem Stande um ihre Gunst und Huld auf alle mögliche Weise, wie es die Liebe vermag, was ihren Vater und ihre Mutter sehr freute. Und darob wuchs noch mehr die heiße elterliche Liebe, die sie ihrer schönen geliebten Tochter entgegenbrachten.

Gleichwohl geschah's, mit Gottes Willen oder auf Wunsch und Geheiß Fortunas, die dem schönen Mädchen, seinen Eltern oder allen zusammen ihr Glück nicht gönnte und neidete, oder infolge eines geheimen Grundes und einer natürlichen Ursache, was festzustellen ich den Philosophen und Ärzten überlasse, daß das Mädchen sich eine unangenehme und gefährliche Krankheit zuzog, die man gewöhnlich Hämorrhoiden nennt.

Das heitere Haus ward aufs tiefste betrübt, als das häßliche Übel seine Wind- und Jagdhunde auf das Kaninchengehege, das die Eltern am höchsten schätzten, loszulassen und noch dazu seine Beute an so gefährlicher und empfindlicher Stelle zu fassen gewagt hatte.

Das arme, ob dieses schlimmen Leidens ganz bestürzte Mädchen verliert seine Fassung und weiß nichts, als zu weinen und zu seufzen. Seine schmerzerfüllte Mutter ist heftig erregt und bekümmert, und sein betrübter Vater ringt die Hände und rauft sich die Haare, aus Verzweiflung über dies eben ihnen gesandte Leid. Was soll ich euch sagen? All die große Freude, die in diesem Hause in hohen Wogen strömte, ward durch diesen harten Schlag verscheucht und zu schlimmer Stunde in bittere und plötzliche Trauer verwandelt.

Nun kommen die Verwandten, Freunde und Nachbarn dieses trauernden Hauses, besuchen und trösten die Familie, doch das nützte wenig oder nichts, denn immer mehr ward das gute Kind von diesem Übel bedrängt und beschwert. Jetzt kommt eine ältliche Dame, die gründlich dieser Krankheit nachforscht, und läßt die leidende Patientin, Gott weiß, zu ihrem großen Verdruß bald so, bald anders sich wenden und gibt ihr dann Arzneien aus hunderttausend Kräuterarten, doch umsonst; es wird immer ärger und schlimmer. Nun muß man nach den Ärzten der Stadt und der Umgegend schicken, und das arme Mädchen muß sich aufdecken und seine so jämmerliche Krankheit zeigen.

Jetzt sind Meister Pierre, Meister Jean, Meister So, Meister Anders gekommen, soviel Ärzte ihr wünscht, die allesamt die Patientin und die Körperteile aufgedeckt sehen wollen, wo die verwünschten Hämorrhoiden, ach! schon lange sich festgesetzt hatten. Das arme Mädchen war darob ebenso überrascht und erstaunt, als wäre es zum Tod verurteilt gewesen, und wollte sich nicht so legen lassen, daß man den Sitz des Übels betrachten konnte; es wäre viel lieber gestorben, als daß es ein solches Geheimnis einem Menschen entdeckt hätte.

Dieser Eigensinn hielt nicht lange an, denn Vater und Mutter kamen, machten ihr viele Vorstellungen und sagten zum Beispiel, er könne die Ursache ihres Todes werden, was eine große Sünde sei, und noch viele andere, ähnlich geheimnisvolle Dinge, die zu erzählen zu lange aufhalten würde. Endlich gab das arme Mädchen mehr wegen des Vaters und der Mutter als aus Furcht vor dem Tode nach, ward auf ein Bett gelegt, das Gesicht nach unten, und den Leib so gut und weit aufgedeckt, daß die Ärzte das große Übel, an dem es sehr litt, deutlich sehen konnten. Sie trafen ihre Anordnungen und ließen bei den Apothekern Klistiere, Salben, Pulver und was ihnen sonst noch gut schien, zubereiten, und sie nahm und tat alles, was man wollte, um die Gesundheit wiederzuerlangen. Doch alles ist umsonst, denn die Ärzte wissen weder Mittel noch Wege, um ein wenig Linderung bei diesem schändlichen Leiden zu schaffen, und haben in ihren Büchern nichts darüber gelesen, noch haben sie es je gesehen. Und am meisten verschlimmert sich der Zustand des armen Mädchens durch den Kummer, den es über seine Krankheit empfindet, so daß es eher tot als lebendig zu sein scheint.

In diesem herben Schmerz und schweren Kummer verging so mancher Tag. Und da Vater und Mutter, Verwandte und Nachbarn sich überall nach Mitteln zur Linderung des Übels des Mädchens umtaten, trafen sie auch einen alten Franziskaner, der nur ein Auge besaß, in seinem Leben viel gesehen und besondere Kenntnisse in der Heilkunde sich erworben hatte.

Daher war den Eltern der Patientin sein Besuch hoch willkommen; er betrachtete, ach! unter demselben Mißfallen der Kranken, das sie auch früher gezeigt hatte, alles nach Belieben und vermaß sich hoch und heilig, sie zu heilen. Ihr könnt euch denken, daß man seine Worte sehr gern hörte, und so ward die trauernde Gesellschaft, aus der längst alle Heiterkeit geschwunden war, dadurch etwas getröstet und hoffte, die Sache werde nach seinen Worten ausgehen.

Nun verließ er das Haus und versprach, morgen mit der heilkräftigen Arznei wiederzukommen, die der armen Patientin in kurzer Zeit den großen Schmerz, der sie so marterte und peinigte, nehmen sollte.

Die Nacht war sehr lang, da man den ersehnten Tag erwartete. Trotzdem vergingen nicht viel Stunden, da erinnerte sich unser guter Franziskaner seines Versprechens, sich bei der Patientin zur festgesetzten Stunde einzufinden. Daß er sehr freundlich und ebenso vergnügt empfangen ward, könnt ihr euch denken. Und als die Stunde kam, da er beginnen und an der Kranken sein Mittel versuchen wollte, nahm man sie wie das letztemal und legte sie so gut wie möglich umgekehrt auf das Bett, und ihr Hintern ward ziemlich weit aufgedeckt und unverzüglich von den Frauen mit einem schönen weißen Stück Leinen bedeckt, belegt und bewehrt, und an der Stelle des geheimen Übels ward ein hübsches Loch gemacht, durch das der Meister Franziskaner es deutlich sehen konnte.

Er betrachtete das Übel bald von der einen, bald von der andern Seite; jetzt betastet er es ganz sachte mit dem Finger, nun nimmt er das Pulver, das er bei ihr anwenden will. Jetzt betrachtet er die Röhre, durch die er das Pulver auf und in das Übel blasen will, nun wendet er sich ihr von neuem zu und sieht abermals auf das Übel und kann es sich gar nicht genug ansehen.

Endlich nimmt er sein Pulver in die linke Hand, schüttet es in ein hübsches, kleines, flaches Gefäß, nimmt in die andre seine Röhre, die er mit dem Pulver füllen will, und beschaut sehr gründlich und ganz nahe durch das Loch ringsum das schmähliche Übel des armen Mädchens. Und als es die sonderbare Art bemerkte, wie unser Franziskaner mit seinem einen Auge alles besah, konnte es sich nicht halten; ein gewaltiges Lachen suchte es lange, aber so schlecht, ach! zurückzuhalten, daß das gewaltsam unterdrückte Lachen zu einem Schall auf der Kehrseite ward, dessen Wind so genau auf das Pulver traf, daß der größte Teil desselben gegen das Gesicht und das einzige gute Auge des guten Franziskaners flog, der, sobald er diesen Schmerz spürte, Gefäß und Röhre fallen ließ und beinah auf den Rücken gefallen wäre, so sehr war er erschrocken.

Und als er sich wieder etwas gefaßt hatte, legte er schnell die Hand an das Auge und beklagte sich heftig, sagte, er sei entstellt und in Gefahr, sein einziges gutes Auge auch noch zu verlieren. Er log nicht, denn in wenigen Tagen verwüstete und fraß ihm das ätzende Pulver das Auge auf, und so ward er blind und blieb es.

Daher ließ er sich eines Tages zu dem Haus, in dem er diesen schönen Preis gewonnen hatte, leiten und führen und von seinem Führer zum Herrn des Hauses bringen, dem er seinen jämmerlichen Zustand unter Bitten und Ersuchen klagte, ihm doch, wie es recht und billig sei und wie es seinem Stande zukomme, einen anständigen Lebensunterhalt zu gewähren.

Der Bürger erwiderte, dieser sein unglücklicher Zufall tue ihm überaus leid, er sei aber nicht dazu die Veranlassung gewesen und glaube sich in keiner Weise zu irgend etwas verpflichtet. Trotzdem erklärte er sich bereit, ihm aus Mitleid und als Almosen eine freundliche Geldhilfe zuteil werden zu lassen, da er seine Tochter zu heilen unternommen, was er nicht vollbracht habe; an ihn könne er sich zwar in keinem Fall halten, er wolle ihm aber so viel Geld geben, als hätte er seiner Tochter die Gesundheit wiedergeschenkt, er sei jedoch, wie gesagt, nicht dazu verpflichtet.

Der Meister Franziskaner, mit diesem Anerbieten nicht zufrieden, verlangt, er solle ihn sein Leben lang unterhalten, beklagt sich, seine Tochter habe ihn in seiner und vieler anderer Leute Gegenwart geblendet und dadurch um die würdige und hochheilige Weihe des kostbaren Leibes Jesu, den heiligen Dienst der Kirche und die ruhmvolle Nachforschung in den Büchern der Doktoren, die über die Heilige Schrift geschrieben hätten, gebracht und deshalb könne er nicht mehr dem Volk durch Predigten dienen, was seinen völligen Ruin bedeute; er sei nun ein Bettler und nur auf Almosen angewiesen, da er sich sonst nichts mehr erwerben könne.

Was er aber auch immer sagt und klagt, er kann keine andere Antwort als die frühere erhalten. Daher wandte er sich an die Gerichtsbarkeit des Parlaments in London, vor das er eines Tags unsern obenerwähnten Mann laden ließ. Und als die Stunde kam, da er seine Sache durch einen trefflichen, gut von allem Nötigen unterrichteten Anwalt vertreten ließ, fanden sich, Gott weiß, viel Leute im Gerichtssaal ein, um von dem neuen Prozeß zu hören, der den Herren des Parlaments ebenso wegen der Neuheit des Falls wie der angeführten ungewöhnlichen und lustigen Gründe und Beweise der streitenden Parteien sehr gefiel. Dieser so spaßige und außergewöhnliche Prozeß ward vielen Leuten bekannt, hingehalten, ziemlich lange hinausgeschoben, nicht als hätte man ihn, als er an die Reihe kam, abgewiesen und als Scherz aufgefaßt, sondern das Urteil ward, wie es zu gehen pflegt, hinausgeschoben. Und so ward die, die vorher ob ihrer Schönheit, Güte und ihres schmucken Aussehens vielen Leuten bekannt war, aller Welt durch das verwünschte Übel der Hämorrhoiden notorisch, von dem, wie man mir seitdem erzählt hat, sie endlich geheilt wurde.

 


 


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