Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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15. Novelle
Die kluge Nonne

Im schönen Land Brabant liegt neben einem Kloster von weißen Mönchen ein anderes Kloster von Nonnen, die sehr fromm und mildtätig sind, deren Namen aber und besonderen Orden die Geschichte verschweigt. Diese beiden benachbarten Häuser bildeten, wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, die Tenne und die Drescher. Denn Gott sei Dank war die Barmherzigkeit im Nonnenhause so groß, daß nur wenig Leute, die den Liebestribut forderten, abgewiesen wurden, wenn sie nur würdig waren, ihn zu empfangen.

Um zum Gegenstande dieser Geschichte zu kommen, so lebte im Kloster der weißen Mönche ein junger, schöner Mönch, der leidenschaftlich in eine der benachbarten Nonnen verliebt war; und er hatte auch nach den üblichen Präliminarien, mit denen die Verliebten die Frauen zu täuschen wissen, den Mut, sie um ihre Gunst um der Liebe Gottes willen anzugehen. Und obwohl die Nonne recht höflich war, gab sie, da sie dem Hörensagen nach sein Werkzeug recht gut kannte, ihm eine harte grausame Antwort. Er ließ sich dadurch jedoch nicht abschrecken, sondern setzte seine demütige Werbung fort, bis die schöne Nonne gezwungen war, entweder den Ruf ihrer großen Gefälligkeit einzubüßen oder dem Mönch zuzugestehen, was sie vielen Leuten ohne Bitten gewährt hatte.

Daher sagte sie ihm: »Wahrhaftig, Ihr wendet und setzt großen Eifer daran, um das zu erhalten, was Ihr nicht ordentlich würdet versorgen können. Ihr denkt wohl, ich weiß nicht vom Hörensagen, was Euer Werkzeug wert ist? Glaubt nur, daß ich's weiß, es ist nicht so bedeutend, daß man sich dafür groß bedanken muß!«

»Ich weiß wirklich nicht, was man Euch gesagt hat«, antwortet der Mönch, »doch ich zweifle nicht daran, daß Ihr mit mir sehr zufrieden sein werdet und daß ich Euch zeigen werde, daß ich ein Mann bin wie ein anderer auch!«

»Mann!« entgegnete sie, »ja, das glaube ich recht gern, doch Euer Ding ist so klein, wie man sagt, daß, wenn Ihr's irgendwo hinbringt, man kaum merkt, daß es darin ist!«

»Damit steht's doch anders«, erwidert der Mönch, »und wäre ich an Ort und Stelle, so würde ich, auch nach Eurem Urteil, alle die Männer oder Weiber Lügen strafen, die mir diesen Ruf verschafft haben.« Nach diesem freundlichen Wortwechsel gibt ihm die höfliche Nonne, um der lästigen Nachstellung des Mönchs enthoben zu sein, und auch, um zu wissen, was er vermöge und zu machen wisse, sowie um das ihr so wohlgefällige Handwerk nicht zu vergessen, ein Stelldichein um zwölf Uhr nachts, er solle zu ihr kommen und an ihr Gitter pochen, wofür er sich sehr bei ihr bedankte.

»Doch werdet Ihr nicht eher eintreten«, erklärte sie, »als bis ich die Wahrheit weiß, welch Werkzeug Ihr habt und ob ich mich seiner bedienen kann oder nicht!«

»Wie es Euch gefällt«, versetzt der Mönch. Damit verläßt er seine Geliebte und kommt geradenwegs zum Bruder Courard, einem seiner Genossen, der Gott weiß wie bewerkzeugt war und um dieser Ursache willen eine große Herrschaft im Nonnenkloster hatte.

Er erzählt ihm ausführlich seinen Fall, wie er die und die gebeten, wie sie geantwortet und ihn abgewiesen, aus Furcht, er sei nicht gut beschuht an seinem Fuß, und wie sie sich endlich damit zufriedengegeben habe, daß er zu ihr komme, doch wolle sie erst wissen und fühlen, mit welcher Lanze er gegen ihren Schild zu stechen wünsche. »Nun steht's so«, fuhr er fort, »daß ich mit einer großen Lanze schlecht versehen bin, und solch einer hofft und sehnt sie sich doch zu begegnen. Daher bitte ich Euch von ganzem Herzen, kommt heute nacht mit mir zur Stunde, da ich mich zu ihr begeben soll, und Ihr werdet mir die größte Freude machen, die jemals ein Mensch dem andern bereitete. Ich weiß recht gut, daß sie, wenn ich da bin, die Lanze fühlen und betasten will, mit der ich mich auf den Kampfplatz begebe, und in dem Augenblick, da ich sie hinhalten muß, sollt Ihr hinter mir stehen, ohne ein Wort zu sagen, um dann meinen Platz einzunehmen, Eure große Turnierstange in ihre Hand zu legen. Sie wird die Tür öffnen, daran zweifle ich nicht, und dann könnt Ihr gehen, und ich trete ein, und alles andre überlaßt nur mir!«

Bruder Courard wünscht seinem Genossen gefällig zu sein, willigt in diesen Handel und macht sich mit ihm zur festgesetzten Stunde auf den Weg zur Nonne. Wie sie am Fenster waren, klopfte unser Mönch, heißer als ein Hengst, mit seinem Stock einmal, und die Nonne wartete den zweiten Schlag nicht ab, sondern öffnete das Fenster und sagte leise: »Wer ist da?«

»Ich bin's«, erwidert er, »öffnet gleich die Tür, damit man Euch nicht hört!«

»Meiner Treu«, sagt sie, »Ihr werdet nicht eher in meinem Buch einregistriert und eingeschrieben werden, bevor Ihr mir nicht gezeigt habt und ich weiß, was Ihr für einen Harnisch habt. Kommt näher heran und zeigt mir, wie er ist.«

»Sehr gern«, versetzt er. Da tritt Bruder Courard als Helfershelfer vor und legt in die Hand von Madame, der Nonne, seine schöne und mächtige Turnierstange, die groß und lang war. Und sobald sie sie fühlte, ruft sie, als hätte ihr Liebesgarten ihr davon Kunde gegeben: »Nein, nein, die da kenne ich ganz genau, das ist der Stab Bruder Courards. Keine Nonne gibt's hier drin, die ihn nicht gut kennte. Glaubt nur nicht, daß ich mich täuschen lasse, ich kenne ihn allzugut. Geht und sucht anderswo Eure Abenteuer!«

Und damit schloß sie ihr Fenster sehr erzürnt und unzufrieden, nicht mit Bruder Courard, sondern mit dem andern Mönch, die beide nach diesem Abenteuer heim in ihr Kloster gingen und auf dem ganzen Weg von diesem Ereignis sprachen.

 


 


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