Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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13. Novelle
Der kastrierte Schreiber

Zu London in England lebte unlängst ein Parlamentsanwalt, der unter seiner Dienerschaft einen geschickten eifrigen Schreiber mit trefflicher Handschrift hatte, der ein sehr hübscher Mensch war, und, was man nicht vergessen darf, der Anwalt war für einen Menschen seines Alters nicht besonders klug. Dieser schmucke, lebenslustige Schreiber ward alsbald von Liebe zu seiner Herrin ergriffen, die sehr schön, freundlich und anmutig war, und solch ein Glück hatte er, daß, sowie er seinen Zustand zu erklären wagte, der Gott der Liebe sie dazu gebracht hatte, daß er der einzige Mensch in der Welt war, der ihr von ganzem Herzen gefiel.

So kam es, daß er sich schon auf geebnetem Weg fand und ohne alle Furcht seiner Herrin von seinem angenehmen und süßen Übel erzählte; sie ließ ihn infolge der großen Freundlichkeit, die Gott bei ihr nicht vergessen hatte, bereits so, wie oben gesagt, vorbereitet, nicht lange schmachten; denn nach manchen Entschuldigungen und Vorstellungen, die sie ihm nur kurz machte, jedem andern aber viel schärfer und länger gemacht hätte, war sie's zufrieden, daß er wußte, wie wohl er ihr gefiel.

Wie der andere ihr Latein hörte, freute er sich über alle Maßen, wollte das Eisen schmieden, solange es heiß war, und verfolgte so eifrig sein Unternehmen, daß er in kurzer Zeit ihre Liebe genoß. Die Liebe der Herrin zum Schreiber und des Schreibers zu ihr war und ward so heftig, daß es niemals verliebtere Leute gab, und nicht Malebouche noch Dangier noch einer der andern vermaledeiten Leute hätte sie von ihrer Leidenschaft abbringen können.

In diesem heitern Zustand und vergnüglichen Zeitvertreib gingen viele Tage vorüber, die den Liebenden nicht lange dauerten; sie waren so einander hingegeben, daß sie beinah Gott ihren Teil am Paradies überlassen hätten, um in der Welt ihr Leben so weiter zu führen. Wie sie eines Tages nach dem Genuß der hohen Güter, die die Liebe ihnen darbot, zusammen waren, sprachen sie, in einem Saal auf und nieder gehend, davon, wie sie diese ihre unvergleichliche Freude sicher weiter genießen könnten, ohne daß ihr gefährliches Unterfangen dem sehr eifersüchtigen Mann der Frau kund würde.

Ihr könnt euch denken, daß ihnen mehr als ein Einfall kam, all das übergehe ich jedoch, ohne darüber des längeren zu schreiben. Der endgültige Entschluß und letzte Beschluß, den der gute Schreiber gut auszuführen und bis zum sicheren Ende zu bringen unternahm und an dessen glücklicher Verwirklichung er nicht zweifelte, war, hört nur, folgender:

Ihr müßt wissen, daß der Schreiber, obwohl er für seine Herrin Zuneigung und Liebe hegte, ihr eifrig diente und sich ihr gefällig zeigte, nicht minder eifrig im Dienst seines Herrn war und ihm nach Gefallen lebte, und das alles, um noch besser seinen Handel zu verbergen und die eifersüchtigen Augen dessen zu blenden, der nicht den geringsten Argwohn hatte, daß man ihm so gut das Eisen schmiedete.

Als eines Tages unser guter Schreiber seinen Herrn recht zufrieden mit sich sah, beschloß er zu sprechen und sagte ihm ganz allein demutsvoll, sanft und in großer Ehrerbietung, er habe auf seinem Herzen ein Geheimnis, das er ihm gern offenbaren wolle, wenn er's nur wagte.

Und ich will euch nicht verhehlen, daß ganz so, wie viele Frauen, wenn sie wollen, immer oder meist Tränen bei der Hand haben, unserm guten Schreiber jetzt dicke Tränen beim Sprechen in großer Menge herabliefen; und jeder Mensch hätte gedacht, sie kämen von Zerknirschung oder Mitleidsgefühl her oder würden aus reinstem Herzen vergossen.

Als der arme, mißbrauchte Herr seinen Schreiber in diesem Zustand sah, war er nicht wenig erstaunt und verwundert, doch dachte er wohl, dahinter stecke etwas anderes als das, was er nachher erfuhr.

Daher sagte er: »Was fehlt Euch, mein Sohn, und weshalb weint Ihr jetzt?«

»Ach, Herr, ich habe wohl mehr Ursache, betrübt zu sein, als jeder andere, denn ach! mein Fall ist sehr merkwürdig und nicht weniger jammervoll und erheischt mehr als alle andern Verschwiegenheit, so daß, obwohl ich Euch von ihm zu sprechen wünschte, mich doch wieder die Furcht davon abhält, wenn ich lange an mein Unglück gedacht habe!«

»Weint nicht mehr, mein Sohn«, antwortete der Herr, »und sagt mir, was Euch fehlt, und ich versichere Euch, wenn es in meiner Macht liegt, Euch zu helfen, so werde ich Euch gern nach Kräften beistehen!«

»Lieber Herr«, erwiderte der Fuchs von einem Schreiber, »ich danke Euch, doch ich habe alles wohl erwogen und glaube nicht, daß meine Zunge das ungeheure Unglück, das ich so lange getragen habe, aufzudecken vermag. «

»Laßt alle diese Reden und Schmerzensausbrüche«, antwortete der Herr, »mir dürft Ihr nichts verbergen. Ich will wissen, was Ihr habt, vorwärts also, sagt es mir!«

Als der Schreiber ihn in diesem Ton sprechen hörte, ließ er sich sehr bitten, und während er sehr große Furcht heuchelte und eine große Menge Tränen mit voller Absicht vergoß, ließ er sich breitschlagen und sagte, er werde es erzählen, doch möge er ihm versprechen, keinem Menschen je etwas davon zu sagen, denn er würde ebenso gern oder noch lieber sterben, als sein unglückliches Geschick bekannt zu wissen.

Wie dies Versprechen ihm durch den Herrn gegeben ist, beginnt der Schreiber, tot und entfärbt wie ein zum Hängen verurteilter Mensch, zu sprechen: »Mein bester Herr, es ist die lautere Wahrheit, daß ich, obwohl viele Leute und Ihr auch denken könnt, ich sei ein natürlicher Mensch wie jeder andere auch, der die Macht hat, mit der Frau zu verkehren und Kinder zu zeugen, Euch wohl sagen und zeigen muß, daß ich kein solcher bin, worüber ich mich, ach! sehr gräme!« Und bei diesen Worten zog er seine Angelstange hervor und zeigte ihm die Haut, wo die Kügelchen sitzen, die er aber mit Fleiß nach oben in seinen Magen getrieben und so wohl verborgen hatte, daß es schien, als hätte er gar keine.

Nun sagt er ihm: »Lieber Herr, Ihr seht mein Unglück, und abermals bitte ich Euch darum, es zu verschweigen, und außerdem bitte ich Euch demütig wegen aller Dienste, die ich Euch jemals erwies, die nicht so, wie ich gern gewollt, hätte mir Gott die Macht gegeben, ausgefallen sind, laßt mich mein Brot in irgendeinem frommen Kloster finden, wo ich den Rest meines Lebens im Dienste Gottes verbringen könnte, denn in der Welt bin ich zu nichts nutze!«

Der mißbrauchte und getäuschte Herr tat seinem Schreiber die harten Anforderungen der Religion dar, das geringste Verdienst, das er haben würde, wenn er sich aus Kummer über sein Unglück in ein Kloster begäbe, und führte ihm noch viele andere Gründe an, die zu lang aufzuzählen wären, die am letzten Ende aber darauf abzielten, ihm seinen Vorsatz abtrünnig zu machen. Ihr müßt auch wissen, daß er ihn um keinen Preis hätte entlassen wollen, sowohl wegen seiner guten Schrift und Sorgsamkeit als auch um des Vertrauens willen, das er künftighin ihm zu beweisen gesonnen war.

Was soll ich noch mehr sagen? Er machte dem Schreiber so viel Vorstellungen, daß er für eine Weile in seinem Amt und seinem Dienst zu bleiben ihm versprach. Und da der Schreiber ihm sein Geheimnis enthüllt hatte, wollte der Herr ihm auch das seine entschleiern und sagte: »Mein Sohn, Eures Unglücks freue ich mich nicht, doch schließlich richtet Gott alles zum besten ein und weiß, was uns nützt und dienlich ist, und Ihr werdet mir in der Zukunft trefflich und nach meinem Wunsch dienen können. Ich habe eine junge Frau, die ziemlich leichtfertig und flatterhaft ist, und bin, wie Ihr seht, schon alt und bei Jahren, was vielen Leuten Gelegenheit geben könnte, sie mit unehrbaren Absichten zu verfolgen und, auch wenn sie anders als gut wäre, mir Grund zur Eifersucht zu geben. Um diesen und vielen anderen Gefahren zu entgehen, lege und stelle ich sie in Eure Hut und bitte Euch, haltet die Hand über sie, daß ich keinen Grund habe, jemals auf sie eifersüchtig zu werden!«

Nach langer Überlegung gab der Schreiber seine Antwort, und als er sprach, Gott weiß, wie wohl er da seine treue und gute Herrin lobte und sagte, daß sie mehr als alle anderen schön und gut sei und er sich dessen versichert halten solle. Gleichwohl sei er für diesen wie für jeden andern Dienst der rechte Mann, der sich von ganzem Herzen ihm widmen und ihn um keinen Preis, was ihm auch begegnen möge, verlassen und ihn von allem, wie sich's für einen treuen Diener gehört, in Kenntnis setzen werde.

Der ob des neuen Hüters seiner Frau frohe und vergnügte Herr verläßt die Wohnung und geht in der Stadt seinen Geschäften nach. Und der gute Schreiber übernimmt unverzüglich seine Wache, und solange er und seine Dame es vermochten, schonten sie die Glieder nicht, die in der Erde vermodern werden, und verlebten niemals vergnügtere Tage als seit der Zeit, da ihnen ihre List, den Mann zu täuschen, auf diese scharfsinnige Weise geglückt war.

Recht lange währte die fröhliche Zeit der beiden, die sich zärtlich ihrer Liebe hingaben. Und wenn manchmal der gute Mann das Haus verließ, hütete er sich, seinen Schreiber mitzunehmen. Viel lieber hätte er sich einen Diener bei seinen Nachbarn ausgebeten, als daß der andere nicht hätte die Wohnung bewachen sollen. Und wenn seine Dame Abschied nahm, um eine Wallfahrt zu machen, wäre sie viel lieber ohne Kammerfrau als ohne ihren schmucken Schreiber gegangen. Und nun zieht die Summe: Niemals kann sich ein Schreiber rühmen, ein schöneres Abenteuer erlebt zu haben, und niemals, soviel ich wenigstens weiß, erfuhr es der, der wohl verzweifelt wäre, hätte er davon Kunde erhalten.

 


 


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