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Im Herzogtum Brabant hat sich unlängst ein des Erzählens wertes Ereignis zugetragen, so daß man sich noch zu dieser Stunde deutlich und genau daran erinnert, und es scheint mir einen guten Stoff für eine Novelle zu bieten. Damit es registriert, deutlich gesehen und klar sei, will ich erzählen, wie es gewesen ist: Im Hause eines großen Barons des Landes weilte und wohnte ein junger, schmucker und anmutiger Edelmann namens Gerard, der sich leidenschaftlich in ein Fräulein des Hauses namens Katherine verliebte. Und als er seinen Zustand erkannte, wagte er ihr von seinem anmutigen und bemitleidenswerten Geschick zu sprechen. Welche Antworten er anfangs erhielt, kann jeder wissen und sich denken, deshalb übergehe ich sie der Kürze wegen und komme zu der Nachricht, daß Gerard und Katherine sich in der Folge so sehr und treulich ineinander verliebten, daß sie nur ein Herz und einen Willen hatten. Diese völlige, treue und innige Liebe dauerte zwei ganze lange Jahre. Am Ende dieser Zeit verblendete der Liebesgott, der die Augen seiner Diener verhüllt, sie derart, daß dort, wo sie ihre Liebesgeschichten am geheimsten verhandeln zu können glaubten, jedermann darum wußte. Und es gab keinen Mann und keine Frau im Hause, die es nicht sehr wohl bemerkten. Die Geschichte ward selbst so bekannt, daß man im Hause nur von der Liebe Gerards und Katherinens sprach. Doch ach! Die armen Blinden dachten nur allein mit ihren Angelegenheiten beschäftigt zu sein und fürchteten nicht, daß man über sie anders als in ihrer Gegenwart Rat hielt. Daher kam sowohl wegen des Nachspürens einiger verwünschter und verabscheuenswerter Neidlinge als auch wegen des unaufhörlichen Schwatzens vieler Leute, die nicht von Dingen, die sie nichts oder wenig angehen, schweigen können, diese Geschichte zur Kenntnis des Herrn und der Herrin der beiden Liebenden, und durch sie lief sie weiter und drang zu den Ohren des Vaters und der Mutter der Katherine.
Durch einen glücklichen Zufall ward sie durch ein Fräulein des Hauses, ihre treffliche Gefährtin und Freundin, benachrichtigt und des langen und breiten davon in Kenntnis gesetzt, daß der Liebeshandel zwischen Gerard und ihr sowohl ihrem Herrn Vater und ihrer Frau Mutter wie auch dem Herrn und der Frau des Hauses bekannt sei.
»Ach, was ist da zu tun, meine gute Schwester und liebe Freundin?« sagte Katherine. »Ich bin verloren, nun mein Handel so offenbar ist, daß so viel Leute von ihm wissen und sprechen. Ratet mir um Gottes willen, oder ich bin verloren und mehr als jede andere trostlos und unglücklich!« Und bei diesen Worten sprangen ihr viele Tränen aus den Augen und liefen an ihrem schönen, klaren Gesicht bis aufs Kleid herab.
Als ihre gute Gefährtin dies sah, war sie sehr über ihr Leid betrübt und bekümmert und sagte ihr tröstend: »Liebe Schwester, es ist eine Torheit, darüber so sehr zu trauern, denn man kann Euch und ebenso Eurem Freunde, Gott sei Dank, nichts, was wider Eure Ehre wäre, vorwerfen. Wenn Ihr mit einem Edelmanne einen Liebeshandel unterhalten habt, so läuft das in keiner Weise der Ehre zuwider, im Gegenteil, es ist gestattet und geboten. Und deshalb habt Ihr zu Kummer keinen Grund, und keine lebende Seele könnte und dürfte Euch das vorwerfen. Doch gleichwohl würde ich es für gut halten, um das große Geschwätz, das heute über Euren Liebeshandel umläuft, tot zu machen, wenn Euer Diener Gerard, ohne sich irgend etwas merken zu lassen, freundlichen Abschied von dem gnädigen Herrn und Madame nähme, den wahren Grund verbürge und täte, als begäbe er sich auf eine ferne Reise oder auf einen Kriegsschauplatz. Und unter diesem Vorwand sollte er davongehen und in einem guten Hause wohnen und abwarten, was Gott und die Liebe über Euch beschließen. Wenn er dort weilt, müßte er Euch von seinem Befinden wissen lassen, und durch denselben Boten könntet Ihr ihm von Euch Nachricht geben. Und so wird das Gerücht, das gegenwärtig umläuft, verschwinden, und Ihr könntet in Briefen von Eurer Liebe sprechen und auf bessere Zeiten warten. Und denkt nicht, daß Eure Liebe darum aufhören muß, im Gegenteil, sie wird sich mehren und wachsen, denn lange Zeit habt Ihr nur Nachricht und Kunde durch den Bericht Eurer Augen erhalten, die sogar für die im Liebesdienst Gefesselten nicht die sichersten Urteile abzugeben vermögen.«
Der freundliche und gute Rat dieser Edelfrau ward befolgt und zur Ausführung gebracht, denn sehr bald wußte Katherine Gelegenheit zu finden, mit ihrem Geliebten Gerard zu sprechen, sie erzählte ihm in Kürze, wie ihr Liebeshandel entdeckt und schon zur Kenntnis ihres Herrn Vaters und ihrer Frau Mutter und des Herrn und der Frau des Hauses gekommen sei. »Und Ihr könnt glauben«, sagte sie, »ehe es so weit gekommen war, hatten sich schon Schwätzer und Klatschbasen gefunden, so daß alle im Haus und viele Nachbarn darum wissen. Und weil das Geschick uns heute nicht so freundlich gesinnt ist, uns lange in unserem anfänglichen Zustand so weiterleben zu lassen, und uns noch viel größere Beschwer droht, sich ankündigt und gegen uns schmiedet und rüstet, ist es, wenn wir dem begegnen wollen, nötig, nützlich und vorteilhaft, einen guten und schnellen Entschluß zu fassen. Und da mich die Angelegenheit viel und mehr als Euch angeht, ob der Gefahr, die daraus entspringen könnte, will ich Euch, ohne Euch zu widersprechen, meine Meinung sagen.«
Darauf erzählte sie ihm von Anfang bis zu Ende Plan und Rat ihrer guten Gefährtin. Gerard hatte von diesem verwünschten Zufall schon einige Kunde erhalten und war darob bekümmerter, als wäre die ganze Welt, ausgenommen seine Dame, gestorben, und antwortete folgendermaßen: »Meine treue und gute Herrin, sehet hier Euren demütigen und gehorsamen Diener, der nächst Gott nichts so treu auf dieser Welt als Euch liebt; mir könnt Ihr alles, was Euch gut scheint und gefällig ist, befehlen und auftragen, und ich werde froh und gern Euch ohne Widerspruch gehorchen. Doch könnt Ihr Euch denken, daß mir auf dieser Welt nichts Schlimmeres geschehen kann, als wenn ich mich aus Eurer hochersehnten Gegenwart entfernen müßte. Ach, wenn ich Euch lassen muß, weiß ich ganz genau, die erste Nachricht von mir an Euch wird meinen schmerzensreichen und jämmerlichen Tod melden, der eine Folge meines Scheidens von Euch sein wird. Doch wie dem auch sei, Ihr seid die einzige Lebende, der ich gehorchen will, und ich möchte weit lieber sterben und Euch gehorchen als auf dieser Welt leben, ja sogar ewig leben und Eurem edlen Wunsch nicht willfahren. Seht, dieser Leib gehört Euch ganz. Ihr könnt ihn schneiden, stechen, töten, könnt alles mit ihm tun, was Ihr wollt!«
Ob Katherine betrübt und bekümmert war, ihren Diener, den sie mehr als jeden andern treulich liebte, so über alle Maßen traurig zu sehen, kann man sich denken und braucht nicht erst versichert zu werden. Und wäre ihre Tugend nicht so groß gewesen, denn Gott hatte nicht vergessen, sie damit in reichstem Maß zu bedenken, so hätte sie sich erboten, ihn auf seiner Fahrt zu begleiten. Da sie aber hoffte, eines Tages wiederzufinden, was zu ihrem Glück fehlte, entschlug sie sich dieses Gedankens und sagte nach einer Weile zu ihm: »Mein Freund, Ihr müßt von hinnen gehen, doch bitte ich Euch, vergeßt die, die Euch ihr Herz geschenkt hat, nicht, und damit Ihr Mut habt, in der grausamen und schrecklichen Schlacht, die der Verstand Euch liefert, und die zu einem schmerzlichen Scheiden führt, wider Euren Wunsch und Willen, mit größerer Kraft auszuharren, verspreche und versichere ich Euch wahrhaftig, daß ich zeitlebens mit meinem Willen und aus freien Stücken keinen andern als Euch heiraten werde, solange Ihr mir so treu und ergeben seid, wie ich hoffe. Und zur Bestätigung dessen gebe ich Euch diesen, mit schwarzen Tropfen emaillierten goldenen Ring. Und wollte man mich zufällig mit einem andern verheiraten, so würde ich mich derart weigern und so benehmen, daß Ihr mit mir zufrieden sein müßt, und werde Euch beweisen, daß ich ohne Falsch mein Versprechen halten will. Nun bitte ich Euch, sobald Ihr, wo es auch sei, Euch aufhaltet, gebt mir Nachricht von Euch, und ich werde Euch von mir berichten!«
»Ach, meine gute Herrin«, sagte Gerard, »nun sehe ich wohl, ich muß Euch für eine Zeit verlassen. Ich bitte Gott, er möge Euch mehr Glück und Freude als mir schenken. Ihr habt mir in Eurer Güte, nicht daß ich ihrer wert wäre, ein so großes und rühmliches Versprechen gegeben, daß ich nicht weiß, wie ich Euch dafür genügend danken sollte. Auch verdiene ich es kaum. Es freut mich aber doch, es genau zu wissen, und so wage ich, Euch das gleiche Versprechen zu geben, und bitte Euch demütig und von ganzem Herzen, wollet meinen guten treuen Willen so hoch und wert achten, als käme er von einem vornehmeren Mann als mir. Lebt wohl, Madame! Meine Augen bitten ihrerseits um Gehör und schneiden meiner Zunge die Worte ab!« Und damit küßte sie ihn und er sie zärtlich, und dann gingen sie voneinander in ihre Zimmer, um, Gott weiß, ihr Leid zu beklagen, wobei ihre Augen, ihr Herz und ihr Kopf Tränen vergossen. Zur Stunde jedoch, da sie zu erscheinen hatten, bemühten sie sich, möglichst heiter auszuschauen, und das Gesicht durfte nicht das trostlose Herz verraten.
Um es kurz zu machen: Gerard wußte in wenigen Tagen den Abschied von seinem Herrn zu erhalten, der ihn ihm recht gern gab, nicht, als hätte er sich etwas zuschulden kommen lassen, sondern ob des Liebeshandels zwischen ihm und Katherine, womit ihre Freunde unzufrieden waren, da Gerard nicht von so hoher Abkunft und so reich wie sie war und weil sie fürchteten, er könnte sie heiraten.
So kam es jedoch nicht; Gerard schied und ritt so lange, bis er ins Land Barrois kam und im Hause eines großen Barons des Landes Aufnahme fand. Von dort aus sandte er seiner Dame Nachricht, die darüber sehr erfreut war, und durch denselben Boten meldete sie ihm von ihrem Befinden und der Neigung, die sie für ihn hatte und haben würde, solange er ihr treu wäre.
Nun müßt ihr wissen, daß, sobald Gerard Brabant verlassen hatte, viele Edelleute, Herren und Ritter sich Katherine näherten und über alle Maßen ihr Wohlwollen und ihre Gunst zu erwerben strebten; solange Gerard ihr diente und zugegen war, hatten sie es nicht gezeigt und sich's nicht merken lassen, da sie wohl wußten, daß er in ihrer Huld am höchsten stand. Und nun warben viele bei ihrem Herrn Vater um sie und wünschten sie zu heiraten, und unter andern kam auch ein Freier zu ihm, der ihm genehm war.
Daher benachrichtigte er viele seiner Freunde und seine Tochter ebenfalls und tat ihnen dar, er sei schon alt, und eine der größten Freuden, die ihm diese Welt bieten könne, sei die, seine Tochter bei seinem Leben noch wohlverheiratet zu sehen. Und überdies sagte er ihnen, »Dieser Edelmann hat mich um die Hand meiner Tochter bitten lassen. Das scheint mir sehr willkommen, und wenn ihr es mir ratet und meine Tochter mir gehorchen will, so soll seine ehrenvolle und schickliche Werbung nicht umsonst getan sein!«
Alle seine Freunde und Verwandten lobten diese Verbindung und waren mit ihr ob der guten Eigenschaften, des Reichtums und anderer Güter des Edelmanns sehr einverstanden. Als man die Willensmeinung der guten Katherine wissen wollte, dachte sie sich damit zu entschuldigen, daß sie sagte, sie wolle sich nicht verheiraten, und fügte einige Gründe bei, nach denen sie diese Heirat nicht schließen wolle; doch endlich sah sie ein, daß sie, wenn sie nicht die Ungnade von Vater, Mutter, Verwandten, Freunden, Herrn und Herrin auf sich laden wollte, das ihrem Diener Gerard gegebene Versprechen nicht halten konnte.
Da kam ihr, um alle ihre Verwandten zufriedenzustellen, ohne die ihrem Diener geschworene Treue zu brechen, ein guter Gedanke, und sie sagte: »Mein hochangesehener Herr und Vater, ich möchte in keinem Fall Euch gegenüber ungehorsam erscheinen, doch habe ich Gott, meinem Schöpfer, den ich höher als Euch stelle, ein Versprechen gegeben. Ich habe mich also entschlossen, mir vorgenommen und in meinem Herzen ihm versprochen, mich nicht zu verheiraten, außer in dem Fall, wenn er mich durch seine Gnade auf diesen Zustand hinweisen oder sonst dies sicher dartun wollte, um meine arme Seele zu retten. Doch will ich nicht unnützerweise Ärgernis bereiten und bin's zufrieden, in den Ehestand zu treten oder in einen anderen, nach Eurem Wunsch, wenn ihr mir den Abschied geben wollt, damit ich eine Pilgerfahrt zum heiligen Nikolaus nach Warengeville machen kann, die ich gelobt und versprochen, ehe ich meinen gegenwärtigen Stand wechsele!« Und das sagte sie, um unterwegs ihren Geliebten zu sehen und ihm sagen zu können, wie sie gezwungen und gegen ihren Willen zur Heirat genötigt werde.
Der Vater war nicht wenig erfreut, den guten Willen und die verständige Antwort seiner Tochter zu vernehmen, willigte in ihren Wunsch, wollte gleich ihre Abfahrt bestimmen und sagte schon in Gegenwart seiner Tochter zu Madame, seiner Frau: »Wir werden ihr die und die Edelleute mitgeben, dann Isabau, Marguerite und Jeanneton, das genügt als Gefolge für sie!«
»Ach, Herr!« versetzte Katherine, »wir wollen's mit Euerer Einwilligung anders machen. Ihr wißt, der Weg von hier nach St. Nikolaus ist nicht sehr sicher, sogar für Leute, die mit großem Gefolge reisen und Frauen geleiten. Und ich könnte, woran man doch auch denken muß, nicht ohne große Kosten die Fahrt machen. Auch wäre es ein langer Weg, und wenn uns ein Unglück träfe, wir gefangen oder der Güter und unserer Ehre, was Gott verhüte, beraubt würden, so wäre das sehr betrübend. Daher möchte ich, Eure freundliche Einwilligung vorausgesetzt, mir ein Mannskleid machen lassen und mich der Führung meines Onkels, des Bastards, anvertrauen; jeder könnte ein kleines Pferd besteigen, wir würden schneller und sicherer fortkommen, und es würde weniger kosten. Und wenn es Euch gefiele, dann könnte ich viel kühner das Unternehmen wagen, als wenn ich mit Gefolge den Weg zurücklegte! «
Der gute Herr dachte ein wenig über den Einfall seiner Tochter nach und sprach darüber mit Madame, seiner Frau. Die Eröffnung, die sie gemacht hatte, schien ihnen sehr verständig zu sein und guten Willen zu beweisen. Daher wurden ihre Sachen alsbald für die Fahrt hergerichtet, und sie machten sich auf den Weg, die schöne Katherine und ihr Onkel, der Bastard, ohne sonstige Begleitung, gekleidet nach deutscher Art, gut und schmuck, und Katherine war der Herr und der Onkel der Diener. Sie ritten so lange, bis ihre Pilgerfahrt zu St. Nikolaus beendet ward. Und als sie die Rückkehr antraten, Gott lobend, der ihnen nur Gutes beschert hatte, und von vielen andern Sachen sprachen, sagte Katherine zu ihrem Onkel: »Lieber Onkel, lieber Freund, Ihr wißt, daß ich, Gott sei Dank, die einzige Erbin meines Herrn Vaters bin und Euch viel Gutes tun kann, was ich auch gern nach Kräften tun werde, wenn Ihr mir bei einem kleinen Unternehmen, das ich vorhabe, dienen wollt. Ich will in das Haus eines Herrn im Lande Barrois gehen« - sie nannte ihn -, »um Gerard, den Ihr kennt, zu sehen. Und damit wir daheim etwas Neues erzählen können, wollen wir dort um Aufnahme bitten, und können wir sie erhalten, so wollen wir uns dort einige Tage aufhalten und im Lande umsehen. Und Ihr könnt versichert sein, daß ich meine Ehre hüte, wie es ein gutes Mädchen tun muß!«
Der Onkel hoffte, später davon großen Vorteil zu haben, und hielt sie für so gut, daß sie keine Wache nötig hätte, und war es zufrieden, ihr zu dienen und sie nach allen Orten, wohin sie wollte, zu begleiten. Er ward dafür wohl bedankt, wie ihr euch denken könnt; und damit verabredeten sie, er solle seine Nichte Konrad nennen. Sie kamen alsbald, da man ihnen den rechten Weg wies, an den ersehnten Ort und wandten sich an den Haushofmeister des Herrn, einen alten Edelmann, der sie als Fremde sehr höflich und schicklich aufnahm.
Konrad fragte ihn, ob sein gnädiger Herr nicht einen jungen Edelmann, der Abenteuer suche und das Land kennenzulernen wünsche, in seinen Dienst nehmen wolle. Der Haushofmeister fragte ihn, woher er komme, und er sagte ihm: aus Brabant.
»Nun wohl, Ihr könnt im Hause speisen«, versetzte er, »und nach dem Essen will ich darüber mit dem Herrn sprechen!«
Er ließ sie sofort in ein prächtiges Zimmer führen, den Tisch decken, ein schönes Feuer machen und ihnen, damit ihnen die Zeit bis zum Mittagessen nicht zu lang würde, die Suppe, ein Stück Hammelfleisch und Weißwein bringen. Und er begab sich zu seinem Herrn, erzählte ihm von der Ankunft eines jungen Edelmannes aus Brabant, der gern in seine Dienste zu treten wünsche, und der Herr war es zufrieden.
Um es kurz zu machen: als er seinen Herrn bedient hatte, ging er zu Konrad, um ihm bei der Mahlzeit Gesellschaft zu leisten, und nahm den obengenannten guten Gerard, da er ebenfalls aus Brabant war, mit sich und sagte zu Konrad: »Sehet hier einen Edelmann Eueres Landes!«
»Er sei herzlich begrüßt!« versetzte Konrad.
»Und Ihr ebenfalls«, entgegnete Gerard. Doch ihr könnt glauben, er erkannte seine Dame nicht, doch sie ihn sehr gut. Während die Begrüßung ausgetauscht ward, wurden die Speisen gebracht, und es setzte sich jeder nach dem Haushofmeister auf seinen Platz.
Diese Mahlzeit dauerte Konrad lange, er hoffte später mit seinem Diener sich gut unterhalten zu können, meinte auch, er werde sie gleich an der Sprache wie an den Antworten wiedererkennen, wenn er sie nach seinem Land Brabant fragte. Es kam aber ganz anders, denn während des Essens fragte der gute Gerard mit keinem Wort nach einem Mann noch nach einer Frau in Brabant, und Konrad wußte nicht, was er davon denken sollte. Die Mahlzeit ging vorüber, und nach dem Essen nahm der Herr Konrad in seinen Dienst. Und der Haushofmeister, ein sehr verständiger Mann, bestimmte, Gerard und Konrad sollten als Landsleute das Zimmer teilen.
Nach der Aufnahme in den Dienst gehen Gerard und Konrad Arm in Arm und sehen nach ihren Pferden, doch, beim Teufel! Gerard sprach kein Wort von Brabant und fragte nach nichts. Daher fürchtete der arme Konrad oder vielmehr die schöne Katherine, sie sei völlig vergessen, und dachte, wenn sie noch irgend etwas für Gerard bedeute, könnte er doch nach ihr oder wenigstens nach dem Herrn und der Dame, bei denen sie weilte, fragen. Die Arme war, wenn sie es auch nicht zeigte, tief bekümmert und wußte nicht, was sie machen sollte, ob sie sich noch länger verbergen und ihn durch scharfsinnige Reden auf die Probe stellen oder sich ihm gleich zu erkennen geben sollte. Endlich entschloß sie sich, noch Konrad zu bleiben und nicht Katherine zu werden, wenn Gerard sich nicht anders benähme.
Der Abend verging wie das Mittagessen, und Gerard und Konrad gingen in ihr Zimmer und sprachen von vielen Dingen, doch nicht von solchen, die Konrad gefallen hätten. Als sie sah, er werde von nichts sprechen, wenn man es ihm nicht in den Mund legte, fragte sie ihn, aus was für einer Brabanter Familie er sei, und er entgegnete ihr hierauf, was ihm gut schien.
»Und kennt Ihr nicht«, sagte sie, »den Herrn und die Dame und den?«
»Sankt Johann, ja«, versetzte er.
Und zuletzt nannte sie ihm den Herrn, bei dem sie geweilt hatten. Und er erwiderte, er kenne ihn wohl, sagte jedoch nicht, daß er in seinem Haus gewesen war.
»Es soll dort schöne Mädchen geben«, meinte sie, »kennt Ihr keine!«
»Sehr wenig«, versetzte er, »ich kümmere mich auch nicht darum. Laßt mich schlafen, ich komme bald um vor Müdigkeit.«
»Wie könnt Ihr schlafen, wenn man von schönen Mädchen spricht?« entgegnete sie. »Das ist kein Zeichen, daß Ihr verliebt seid!«
Er erwiderte kein Wort, sondern schlief wie ein Schwein. Und die arme Katherine glaubte, es sei, wie sie fürchtete, doch beschloß sie, ihn noch weiter auf die Probe zu stellen. Als der Morgen kam, kleideten sie sich an und plauderten und sprachen von dem, was ihnen am meisten am Herzen lag, Gerard von Hunden und Vögeln, Konrad von den schönen Mädchen im Hause und in Brabant. Als das Mittagsmahl vorüber war, wußte Konrad es so einzurichten, daß er Gerard aus der Gesellschaft der anderen abzog, und sagte ihm, das Land Barrois mißfalle ihm bereits, Brabant sei doch wahrhaftig eine ganz andere Gegend, und gab ihm durch seine Worte zur Genüge zu erkennen, daß ihn sein Herz stark nach Brabant ziehe.
»Wieso?« fragte Gerard. »Was seht Ihr denn in Brabant, was es hier nicht ebenfalls gibt? Habt Ihr nicht auch hier schöne Wälder für Jagden, schöne Flüsse, schöne Ebenen, so schön man sie sich nur wünschen kann, in denen man zur Jagdzeit auf den Vogelfang gehen kann, und anderes mehr?«
»Was will das bedeuten!« versetzte Konrad, »die Frauen in Brabant sind ganz anders und gefallen mir ebenso und noch mehr als Eure Jagden und Euer Vogelsang! «
»Sankt Johann! Das ist etwas anderes!« erklärte Gerard. »Ihr werdet wohl in Eurem Brabant tapfer Liebeshändel wagen, meine ich!«
»Meiner Treu, ich will's Euch nicht verhehlen, ich bin da wirklich verliebt!« entgegnete Konrad. »Und deshalb zieht mich das Herz so stark und kräftig dorthin, und ich fürchte, ich muß Euer Barrois verlassen, denn lange wäre es mir nicht möglich zu leben, ohne meine Dame zu sehen!«
»Dann ist es dumm, daß Ihr sie verlassen habt«, meinte Gerard, »wenn Ihr Euch so wenig in der Gewalt habt.«
»Wenig in der Gewalt, mein Freund! Gibt es einen Menschen, der treu Liebende im Zaum halten könnte? Niemand ist so verständig und klug, daß er dabei nicht oft die Herrschaft über sich verlöre. Amor raubt oft seinen Dienern Verstand und Vernunft!«
Auch dieses Gespräch fiihrte ihn nicht weiter, und so kam die Stunde des Abendessens. Und sie nahmen ihre Unterhaltung nicht eher wieder auf, als bis sie im Bett lagen. Und ihr dürft es glauben, Gerard hätte am liebsten geschlafen, doch Konrad griff ihn von neuem an und stimmte eine jämmerliche, lange und schmerzbewegte Klage nach seiner Dame an, die ich der Kürze halber übergehe. Und zum Schluß sagte er: »Ach, Gerard, wie könnt Ihr nur Lust haben neben mir zu schlafen, der ich so wach bin, dessen Gedanken voller Kümmernis, Trauer und Sorgen sind? Es ist wunderbar, daß Euch das nicht ein wenig zu Herzen geht. Ihr könnt glauben, wäre das eine ansteckende Krankheit, so lägt Ihr sicher nicht so neben mir, ohne Euch anzustecken. Ach! ich bitte Euch, wenn Ihr das schon nicht fühlt, habt doch wenigstens Mitleid mit mir, der ich schließlich noch sterben werde, wenn ich nicht bald meine Dame sehe!«
»Ich habe noch niemals einen so tollen Liebhaber gesehen!« erklärte Gerard. »Ihr meint wohl, ich wäre nie verliebt gewesen? Ich weiß recht wohl, wie das ist. Denn ich habe das ebenfalls so wie Ihr durchgemacht, sicher so. Doch ich war niemals davon so benommen, daß ich den Schlaf und mein Gleichgewicht so wie Ihr jetzt verloren hätte. Ihr seid so dumm und nehmt Eure Liebe zu ernst. Glaubt Ihr etwa, Eurer Dame geht's ebenso? Ganz und gar nicht!«
»Ich glaube ganz bestimmt, daß es ihr auch so geht«, entgegnete Konrad, »sie ist allzu treu, als daß sie mich vergäße!«
»Zum Teufel, Ihr könnt sagen, was Ihr wollt«, erklärte Gerard, »ich glaube doch nicht, daß die Frauen so treu sind, sich solchen Zwang aufzuerlegen. Und die das denken, sind vollkommene Narren. Ich habe wie jeder andere geliebt und liebe auch noch eine. Ich will Euch meine Geschichte erzählen: Ich verließ Brabant wegen eines Liebeshandels und stand zur Stunde meiner Abfahrt sehr hoch in der Gunst eines schönen, guten und edlen Mädchens, das ich mit großem Bedauern verließ. Und es ging mir einige wenige Tage sehr nahe, es verloren zu haben, trotzdem machte ich es nicht so wie Ihr, daß ich nicht schlief, trank und aß. Da ich mich so fern von ihr sah, wollte ich als Heilmittel dem Rat Ovids folgen, und ich war kaum hier angekommen und im Haus, als ich mich um die Gunst eines der schönen Mädchen hier bewarb. Und ich habe es, Gott sei Dank, auch erreicht, daß es mir sehr wohlwill, und ich liebe es ebenfalls herzlich. Und so habe ich mich meiner früheren Geliebten entschlagen, und gegenwärtig ist's mir, als hätte ich sie nie gesehen, so sehr hat meine jetzige Geliebte sie verdrängt.«
»Und wie ist's möglich«, fragt Konrad, »wenn Ihr die andere herzlich liebtet, daß Ihr sie so bald habt vergessen und verlassen können? Ich kann's nicht denken und fassen, wie es möglich ist.«
»Gleichwohl ist's geschehen!« versetzte Gerard. »Ihr könnt es ja hören, wenn Ihr wollt.«
»Das heißt die Treue nicht wohl bewahren«, sagte Konrad, »ich würde viel lieber tausendmal sterben wollen, wenn es mir möglich wäre, als mich meiner Dame so falsch gezeigt zu haben. Und Gott lasse mich nicht länger leben, wenn ich nur mit einem einzigen Wunsch und einem einzigen Gedanken nach einer andern als ihr mich sehne und strebe!«
»Dann seid Ihr noch viel dümmer«, meinte Gerard, »und wenn Ihr's mit dieser Tollheit weitertreibt, wird's Euch niemals wohl ergehen, und nur träumen und schwatzen werdet Ihr, und Ihr werdet austrocknen wie das schöne Gras im heißen Ofen und an Euch selbst zum Mörder werden. Und damit wird Euch recht geschehen, und, was noch mehr, Eure Dame wird nur darüber lachen, wenn Ihr das Glück habt, daß sie davon erfährt!«
»Wie wißt Ihr doch in Liebessachen gut Bescheid!« rief Konrad. »Ich bitte Euch, wollet mein Vermittler sein im Haus oder anderswo, daß ich auch eine Geliebte gewinne, vielleicht könnte ich dann so wie Ihr geheilt werden!«
»Ich will Euch etwas sagen«, versetzte Gerard, »ich werde morgen mit meiner Dame sprechen und ihr auch erklären, daß wir Landsleute sind, und sie soll Eure Bekanntschaft mit ihrer Freundin vermitteln. Und ich zweifle nicht, daß Ihr, wenn Ihr wollt, noch vergnügte Tage erleben werdet und daß in sehr kurzer Zeit der Traum, der Euch quält, schwinden wird.«
»Wenn das nicht meiner Dame meinen Eid brechen hieße, würde ich es sehr wünschen«, entgegnete Konrad, »doch schließlich möchte ich es versuchen, wie es mir damit gehen wird!« Und mit diesen Worten wandte sich Gerard auf die andere Seite und schlief gleich ein. Und die schöne Katherine war, als sie die Untreue dessen, den sie mehr als die ganze Welt liebte, sah und hörte, so tief bekümmert, daß sie sich den Tod wünschte; sie setzte aber das weibliche Zartgefühl hintan und waffnete sich mit männlicher Kraft, hatte sie doch die Stärke, am nächsten Tag lang und breit mit der zu sprechen, die ihr an ihrem kostbarsten Besitztum in der Welt Schaden tat. Sie bezwang sogar ihr Herz und ließ ihre Augen Zeugen vieler vertraulicher Gespräche sein, die sie tief und schmerzlich berührten.
Als sie mit seiner Freundin sprach, bemerkte sie den Ring, den sie beim Abschied ihrem untreuen Diener gegeben hatte, was ihren Schmerz noch vergrößerte. Doch war sie klug genug, diesen Ring unter schicklichem Vorwand zu betrachten und an ihren Finger zu stecken, und als hätte sie das gedankenlos getan, scheidet sie und geht weg. Und sobald das Abendessen vorüber war, suchte sie ihren Onkel auf und sagte zu ihm: »Wir sind lange genug Baroissiens gewesen, es ist jetzt Zeit aufzubrechen; haltet Euch morgen bei Tagesanbruch bereit, ich werde es auch sein. Und achtet darauf, daß unser Gepäck wohl gerüstet ist. Kommt so zeitig, wie es Euch gefällt!«
»Ihr werdet nur aufs Pferd zu steigen brauchen«, versetzte der Onkel.
Nun müßt ihr wissen, daß sie, während Gerard mit seiner Dame beim Abendessen plauderte, in ihr Zimmer ging und einen Brief schrieb, der ganz ausführlich von ihrem und Gerards Liebeshandel erzählte, von ihren gegenseitigen Versprechen beim Abschied, daß man sie habe verheiraten wollen, daß sie sich geweigert, daß sie eine Wallfahrt gemacht, um ihren Eid zu halten und sich ihm hinzugeben, und wie sie seine Untreue in Worten, Werken und Taten erkundet habe. Und aus all den genannten Gründen halte sie sich ihres ihm einst geleisteten Eides und Versprechens für frei und ledig und gehe in ihr Heimatland zurück und wünsche ihn niemals mehr zu sehen noch ihm zu begegnen, denn er sei der treuloseste Mensch, der je um Frauengunst geworben habe. Und den Ring, den sie ihm gegeben und den er schon weiter geschenkt habe, nehme sie mit sich. Und er könne sich rühmen, sie habe drei Nächte lang dicht neben ihm geschlafen, doch habe sie sich nichts vorzuwerfen, er könne sagen, was er wolle, sie fürchte es nicht. Geschrieben von der Hand derer, deren Schrift er wohl kennen könne und darunter: »Katherine und so weiter, Konrad beibenannt«, und auf der Rückseite: »Dem untreuen Gerard und so weiter.«
Sie schlief die Nacht keinen Augenblick und erhob sich, sobald man den Tag sah, ganz sacht, zog sich an, ohne daß Gerard darüber erwachte, nahm ihren Brief, den sie wohl verschlossen hatte, steckte ihn in einen Ärmel von Gerards Wams und empfahl ihn ganz leise Gott und weinte still in großem Kummer ob des argen Streichs, den er ihr gespielt hatte.
Gerard schlief und sagte kein Wort. Sie begab sich zu ihrem Onkel, der ihr das Pferd gab, stieg hinauf, und dann ging es so lange fort, bis sie nach Brabant kamen, wo sie freudig, Gott weiß es, empfangen wurden. Und man fragte sie nach ihren Reiseabenteuern, doch was sie auch antworteten, sie erzählten nichts von dem hauptsächlichsten.
Um nun davon zu sprechen, wie es Gerard ging, so sage ich, daß er am Tage des Scheidens der guten Katherine ungefähr um zehn Uhr erwachte und bemerkte, daß sein Gefährte sich erhoben hatte. Er glaubte, es sei schon spät, daher sprang er in aller Hast auf und griff nach seinem Wams. Und als er seinen Arm in einen der Ärmel steckte, fiel ein Brief heraus, worüber er sehr erstaunt war, denn er erinnerte sich nicht, einen hineingesteckt zu haben. Gleichwohl holte er ihn hervor, sah, daß er geschlossen war, und las als Aufschrift: »Dem untreuen Gerard und so weiter!«
War er vorher schon erstaunt, so wurde er es jetzt noch viel mehr. Endlich öffnete er ihn und sah die Unterschrift: »Katherine, Konrad beibenannt.« Er wußte nicht, was er davon denken sollte. Er las ihn, und dabei wallte ihm das Blut, und das Herz zitterte ihm, und er wechselte Haltung und Farbe. Trotzdem las er den Brief zu Ende und erfuhr aus ihm, daß seine Untreue der, die ihm so viel Wohlwollen bewiesen hatte, zur Kenntnis gekommen war. Und sie hatte es nicht etwa durch den Bericht anderer Leute erfahren, sondern sich selbst in eigener Person von der Wahrheit überzeugt. Und was ihm noch mehr zu Herzen ging: er hatte drei Nächte bei ihr geschlafen, ohne ihr die Mühe, daß sie weit hergekommen war, um ihn auf die Probe zu stellen, vergolten zu haben. Er biß sich auf die Lippen vor Ärger und wollte aus der Haut fahren, als er sich in dieser häßlichen Lage sah. Und nach vielen Erwägungen wußte er kein anderes Mittel, als ihr zu folgen; er meinte, sie noch einholen zu können.
Daher nahm er Abschied von seinem Herrn, machte sich auf den Weg, folgte den Spuren ihrer Pferde, doch erreichte er sie nicht, sie kamen eher nach Brabant, wo er erst an dem Tage einritt, an dem die Hochzeit der, die ihn auf die Probe gestellt hatte, stattfand. Er wollte sie küssen, begrüßen und sich wegen seiner Fehler entschuldigen, doch es glückte ihm nicht, denn sie wandte ihm den Rücken zu, und weder an diesem Tag noch jemals sonst gelang es ihm, eine günstige Gelegenheit zu finden, um mit ihr zu sprechen. Einmal trat er vor sie hin, um sie zum Tanz zu führen, doch sie wies ihn vor aller Welt gehörig ab, was viele Leute bemerkten. Nicht lange danach trat ein anderer Edelmann in den Saal, hieß die Musikanten aufspielen, ging zu ihr, und sie stieg angesichts Gerards hernieder und ging zum Tanze. So, wie ihr gehört habt, verlor der Ungetreue seine Geliebte. Wenn es noch mehrere seinesgleichen gibt, sollen sie auf dies Beispiel blicken, das bekannt geworden ist und sich erst jüngst zugetragen hat.