Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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31. Novelle
Zwei Liebhaber und eine Geliebte

Ein Edelmann dieses Königreiches, ein wohlbekannter Ritter von hohem Ruf, verliebte sich zu Rouen in ein schönes Fräulein und bot alles auf, seiner Gunst teilhaftig zu werden. Doch das Geschick war ihm so zuwider und seine Dame ihm so wenig hold, daß er verzweifelt seine Bewerbung aufgab. Er tat auch ganz recht daran, denn sie war anderweit schon versorgt; er wußte es zwar nicht, doch fürchtete er es. Der aber, der sich ihrer erfreute, ein Ritter und Mann von hohem Ansehen, war mit ihm so vertraut, daß es wohl nichts auf der Welt gab, was er ihm nicht mitgeteilt hätte, dies jedoch sagte er ihm nicht.

Wohl sagte er ihm oft: »Wahrhaftig, lieber Freund, Ihr sollt wissen, ich habe in dieser Stadt eine Liebschaft, die mir viel Freude macht, denn wenn ich durch Arbeit so abgemattet bin, daß ich nicht ein Meilchen Wegs machen könnte, so gehe ich zu ihr und bin dann Manns genug, um deren drei oder vier zu machen, ja zwei hintereinander! «

»Und kann ich trotz allem Ersuchen und Bitten«, fragte der Edelmann, »nicht wenigstens ihren Namen erfahren?«

»Nein, wahrhaftig nicht«, entgegnete der andere, »mehr dürft Ihr davon nicht wissen!«

»Nun schön«, meinte der Edelmann, »wenn ich einmal so glücklich sein werde, etwas Schöneres zu haben, werde ich Euch gegenüber ebenso geheimnisvoll tun wie Ihr jetzt!«

Nun lud ihn dieser gute Ritter einmal zum Abendessen ins Schloß von Rouen, wo er wohnte. Und er kam dorthin, und sie ließen sich's wohl sein, und als das Abendessen vorüber war, und sie nachher noch ein wenig geplaudert hatten, verabschiedete sich der artige Ritter, der zu einer bestimmten Stunde zu seiner Dame gehen wollte, von dem Edelmann und sagte: »Ihr wißt, wir haben morgen viel zu tun und müssen wegen der Geschäfte, die wir zu erledigen haben, früh aufstehen, Deshalb wollen wir zeitig zu Bett gehen, und so wünsche ich Euch gute Nacht!«

Als das der schlaue Edelmann vernahm, argwöhnte er sogleich, daß der gute Ritter seine Geliebte besuchen wollte und die Geschäfte des folgenden Tages vorschützte, um ihn zu verabschieden, doch ließ er sich nichts anmerken, sondern erklärte, während er Abschied nahm und gute Nacht wünschte: »Ihr habt wohl gesprochen, Herr, steht früh auf, ich werde es auch tun!«

Als der gute Edelherr herniedergestiegen war, fand er an der Treppe des Schlosses ein kleines Maultier, sah niemanden, der es hütete, und dachte sich gleich, daß der Page, dem er beim Hinabgehen begegnet war, die Decke seines Herrn holen gegangen sei; und so war es auch.

Aha, dachte er, mein Wirt hat sich von mir zu so früher Stunde nicht ohne Grund verabschiedet. Da ist sein Maultier, und das wartet, wie ich sehe, auf nichts anderes als auf seinen Herrn, um ihn an einen Ort zu bringen, den ich nicht erfahren soll. »Ach, Maultierchen«, sagte er, »wenn du reden könntest, würdest du hübsche Geschichten erzählen. Ich bitte dich, führe mich dorthin, wo dein Herr hin will!« Und bei diesen Worten ließ er sich von seinem Pagen den Steigbügel halten, warf dem Maultier den Zügel um den Hals und ließ es traben, wohin es ihm beliebte. Und das gute Maultier führte ihn durch Straßen und Sträßchen, hierhin und dorthin, so lange, bis es vor einem kleinen Pförtchen, in einer krummen Straße vor einem Hause haltmachte, in dem sein Herr sich einzufinden pflegte. Es war die Gartentür des Hauses des Fräuleins, das er so geliebt und in Verzweiflung verlassen hatte. Er setzte den Fuß auf die Erde, tat dann einen leisen Schlag ans Pförtchen, und ein Fräulein, das an einem blinden Fenster Wache hielt, dachte, es sei der Ritter, kam hernieder, öffnete die Tür und sagte: »Ihr seid willkommen, gnädiger Herr, Mademoiselle erwartet Euch in ihrem Zimmer!«

Es erkannte ihn nicht, weil es spät war und er eine samtene Haube vor seinem Gesicht hatte. Und der gute Ritter antwortete: »Ich gehe zu ihr!« und sagte dann seinem Pagen ganz leise ins Ohr: »Geh schnell und bring das Maultier dorthin zurück, woher ich's nahm, und leg dich dann schlafen!«

»So will ich tun, gnädiger Herr«, entgegnete er.

Das Fräulein verschloß das Gitter und ging in sein Zimmer zurück. Und unser guter Edelmann schreitet, in tiefen Gedanken an sein Geschäft, auf das Zimmer zu, in dem seine Dame war, die er schon in ihrem einfachen Rock, die dicke goldene Kette am Hals, fand. Und da er freundlich, höflich und wohlerzogen war, grüßte er sie sehr artig, und sie, die so erstaunt war, als wären ihr Hörner gewachsen, wußte anfangs nichts zu antworten, doch fragte sie ihn nach einer Weile, was er im Hause suche und woher er zu dieser Stunde komme und wer ihn eingelassen habe.

»Mademoiselle«, erklärte er, »Ihr könnt Euch denken, wenn ich keine andere Hilfe als mich selbst gehabt hätte, so wäre ich nicht hier, doch hat mir Gott sei Dank jemand, der größeres Mitleid mit mir hatte, als Ihr jemals gehabt habt, dies Glück verschafft!«

»Und wer hat Euch hierhergeführt, Herr?« fragte sie.

»Meiner Treu, Mademoiselle, ich will es Euch nicht verhehlen: der und der Herr, der mich heute mit einem Abendessen bewirtet hat, schickte mich her.«

»Ah«, rief sie, »der verräterische und untreue Ritter, der er ist, spottet er etwa meiner? Nun wohl, eines Tages werde ich mich schon an ihm rächen!«

»Ach, Mademoiselle, das ist nicht wohl von Euch gesprochen, denn das ist kein Verrat, wenn man seinem Freund ein Vergnügen macht und ihm nach besten Kräften dient und beisteht. Ihr kennt wohl die große Freundschaft, die seit langer Zeit zwischen ihm und mir besteht, und wißt, daß er alles, was er auf dem Herzen hat, seinem Gefährten sagt. Nun ist's so: Vor nicht langer Zeit erzählte und gestand ich ihm ausführlich die große Liebe, die ich für Euch hege, und daß aus diesem Grunde ich an nichts mehr in dieser Welt Gefallen fände. Und wenn ich nicht auf irgendeine Weise Eurer Gunst teilhaftig würde, so wäre es mir nicht lange mehr möglich, in diesem schmerzensreichen Martyrium zu leben. Da der gute Herr nun wirklich sah, daß meine Worte nicht erheuchelt waren, fürchtete er, es würde mir sehr nahegehen, und war es zufrieden, mir zu sagen, wie es zwischen euch beiden steht, und will viel lieber Euch verlassen und mir das Leben retten, als mich elend zu verlieren, um Euch zu behalten. Und wäret Ihr so, wie Ihr sein solltet, so hättet Ihr nicht so lange gewartet und mich, Euren gehorsamen Diener, der, wie Ihr sicherlich wißt, Euch treu gedient und gehorsamt hat, getröstet und geheilt!«

»Ich bitte Euch«, entgegnete sie, »sprecht nicht mehr davon, und verlaßt das Haus! Verwünscht sei, der Euch hierherkommen ließ!«

»Wißt Ihr was, Mademoiselle?« fragte er, »ich habe nicht die Absicht, vor Morgen von hier fortzugehen!«

»Meiner Treu«, versetzte sie, »Ihr werdet es jetzt gleich tun!«

»Bei Gottes Tod, nein, denn ich will bei Euch schlafen!«

Als sie sah, daß dies sein fester Vorsatz und er nicht der Mann war, den man durch harte Worte einschüchtern konnte, dachte sie, ihm den Abschied in Güte zu geben und sagte: »Ich bitte Euch von ganzem Herzen, geht heute fort. Ein anderes Mal will ich wahrhaftig tun, was Ihr wollt!«

»Teufel«, rief er, »sprecht nicht mehr davon, denn ich will hier schlafen!« Und darauf beginnt er sich auszuziehen, nimmt das Fräulein, küßt es und führt es zu Tisch und wußte, um es kurz zu machen, es so geschickt anzustellen, daß sie sich zu Bett und er sich dicht neben sie legte. Sie hatten noch nicht lange geruht und mehr als eine Lanze gebrochen, da, seht! kommt der gute Ritter auf seinem Maultier und klopft ans Pförtchen. Und er gute Edelmann hörte es und erkannte ihn gleich, daher beginnt er zu knurren und ahmt trefflich einen Hund nach.

Als das der Ritter hörte, war er sehr erstaunt und ebenso ärgerlich, daher klopfte er von neuem sehr kräftig ans Pförtchen, und der andere beginnt noch viel lauter als vorher zu knurren.

»Wer knurrt denn da?« rief der draußen. »Bei Gottes Tod, ich will es wissen! Öffnet die Tür, oder ich schlage sie in Stücke!«

Und die gute schmucke Frau, die sehr wütend war, sprang in ihrem Hemd ans Fenster und sagte: »Seid Ihr da, falscher und treuloser Ritter? Ihr könnt lange klopfen, Ihr werdet nicht ins Haus gelassen!«

»Warum soll ich hier nicht eintreten dürfen?« fragte er.

»Weil Ihr«, entgegnete sie, »der treuloseste Mensch seid, mit dem je eine Frau zu schaffen hatte, und nicht wert seid, zu anständigen Leuten zu kommen!«

»Mademoiselle«, versetzte er, »Ihr beschimpft sehr mein Wappen, ich weiß nicht, was Euch dazu treibt, denn ich habe mir keine Untreue Euch gegenüber zuschulden kommen lassen, soviel ich weiß!«

»Doch habt Ihr es«, erwiderte sie, »und noch dazu die größte, deren sich je ein Mann einer Frau gegenüber schuldig machen kann«

»Nein, wahrhaftig nicht; doch sagt mir, wer im Haus ist!«

»Ihr wißt es sehr wohl, schändlicher Verräter Ihr!« rief sie. Und bei diesen Worten begann der gute Edelmann, der im Bett lag, zu knurren und wie vorher einen Hund nachzuahmen.

»Ah, Teufel«, antwortete der draußen, »ich verstehe das nicht. Und soll ich nicht wissen, wer der Knurrer ist?«

»Sankt Johann! Doch, Ihr sollt es wissen!« erklärt der andere, springt auf, tritt ans Fenster neben seine Dame und sagt: »Was ist Euch gefällig, Herr? Ihr tut unrecht, uns so zu wecken!«

Als der gute Ritter erkannte, wer zu ihm sprach, war er über alle Maßen erstaunt. Und als er Worte fand, sagte er: »Und wie kommt Ihr hierher? «

»Ich komme vom Abendessen aus Eurem Hause, um hier zu schlafen!«

»Teufel!« rief er. Und dann richtete er sein Wort an das Fräulein und sagte: »Mein Fräulein, beherbergt Ihr solche Gäste im Hause?«

»Ja, Herr«, entgegnete sie, »dank Euch, der sie mir geschickt hat!«

»Ich?« erwiderte er. »Sankt Johann, davon ist keine Rede. Ich bin selbst gekommen, um hier meinen Platz einzunehmen, doch ich komme schon zu spät. Da ich sonst nichts erhalten kann, öffnet mir wenigstens die Tür!«

»Ihr werdet hier nicht eintreten, bei Gott!« antwortete sie.

»Sankt Johann, er wird doch!« erklärte der Edelmann. Und darauf stieg er hinab, öffnete die Tür, legte sich wieder ins Bett und sie auch, Gott weiß, sehr beschämt und unzufrieden, doch mußte sie ihm jetzt gehorchen.

Als der gute Herr im Zimmer war und die Kerze angezündet hatte, betrachtete er die schöne Gesellschaft im Bett und sagte: »Viel Vergnügen Euch, mein Fräulein, und Euch auch, mein Edelmann!«

»Recht schönen Dank, Herr«, erwiderte er. Doch das Fräulein, dem beinahe das Herz aus dem Leibe gesprungen wäre, konnte kein einziges Wort hervorbringen, es glaubte ganz bestimmt, daß der Edelmann auf Geheiß und Wunsch des Ritters ins Haus gekommen sei. Daher war sie ihm so gram, daß man es euch nicht schildern kann.

»Und wer hat Euch den Weg hierher gezeigt, mein Edelmann?« fragte der Ritter.

»Euer Maultier, Herr«, versetzte er, »das ich unten am Schloß fand, als ich mit Euch zu Nacht gegessen hatte. Es stand da allein und verlassen, daher fragte ich es, worauf es warte, und es antwortete mir, es warte nur auf seine Decke und Euch.

'Und wohin wollt Ihr gehen?' sagte ich. 'Wohin wir sonst zu gehen pflegen!' entgegnete es. 'Ich weiß wohl', erklärte ich, 'dein Herr wird heute nicht mehr ausgehen, denn er will zu Bett gehen. Doch führe du mich dorthin, wohin, wie du weißt, er sonst geht, ich bitte dich darum!' Es war's zufrieden, daher stieg ich auf, und es führte mich hierher dank seiner Freundschaft!«

»Zum Teufel mit dem häßlichen Vieh, das mich verraten hat!« sagte der gute Herr.

»Ach, wie seid Ihr treu, Herr!« rief das Fräulein, als es wieder sprechen konnte. »Ich sehe wohl, Ihr macht Euch über mich lustig, doch Ihr sollt wissen, daß Ihr hier nicht mehr aufgenommen werdet. Wenn Ihr nicht selbst mehr hierherkommen wolltet, brauchtet Ihr doch keinen Stellvertreter für Euch zu schicken! Ich kenne Euch doch besser, als Ihr denkt!«

»Bei Gottes Tod, ich habe ihn nicht hierhergeschickt«, antwortete er, »doch da er nun einmal hier ist, will ich ihn nicht wegjagen. Es ist ja auch für uns beide Platz hier. Nicht wahr, mein Freund?«

»Ja, Herr, ja«, erklärte er, »so ist's, und ich bin damit einverstanden. Wir müssen auf den guten Kauf trinken!« Und nun wandte er sich zum Kredenztisch, goß Wein in einen großen Becher, der dort stand, und sagte: »Ich trinke auf Euer Wohl, mein Freund.«

»Ich danke Euch, mein Freund«, versetzte der andere, und dann ließ er von dem andern Wein dem Fräulein einschenken, das nicht trinken wollte. Doch endlich, ob es nun wollte oder nicht, nippte es an dem Becher.

»Nun«, sagte der artige Ritter, »will ich Euch hierlassen, mein Freund, verrichtet Euer Werk gut, heute ist die Reihe an Euch, morgen komme ich dran, wenn's Gott gefällt. Und ich bitte Euch, wenn Ihr mich hier findet, seid ebenso freundlich gegen mich, wie ich jetzt gegen Euch bin!«

»Bei unserer lieben Frau, mein Freund, das will ich sein, zweifelt nicht daran!«

Nun ging der gute Ritter von dannen und ließ den Edelmann da, der sein Bestes in dieser ersten Nacht tat. Und er erklärte dem Fräulein der Wahrheit gemäß ganz genau, wie sich alles zugetragen hatte, was es lieber hörte, als wenn ihn der andere geschickt hätte. So ward, wie ihr gehört habt, das gute Fräulein durch das Maultier getäuscht und gezwungen, dem Ritter und dem Edelrnann zu gehorchen, jedem, wenn er an die Reihe kam, woran es sich schließlich gewöhnte, und was es recht gut in Geduld trug. Wenn sich der Ritter und der Edelmann schon vor diesem Abenteuer sehr zugetan gewesen waren, so ward jetzt zwischen ihnen aus diesem Grunde die Liebe noch größer, während unter manchen schlecht Beratenen Zwiespalt und tödlicher Haß entsprungen wäre.

 


 


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