Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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73. Novelle
Der Vogel im Käfig

In der guten und freundlichen Grafschaft von St. Pol lebte jüngst in einem großen, ziemlich nahe der Stadt St. Pol gelegenen Dorf ein guter, einfältiger Bauersmann, der mit einer schönen, stattlichen Frau verheiratet war, in die sich der Pfarrer des Dorfes leidenschaftlich verliebt hatte. Und da er sich so heftig von Liebesfeuer ergriffen fühlte und einsah, es werde ihm schwerfallen, seiner Dame, ohne daß es bekannt oder er wenigstens beargwöhnt würde, zu dienen, dachte er, er könne nicht gut eher zu ihrem Genuß kommen, bevor er sich nicht mit ihrem Mann angefreundet hätte; es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als so zu handeln. Er entdeckte seiner Dame seine Absicht, um ihre Meinung darüber zu hören, und sie erklärte sie für trefflich und verständig und meinte, so würden sie ans Ziel ihrer Sehnsucht kommen.

Unser Pfarrer befolgte also den von seiner Dame gebilligten Plan und wußte geschickt und schlau mit dem bekannt zu werden, dessen Stellvertreter er werden wollte, und konnte sich so wohl bei dem Biedermann einführen, daß der stets und ständig, beim Essen und Trinken und bei jeder andern Arbeit von seinem guten Pfarrer sprach; jeden Tag in der Woche wollte er ihn zum Mittagessen oder zum Nachtmahl bei sich haben, kurz, nichts konnte im Hause des Biedermanns vor sich gehen, ohne daß der Pfarrer dabeigewesen wäre. Und so kam er, sooft und wann er wollte, ins Haus. Als die Nachbarn dieses einfältigen Bäuern das bemerkten, was er aus Einfalt und Schwäche, die ihm die Augen verhüllt und verbunden hatten, nicht sah, erklärten sie ihm, es sei nicht recht, fortwährend den Pfarrer bei sich zu haben, und es könne nicht so weitergehen, ohne daß die Ehre seiner Frau arg darunter litte, zumal die andern Nachbarn und ihre Freunde das gleich bemerkt hätten und davon sprächen, wenn er nicht dabei sei.

Als der Biedermann so bitter von seinen Nachbarn, die ihm den häufigen Verkehr des Pfarrers in seinem Hause vorwarfen, gescholten ward, sah er sich genötigt, dem Pfarrer zu erklären, er möge seine Besuche im Hause einstellen, und verbot ihm ausdrücklich und unter Drohungen, jemals zu ihm zu kommen, wenn er nicht nach ihm schickte, und beteuerte unter hohen Eiden, wenn er ihn in seinem Haus fände, würde er mit ihm abrechnen und ihn, ohne dafür bedankt sein zu wollen, gehörig bezahlen.

Das Verbot mißfiel dem Pfarrer mehr, als ich euch sagen könnte, doch wenn es ihm auch schmerzlich war, so ward die Liebschaft trotzdem nicht aufgegeben, denn die Liebe war in beider Herzen durch den häufigen Umgang so tief eingewurzelt, daß sie unmöglich verlöscht und vernichtet werden konnte, gleichviel, welche Gefahr daraus entstünde. Nun hört, wie unser Pfarrer sich nach dem ihm gewordenen Verbot benahm.

Nach dem Wunsch seiner Dame machte er sich's zur Regel und Gewohnheit, sie stets zu besuchen, wenn er ihren Mann fern wußte. Doch er tat es recht ungeschickt, denn er wußte seine Besuche nicht so geheimzuhalten, daß die Nachbarn, denen er das Verbot zu danken hatte, nicht dahintergekommen wären, und sie ärgerten sich darüber ebensosehr, wie wenn es sich um sie selbst gehandelt hätte. Der Biedermann ward von neuem durch sie verständigt, und sie erklärten ihm, der Pfarrer habe wie vor dem Verbot die Gewohnheit, in sein Haus das Feuer löschen zu gehen. Als unser einfältiger Mann diese Kunde vernahm, war er sehr erstaunt und noch viel mehr erregt und dachte sich, um diesem Übelstand abzuhelfen, folgendes sichere und geeignete Mittel aus. Er sagte zu seiner Frau, ohne sich irgend etwas anmerken zu lassen, er wolle an einem Tag, den er nannte, nach Saint Omer einen Wagen mit Korn bringen und selbst mitgehen, damit die Sache besser besorgt werde. Als der genannte Tag, an dem er aufbrechen wollte, gekommen war, ließ er, wie es Sitte in der Pikardie und besonders bei Saint Omer ist, um Mitternacht seinen Wagen mit Korn beladen und wollte zur selben Stunde aufbrechen. Und als alles hergerichtet und fertig war, nahm er Abschied von seiner Frau und fuhr mit seinem Wagen davon. Sobald er aus dem Tor war, schloß sie es und alle Türen des Hauses.

Nun müßt ihr wissen, daß unser Getreidehändler sein Saint Omer in dem Hause eines seiner Freunde am Ende der Stadt fand; er kam dort an, brachte den Wagen in dem Hof seines Freundes, der um seinen ganzen Plan wußte, unter und schickte ihn fort, er solle in der Nähe des Hauses auf Wache ziehen, um da zu sehen und zu hören, ob irgendein Dieb sich blicken ließ. Als der gute Nachbar und Freund an seinen Wachtplatz gekommen war, versteckte er sich im Winkel einer starken, dichten Hecke, von wo aus er alle Eingänge zum Haus des Händlers, dem er hierbei als ein wahrer Freund große Dienste leistete, im Auge behalten konnte.

Er hatte noch nicht lange auf der Lauer gelegen, seht, da kam der Herr Pfarrer, um seine Kerze anzuzünden oder, besser gesagt, auszulöschen. Und er klopfte ganz still und sachte an das Hoftor. Er wurde sofort von der, die in ihrer Sehnsucht keinen Schlaf gefunden hatte, von seiner Dame nämlich, gehört. Sie kam im Hemd schnell heraus, ließ ihren Beichtiger ein, schloß dann die Tür und führte ihn an den Platz, an dem ihr Mann hätte liegen müssen.

Nun wollen wir uns nach unserm Wachtposten umsehen. Als er alles, was geschah, bemerkt hatte, erhob er sich aus seinem Versteck, ging mit der Nachricht davon und erzählte alles dem guten Mann. Darauf ward unverzüglich Rat abgehalten und beschlossen, in folgender Weise vorzugehen: Der Getreidehändler sollte so tun, als käme er von seiner Fahrt mit seinem getreidebeladenen Wagen zurück, aus Angst, es könnte ihm irgendein Unglück begegnen oder als wäre es schon geschehen. Also kam er heim, klopfte an sein Tor und rief nach seiner Frau, die, als sie seine Stimme vernahm, sehr erschrak. Sie fand gerade noch Zeit genug, ihren Liebhaber, den Pfarrer, in einem Speiseschrank, der im Zimmer stand, zu verstecken; und damit ihr wißt, was für eine Sache ein Speiseschrank ist, erkläre ich euch, es ist eine große Kiste in Form einer Truhe, lang und flach, wie sich's gehört, und ziemlich tief. Nachdem der Pfarrer dort, wo man Eier, Butter, Käse und andere ähnliche Lebensmittel unterbringt, versteckt worden war, kam die tüchtige Wirtin, wie halb im Schlaf, halb wach, vor ihren Mann und fragte ihn: »Ach, lieber Mann, was ist Euch denn begegnet, daß Ihr so früh heimkommt? Sicherlich ist irgend etwas geschehen und vielleicht ein Unglück, daß Ihr Eure Fahrt habt unterbrechen müssen. Ach, sagt es mir doch schnell um Gottes willen!«

Der gute Mann, der aufs höchste erregt war, wenn er sich's auch nicht anmerken ließ, wollte in ihr Zimmer eilen und ihr hier die Ursache seiner eiligen Rückkehr erklären. Als er dort war, wo er seinen Herrn Pfarrer zu finden meinte, das heißt in ihrem Zimmer, begann er die Gründe seiner Fahrtunterbrechung aufzuzählen. Zuerst erklärte er, er mißtraue ihrer Treue und fürchte sehr, er werde in den sogenannten Hahnreiverein aufgenommen werden, und aus diesem Grunde sei er so bald heimgekommen. Zweitens: dieser Verdacht habe sich bei ihm so schnell eingestellt und seine Gedanken so beschäftigt, daß er, seit er das Haus verlassen, nichts anderes mehr gedacht habe, als daß der Pfarrer sein Stellvertreter sei, während er selbst seinem Handel nachgehe. Drittens, erklärte er, sei er heimgekommen, um zu untersuchen, ob seine Gedanken auf Wahrheit beruhten, und er wolle jetzt Licht haben, um nachzuschauen, ob seine Frau in seiner Abwesenheit ohne Gesellschaft wohl zu schlafen vermöchte.

Als er die Gründe für seine Heimkehr zu Ende aufgezählt hatte, rief die gute Dame: »Ach, mein lieber Mann, wie kommt Ihr nur jetzt zu dieser törichten Eifersucht? Habt Ihr mich denn anders als eine gute, treue und keusche Frau erfunden? Ach, verflucht sei die Stunde, da ich Euch kennenlernte, und die, da ich Euch heiratete, wenn Ihr so ungerecht seid und bei mir das, woran mein Herz niemals gedacht hat, argwöhnt. Ach, Ihr kennt mich noch sehr schlecht und wißt nicht, wie rein und unschuldig mein Herz ist und bleiben wird.«

Der gute Kaufmann hätte wohl gezwungen werden können, ihren Lügen zu glauben, wenn er nicht genau gewußt hätte, daß sich die Sache anders verhielt. Daher erklärte er, er wolle sehen, ob seine Gedanken auf Wahrheit beruhten. Und sofort, ohne sich mehr auf einen Wortwechsel mit ihr einzulassen, untersuchte er das Zimmer in allen Ecken und Winkeln, so gründlich er nur konnte. Als er es abgesucht und das, was er zu finden geglaubt, nicht entdeckt hatte, fielen seine Augen auf den Speiseschrank, und er kam zu der Überzeugung, daß sein Teilhaber darin verborgen sei. Er ließ sich aber nichts anmerken, sondern rief seine Frau: »Liebe Freundin, obwohl ich Euch ohne Grund und mit großem Unrecht im Verdacht der Untreue habe, kann ich doch von meiner Meinung nicht abgehen und bin der festen Überzeugung, daß ich recht habe. Ich vermag also niemals mehr mit Euch in Frieden und Freuden zusammen zu sein. Deshalb bitte ich Euch, seid damit einverstanden, daß wir beide uns scheiden und trennen und unsere gemeinsamen Güter in gleicher Weise in aller Eintracht teilen.«

Das Weibchen, dem dieser Handel sehr recht war, konnte es sich doch so leichter mit seinem Pfarrer treffen, gab, ohne dem Ersuchen seines Mannes auch nur ein Wörtchen entgegenzusetzen, seine Zustimmung; unter der Bedingung jedoch, daß bei der Teilung der Güter sie beginnen und zuerst ihre Wahl treffen dürfe.

»Aus welchem Grunde wollt Ihr denn zuerst wählen?« fragte der Mann. »Das ist gegen jedes Recht und Billigkeit.«

Sie stritten lange darüber, wer zuerst wählen sollte, doch schließlich gewann der Mann die Oberhand, traf zuerst seine Wahl und nahm den Speiseschrank, in dem weiter nichts war als Fladen, Kuchen, Käse und andere einfache Lebensmittel, zwischen denen unser Pfarrer, der all die schönen Worte hörte, die aus diesem Grunde gewechselt wurden, begraben lag.

Als der Mann den Speiseschrank gewählt hatte, nahm die Dame den großen Kessel, danach der Mann ein anderes Möbelstück und darauf sie wieder, bis alles richtig geteilt war. Nach der Teilung erklärte der gute Mann: »Ihr könnt in meinem Haus bleiben, bis Ihr ein Quartier gefunden habt, doch ich will meinen Anteil noch in dieser Stunde fort und in das Haus eines meiner Nachbarn schaffen lassen.«

»Tut nach Euerm Belieben!« erklärte sie.

Und er forderte eine schöne lange Schnur und schlang und befestigte sie wohl um seinen Speiseschrank, dann ließ er seinen Kutscher kommen, der den Schrank auf ein Pferd laden sollte, und befahl ihm, ihn in das Haus eines Nachbarn, den er ihm nannte, zu bringen.

Als die gute Dame von dieser Absicht hörte, ließ sie alles ihren Weg gehen; sie wagte keinen Widerspruch aus Furcht, der Schrank könnte geöffnet werden, und überließ alles dem Zufall. Wie gesagt, ward der Schrank auf das Pferd geladen und durch die Straße zu dem Hause getragen, wohin ihn der gute Mann zu bringen befohlen hatte.

Es währte nicht lange, da schrie der Herr Pfarrer, dem die Eier und die Butter in die Augen flossen, um Hilfe. Als der Fuhrmann diese jämmerliche Stimme aus dem Speiseschrank rufen hörte, sprang er ganz erschreckt hinab und schrie nach den Leuten und seinem Herrn, die den Schrank öffneten, in dem sie den armen Gefangenen, mit Eiern, Käse, Milch und hundert andern Dingen besudelt und beschmiert, fanden. Der arme Liebhaber war derart zugerichtet, daß man nicht wußte, wovon er das meiste an sich hatte. Und als der gute Mann ihn in diesem Zustande sah, konnte er, obwohl er doch hätte zornig sein müssen, das Lachen nicht verbeißen. Daher ließ er ihn laufen, kam zu seiner Frau und erklärte ihr, er habe, als er ihre Treue beargwöhnte, doch nicht so sehr unrecht gehabt. Als sie sich so überführt sah, bat sie um Gnade, und sie ward ihr unter der Bedingung zuteil, daß sie, wenn ihr jemals wieder so etwas begegnete, ihren Galan anderswo als im Speiseschrank unterbrächte, denn das Kleid des Pfarrers war infolgedessen ganz ruiniert. Und darauf blieben sie noch lange zusammen, und der Mann trug seinen Speiseschrank wieder heim; ich weiß nicht, ob sich der Pfarrer später wieder in ihrem Hause einfand, ich weiß nur, daß er seitdem »Herr Baudin aus dem Speiseschrank« genannt ward und noch heute so heißt.

 


 


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