Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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59. Novelle
Der verliebte Kranke

In der Stadt Saint Omer lebte vor kurzer Zeit ein schmucker Geselle, ein Gerichtsdiener, der eine gute und treue Frau geheiratet hatte, die vorher bereits verehelicht gewesen war und aus dieser Ehe einen Sohn mitbrachte, den sie wohl erzogen hatte. Obwohl dieser gute Gesell also eine gute und keusche Frau besaß, ging er doch stets Tag und Nacht überall, wo er konnte, nach bester Möglichkeit seinen Liebeshändeln nach. Und da er im Winter es manchmal schwieriger als zur andern Zeit fand, seinen Liebeshändeln nachzugehen, kam er auf den Gedanken und zu dem Entschluß, sein Haus um solcher Liebeshändel willen nicht zu verlassen, hatte er doch daheim ein schönes, junges und schmuckes Mädchen, dem er nach Belieben seine Dienste zu widmen gedachte.

Um es kurz zu machen: er wußte durch Geschenke und Versprechen sie dahin zu bringen, daß er die Erlaubnis erhielt, alles, was ihm beliebte, zu tun. Das war jedoch nicht leicht, denn seine Frau beobachtete sie beide stets, da sie das Wesen ihres Mannes kannte. Trotzdem erleuchtete Amor, der seinen wahren Dienern stets helfen will, den Geist seines guten und treuen Dieners, so daß er ein Mittel fand, seinen Liebeshandel zu Ende zu führen. Er tat nämlich sehr stark erkältet und sagte zu seiner Frau: »Teuerste Gefährtin, kommt her; ich bin so krank, daß ich nicht mehr weiter kann. Ich muß mich zu Bett legen und bitte Euch, schickt alle Leute schlafen, damit keiner Geräusch und Lärm macht, und dann kommt in unser Zimmer.«

Die gute Demoiselle, die ob der Erkrankung ihres Mannes sehr bekümmert war, tat nach seinem Wunsch, nahm dann hübsche Tücher, wärmte sie und bedeckte ihren Mann damit, nachdem er sich zur Ruhe begeben hatte. Und als er sich eine lange Weile wohl durchwärmt hatte, erklärte er: »Liebe Freundin, es ist genug, ich fühle mich schon ziemlich wohl, dank Gott und Euch, die ihr Euch so viele Mühe damit gemacht habt. Daher bitte ich Euch, legt Euch nun neben mich schlafen.«

Sie, die ihrem Mann die Gesundheit und Ruhe wiederzugeben wünschte, tat nach seinem Wunsch und schlief bald ein. Und nicht lange danach, als unser Verliebter bemerkte, daß sie schlief, machte er sich ganz sachte aus seinem Bett und eilte in das seiner Dame, des Kammermädchens, wohlgerüstet, sein Gelübde zu erfüllen. Und er ward froh empfangen und aufgenommen, und sie brachen so viele Lanzen, daß sie müde und matt wurden und in enger Umarmung einschliefen.

Wie es nun manchmal kommt, daß man beim Erwachen, wenn man mit irgendeinem Leid oder Kummer eingeschlafen ist, zuerst wieder daran denkt und es einen manchmal sogar aus dem Schlaf weckt, so ging es auch der Mademoiselle. Obwohl sie sich um ihren Mann sehr sorgte, hatte sie sich doch nicht genug um ihn gekümmert, denn sie fand, daß er sein Bett verlassen hatte. Sie befühlt sein Kopfkissen und findet die Stelle, auf der er geruht, ganz kalt, er mußte das Bett also schon lange verlassen haben. Nun springt sie ganz zornig auf, zieht sich ihr Hemd und ihren Unterrock an und sagt zu sich: »Jetzt ist's um dich geschehen, schändlicher Faulpelz, und du hast den härtesten Tadel verdient, wenn du durch deine Nachlässigkeit den Mann hast umkommen lassen. Ach, warum habe ich mich nur in dieser Nacht ins Bett gelegt und so fest geschlafen! O Jungfrau Maria, gib mir doch Trost und Hoffnung, daß ihm durch meine Schuld kein Leids geschehen ist, denn sonst würde ich mich für die Ursache seines Todes halten.«

Und nach diesen reuevollen Klagen verläßt sie eilig das Zimmer und sucht nach Licht. Und damit ihr das Kammermädchen ihren Mann suchen helfe, ging sie in ihr Zimmer, um sie aufzuwecken, und fand dort das nette Paar schlafend in enger Umarmung; und sie schienen ihr in dieser Nacht tüchtig gearbeitet zu haben, denn sie schliefen so fest, daß sie nicht erwachten, mochte eintreten, wer da wollte, und auch das Licht weckte sie nicht. Und aus Freude darüber, daß ihr Mann nicht krank und so elend war, wie sie geglaubt und ihr Herz ihr gesagt hatte, rief sie ihre Kinder und die Diener des Hauses herbei, ließ sie das schöne Paar sehen, gebot ihnen ausdrücklich, sie nicht zu wecken, und fragte sie dann ganz leise, wer da im Bett mit dem Kammermädchen schliefe. Und ihre Kinder antworteten, es sei ihr Vater, und die Diener, es sei ihr Herr. Und dann hieß sie sie das Zimmer verlassen und sich wiederum niederlegen, denn es war zum Aufstehen noch zu früh. Sie selbst ging ebenfalls in ihr Bett, schlief aber bis zur Morgenstunde nicht mehr. Ziemlich bald danach erwachten die beiden wahrhaft Liebenden und nahmen zärtlichen Abschied voneinander, und unser Herr kehrte still in sein Bett neben seine Frau zurück. Und sie sagte ebenfalls nichts und stellte sich schlafend, worüber er sehr erfreut war, da er dachte, sie habe nichts von seinem guten Glück gemerkt, denn er scheute und fürchtete sie sehr, sowohl wegen seiner Ruhe als wegen der des Mädchens. Und unser Herr versank noch einmal in einen tiefen Schlaf, während die gute Demoiselle, die nicht schlief, sobald die Stunde, da man aufstand, gekommen war, sich erhob und, um ihren Mann festlich zu bewirten und ihm nach der abführenden Arznei, die er in dieser Nacht genommen hatte, eine Stärkung angedeihen zu lassen, ihre Leute weckte, ihr Kammermädchen herbeirief und ihr sagte, sie solle die beiden besten Kapaune aus dem Kapaungehege holen, sie wohl zubereiten und dann zum Schlächter gehen und das beste Stück Rindfleisch, das sie auftreiben könne, holen und aus dem eine gute Fleischbrühe kochen, wie sie es so gut verstände, denn sie wüßte ausgezeichnet eine treffliche Brühe zu bereiten. Und das gute Mädchen, das von ganzem Herzen ihrer Demoiselle und noch mehr ihrem Herrn - dem einen aus Liebe, der andern aus Furcht - zu gefallen wünschte, erklärte, sie wolle es gern tun. Währenddessen ging die gute Demoiselle zur Messe und auf dem Rückweg in das Haus ihres Sohns, von dem ich oben gesprochen habe, und sagte ihm, er möchte in das Haus ihres Mannes zum Mittagessen kommen und drei oder vier gute Gesellen, die sie ihm nannte, mitbringen, ihr Mann und sie bäten sie zu sich zum Essen. Danach geht sie hinein, um in der Küche aufzupassen, daß mit der Brühe nichts falsch gemacht werde, wie es durch ihre Unachtsamkeit mit der Pflege während der Nacht geschehen war; doch sie brauchte nichts zu befürchten, denn unser guter Gatte war in die Kirche gegangen.

Währenddessen bat der Sohn der Demoiselle alle, die sie ihm genannt hatte und die die besten Spaßmacher in der Stadt Saint Omer waren, zu Tisch. Nun kam unser Herr aus der Messe zurück, umarmte seine Frau innig, bot ihr guten Tag und sie ihm desgleichen. Sie sagte ihm, sie sei sehr erfreut darüber, ihn wieder gesund zu sehen. Er dankte ihr dafür und erklärte: »Mir geht es, liebe Freundin, nach der Vesper wieder ganz gut, und ich habe, glaube ich, einen tüchtigen Hunger, daher möchte ich gern frühstücken, wenn's Euch beliebt.«

Und sie entgegnete ihm: »Mir ist das ganz recht, doch müßt Ihr Euch noch ein wenig gedulden, bis das Mahl fertig ist und die Leute, die zum Essen gebeten wurden, erschienen sind.«

»Wozu gebeten?« rief er. »Mich gehen sie nichts an, und ich wollte lieber, sie blieben weg, denn es sind so lose Schelme, daß sie sich über mich lustig machen würden, wenn sie erführen, daß ich krank gewesen bin. Wenigstens bitte ich Euch drum, schöne Dame, daß Ihr ihnen davon nichts sagt. Und noch eins. Was werden sie zu essen bekommen?«

Und sie erklärte, er solle sich nicht darum kümmern, sie würden genug zu essen haben, denn sie hätte die beiden besten Kapaune des Hauses herrichten und ihm zuliebe eine schöne Suppe kochen lassen, worüber er sehr erfreut war, und er erklärte, es sei wohlgetan. Und bald danach kamen die gebetenen Gäste und der Sohn der Demoiselle. Und als alles bereit war, setzten sie sich zu Tische und ließen sich's sehr wohl sein, und vor allem der Wirt, und sie tranken oft und kräftig einer dem andern zu. Und der Hausherr sagte zu seinem Stiefsohn: »Johann, lieber Sohn, ich bitte Euch, trinkt auf das Wohl Eurer Mutter und zeigt ihr ein freundliches Gesicht.« Und er entgegnete, er werde es sehr gern tun. Und als er seiner Mutter zugetrunken hatte, kam das Kammermädchen, das sie bediente, gerade an den Tisch, und nun rief die Demoiselle sie herbei und sagte ihr: »Kommt her, meine treue Gefährtin, trinkt mir zu, und ich werde Euch nachtrinken.«

»Gefährtin, zum Teufel«, rief unser Verliebter, »seit wann besteht denn diese große Liebe zwischen euch? Hört doch nur diese Neuigkeit, was soll denn das zum Teufel heißen?«

»Ganz gewiß, sie ist meine treue und sichere Gefährtin, wundert Ihr Euch denn darüber so sehr?«

»Zum Teufel, Johanna, gebt auf Eure Worte acht, sonst könnte man noch auf den Gedanken kommen, es bestände irgendein Verhältnis zwischen ihr und mir.«

»Und ist dem etwa nicht so?« entgegnete sie. »Habe ich Euch denn nicht in dieser Nacht in ihrem Bett und in enger Umarmung mit ihr schlafend gefunden?«

»In ihrem Bett?« rief er.

»Ja, ganz gewiß«, erklärte sie.

»Bei meiner Seele, liebe Herren, davon ist gar keine Rede, und sie sagt's nur, um mich zu ärgern und das arme Mädchen zu beschimpfen, denn sie hat mich niemals bei ihr gefunden.«

»Nein?« sagte sie. »Nun zum Teufel, Ihr sollt es bald hören, und ich will es Euch durch alle Leute hier im Haus sagen lassen.«

Darauf rief sie ihre Kinder und ihre Diener, die vor dem Tisch standen, heran und fragte sie, ob sie nicht ihren Vater bei dem Kammermädchen schlafen gesehen hätten; und sie erwiderten: »Ja!«

Und ihr Vater versetzte: »Ihr lügt, schändliche Kinder, eure Mutter hat es euch eingeredet.«

»Ohne Euch nahetreten zu wollen, lieber Vater, wir sahen Euch dort schlafen, und unsere Diener ebenfalls.«

»Was sagt ihr dazu?« fragte die Demoiselle.

»So ist's wahrhaftig«, erwiderten sie.

Und nun brachen alle Anwesenden in ein herzliches Gelächter aus und setzten ihm schrecklich zu, denn die Demoiselle erzählte ihnen, wie er sich krank gestellt habe, und alles, was er getrieben, und wie sie, um ihn zu bewirten, das Mahl habe herrichten und seine Freunde bitten lassen, die noch mehr die Sache breittraten, so daß er sich schämte, kaum seine Haltung zu bewahren vermochte und zu seiner Rechtfertigung nichts anderes vorzubringen wußte als die Worte: »Nun schön, da alle gegen mich sind, muß ich wohl schweigen und zu allem ja sagen, denn ich allein vermag nichts gegen euch allesamt.«

Danach ward die Tafel aufgehoben und sogleich das Dankgebet gesprochen; nun rief er seinen Stiefsohn zu sich und sagte ihm: »Johann, lieber Freund, ich bitte Euch, wenn schon die andern mich solcher Schuld bezichtigen, entschuldigt Ihr mich doch und hütet meine Ehre, und dann geht und seht, daß man diesem armen Mädchen, was ihr gebührt, gibt, und bezahlt sie reichlich, daß sie keine Ursache zur Klage hat, und heißt sie das Haus verlassen, denn ich weiß wohl, daß Eure Mutter sie hier nicht mehr länger dulden wird!«

Der Stiefsohn richtete alles nach seinem Wunsch aus und kam dann zu den Genossen, die er mit sich gebracht, zurück und fand sie im Gespräch mit seiner Mutter. Und sie dankten ihr für alles Gute, nahmen dann Abschied und gingen davon. Und die andern blieben im Haus, und es läßt sich denken, daß später mancherlei Worte unter ihnen gewechselt wurden. Und der saubere Verliebte hatte bei der Mahlzeit noch nicht seinen Leidenskelch bis zum Grunde geleert. Und hierbei kann man von Hunden, Vögeln, Waffen, Liebschaften sagen: »Für ein Vergnügen tausend Schmerzen.« [Vgl. Villons 'Großes Testament':

De chiens, d'oyseaux, d'armes, d'amours
Chacun le dit à la volée.
Pour un plaisir mille doulours.
]

Und deshalb soll man sich nicht darauf einlassen, wenn man sie nicht bis auf den Grund auskosten kann. Und so, wie es ihm dann begegnete, brachte der schmucke Gesell seinen Handel auf die erwähnte Weise zu Ende.

 


 


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