Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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12. Novelle
Das Kalb

An den Grenzen des Landes Holland setzte es sich jüngst ein Narr in den Kopf, den dümmsten Streich zu begehen, dessen er nur fähig war, nämlich sich zu verheiraten. Und sobald er in den angenehmen Mantel der Ehe gehüllt war, ward er, obwohl es damals Winter war, so sehr stark erwärmt, daß man ihn nicht zu halten wußte. Die Nächte, die um diese Jahreszeit neun oder zehn Stunden währten, reichten nicht aus noch waren sie lang genug, um seinen heißen Wunsch nach Nachkommenschaft zu befriedigen. Sooft er seiner Frau begegnete, legte er sie nieder, mochte es in der Stube oder im Stall sein; ganz gleich wo, stets hatte sie einen Ansturm auszuhalten. Und so führte er sich nicht nur einen Monat oder zwei auf, sondern so lange, daß ich es nicht berichten möchte wegen der Übelstände, die daraus sich ergeben könnten, wenn die Narrheit dieses großen Arbeiters zur Kenntnis vieler Frauen käme.

Was soll ich davon lange reden? Er tat darin so viel, daß das Andenken daran in diesem Lande nie erlöschen wird. Und um die Wahrheit zu sagen: die Frau, die sich jüngst beim Bailli von Amiens darüber beklagte, daß ihr Mann ihr so stark zusetze, hatte nicht so guten Grund zur Klage als diese hier. Doch wie dem auch sei, sie widersetzte, obwohl sie manchmal diese vergnügliche Mühe gerne entbehrt hätte, sich niemals, um nach ihrer Pflicht ihrem Mann zu gehorchen.

Eines Tages nach dem Essen, als sehr schönes Wetter war und die Sonne ihre Strahlen auf die mit schönen Blumen bemalte und bestickte Erde hinabsandte, ergriff sie der Wunsch, im Walde, sie beide ganz allein, spazierenzugehen, und sie machten sich auf den Weg.

Nun will ich euch nicht verbergen, was zur Geschichte gehört: Gerade zu der Stunde, da unsere guten Leute diesen Entschluß faßten, hatte ein Bauer sein Kalb verloren, das er auf einer sich bis zu diesem Walde hinziehenden Wiese hatte weiden lassen. Er ging es suchen, fand es aber nicht, worüber er nicht wenig bekümmert war. Er machte sich auf die Suche, im Wald wie auf den Wiesen, Ländereien und nahe liegenden Plätzen in der Umgegend, doch er hörte und sah nichts von ihm.

Da kam ihm der Einfall, es könne beim Weiden durch Zufall in irgendeinen Strauch oder einen grasreichen Graben geraten sein, aus dem es, wenn es sich vollgefressen hätte, nicht mehr herausspringen könnte. Um besser und ungehindert Umschau halten zu können und nicht bald hierhin, bald dorthin laufen und sein Kalb suchen zu müssen, wählte er den höchsten, schlanksten Baum des Waldes und stieg hinauf. Und als er auf der höchsten Spitze dieses Baumes saß, der auf das ganze Land ringsum schaute, meinte er sein Kalb schon halb gefunden zu haben.

Während dieser gute Bauer seine Augen überall nach seinem Kalb umherschweifen ließ, seht, da kommen unser Mann und seine Frau in den Wald, singend, schäkernd, plaudernd und scherzend, wie es fröhlicher Herzen Art ist, wenn sie an heiteren Stätten sich befinden. Und es ist nicht wunderbar, wenn der Wille ihn ankam und das Gelüst ihn erfaßte, seine Frau an diesem so angenehmen und günstigen Platz zu umarmen.

Um diesen Willen nach seinem Gefallen und seiner Lust zu vollbringen, sah er so lange nach rechts und links, bis er den schönen Baum bemerkte, auf dem der Bauer saß, wovon er nichts wußte, und unter diesem Baum entschloß er sich, den freundlichen Waffengang zu beginnen. Und als er an Ort und Stelle war, ging er nicht lange nach der Mahnung seines Wunsches ans Werk, springt seine Frau an und legte sie auf die Erde. Er war ebenso wie seine Frau guter Laune und heiter und wollte sie von vorn und von hinten sehen, zog ihr das Kleid ab und ließ ihr nur den einfachen Unterrock. Danach hob er ihn trotz ihrem heftigen Sträuben hoch, und nicht damit zufrieden, legte er sie, um ihre Rückseite nach Herzenslust sehen und ihre Schönheit betrachten zu können, auf die andere Seite und läßt endlich auf ihren dicken Hintern seine harte Hand drei- oder viermal niederfallen, dann dreht er sie wieder um, und wie er ihren hinteren Teil betrachtet hat, so macht er es auch mit ihrem vorderen, worin die gute, einfältige Frau um keinen Preis willigen will; sie widersetzt sich kräftig, und Gott weiß, daß ihre Zunge nicht müßig war.

Nun heißt sie ihn bald unfreundlich, toll, verrückt, bald schamlos und sagt ihm tüchtig die Wahrheit, doch es nutzt nichts, er ist viel stärker als sie und hat sich in den Kopf gesetzt, ein Verzeichnis von all ihren Reizen aufzunehmen; daher muß sie ihrem Mann gehorchen und wünscht als kluge Frau lieber, ihrem Mann gefällig zu sein, als ihn durch ihre Weigerung zu ärgern.

Als sie allen Widerstand aufgegeben hatte, nahm sich der tüchtige Mann Zeit, ihr Vorderes zu betrachten, und wenn man es, ohne die Scham zu verletzen, sagen kann, er war nicht zufrieden, wenn nicht seine Hände seinen Augen die Geheimnisse aufdeckten, die er einer gründlichen Musterung unterzog. Und wie er in diesem tiefen Studium begriffen war, sagte er bald: »Ich sehe das«, bald: »Ich sehe jenes«, und so weiter. Und wer ihn hörte, meinte, er sehe die ganze Welt und noch viel mehr.

Und nach einer großen Pause sagte er abermals, von dieser anmutigen Betrachtung gefesselt: »Heilige Marie, was sehe ich doch alles!«

»Ach«, rief nun der Bauer vom Baum, »seht Ihr nicht auch mein Kalb, lieber Herr? Ich glaube seinen Schwanz zu sehen!«

Obwohl der andere sehr erstaunt war, antwortete er doch sofort: »Dieser Schwanz gehört nicht zu Euerm Kalb!«

Und alsbald steht er auf, geht davon, und seine Frau folgt ihm. Und wer mich fragen würde, was den Bauer zu dieser Frage bewog, dem antwortet der Schreiber dieser Geschichte, daß der Bart des Vorderteils dieser Frau sehr lang war, wie es bei den Frauen in Holland der Fall zu sein pflegt, daher dachte er, es wäre der Schwanz seines Kalbs; weil ihr Mann sagte, er sehe so viele Dinge, ja beinah die ganze Welt, dachte er bei sich, sein Kalb könnte nicht fern und mit andern Dingen hierinnen verborgen sein.

 


 


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