Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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4. Novelle
Der bewaffnete Hahnrei

Als der König unlängst in seiner Stadt Tours weilte, verliebte sich ein schmucker Geselle, ein Schotte, Büchsenschütze in seinem Korps und seiner großen Wache, leidenschaftlich in eine schöne, schmucke, verheiratete Demoiselle, eine Krämerin. Und da er Zeit und Gelegenheit zu finden wußte, sprach er ihr von seinem holden und bemitleidenswerten Zustand; doch ward ihm nicht nach Wunsch geantwortet, und er war nicht allzusehr zufrieden und vergnügt.

Gleichwohl ließ er, da ihm die Sache sehr am Herzen lag, nicht von seinen Nachstellungen ab, sondern bestürmte immer mehr und so dringend die Demoiselle, daß sie ihn davonjagen, ihm völlig den Abschied geben wollte und sagte, sie werde ihren Gatten von der unehrbaren und schändlichen Nachstellung in Kenntnis setzen, wenn er auf ihr beharre, was sie auch ausführlich tat.

Der Mann, so gut und klug, tapfer und kühn, wie nachher erzählt werden wird, geriet in bittern Zorn gegen den Schotten, der ihn und seine treffliche Frau ebenfalls entehren wollte. Und um sich an ihm nach Wunsch und Tadel zu rächen, befahl er seiner Frau, sie solle ihm, wenn er noch auf seiner Nachstellung beharre, ein Stelldichein gewähren und bestimmen, und wenn er so toll wäre und dabei erschiene, sollte ihm die Unehre, die er gegen ihn beabsichtige, teuer verkauft werden.

Um dem Wunsche ihres Mannes zu willfahren, erklärte die gute Frau, sie werde es tun. Nicht lange danach ging der arme Schotte so viele Wege, bis er auf dem Platz unsere Krämerin sah, die von ihm demütig begrüßt und abermals um ihre Liebesgunst so freundlich gebeten ward, daß alle früheren Bitten durch diese klägliche letzte wohl bestätigt und beglaubigt werden mußten. Niemals würde einer Frau treuer als ihr gehorsamt und gedient werden, wenn sie gütig seinem demütigen und billigen Ersuchen willfahren wollte, erklärte er.

Die schöne Krämerin erinnerte sich der Aufgabe, die ihr Mann ihr gestellt hatte, hielt auch die Stunde für günstig und gab unter anderen Reden und vielen Entsdiuldigungen, wie sie ihrer Absicht dienten, dem Schotten für den nächsten Abend ein Stelldichein; er solle persönlich in ihrem Zimmer erscheinen, um ihr hier in größerer Heimlichkeit von dem, was er sonst noch beabsichtige, und dem großen Wohlwollen, das er ihr gegenüber hege, zu sprechen.

Ihr könnt euch denken, daß sie von ganzem Herzen bedankt, freundlich angehört und ihr aus voller Seele von dem Schotten Gehorsam versprochen ward, der nach diesen guten Nachrichten so vergnügt, wie er noch niemals gewesen war, seine Dame verließ.

Als der Gatte heimkam, erfuhr er zuerst, der Schotte sei dagewesen und was er für Worte und große Anerbieten gemacht habe und endlich, wie er sich morgen abend bei ihr in ihrem Zimmer einfinden werde. »Nun laßt ihn nur kommen«, sagte der Mann, »er hat noch niemals etwas so Tolles unternommen, und ich will ihn, bevor er weggeht, sein großes Unrecht büßen lassen, damit er den anderen waghalsigen und sinnlosen Tollköpfen als Beispiel diene.«

Der Abend des folgenden Tages kam, heiß ersehnt von dem armen verliebten Schotten, der seine Dame sehen und genießen wollte, heiß ersehnt von dem guten Krämer, der die schreckliche Rache an der Person dessen, der sein Stellvertreter zu sein gedachte, nehmen wollte, herzlich gefürchtet aber von der guten Frau, die infolge ihres Gehorsams gegen ihren Mann eine große Schlacht zu sehen erwartete.

Endlich ist jeder bereit: Der Krämer läßt sich einen großen, plumpen, alten Harnisch anlegen, nimmt seine Pickelhaube, seine Panzerhandschuhe und in seine Hand ein großes Beil. Nun ist er wohlgerüstet, weiß Gott, und schaut drein, als hätte er schon manchen Strauß ausgefochten.

Wie ein Kämpe zum Turnier zu guter Stunde ausreitet und seinen Feind erwartet, schaute er aus, und anstatt ins Zelt setzte er sich hinter eine Decke in den Raum zwischen seinem Bett und der Wand und verbarg sich so gut, daß er nicht bemerkt werden konnte.

Als der verliebte Kranke die heißersehnte Stunde schlagen hörte, machte er sich auf den Weg zu der Wohnung der Krämerin, doch vergaß er nicht sein großes, gutes, starkes Schwert, das man mit beiden Händen schwingen konnte. Und sobald er ins Haus gekommen war, stieg die Dame still in ihr Zimmer hinauf, und er folgte ihr ganz sacht. Und als er sich darin befand, fragte er seine Dame, ob in ihrem Zimmer noch jemand anders sei als sie. Darauf antwortete sie ziemlich zaghaft und sonderbar und nicht allzu sicher: »Nein.«

»Sagt die Wahrheit«, sagte der Schotte, »ist Euer Mann nicht hier?«

»Ganz gewiß nicht!« erwiderte sie.

»Nun laßt ihn nur kommen, bei St.Trignon, wenn er herkommt, werde ich ihm den Schädel bis zu den Zähnen einschlagen. Ja, bei Gott, wenn es selbst ihrer drei wären, so würde ich sie wohl meistern!«

Und nach diesen furchtbaren Worten zieht er sein großes, gutes Schwert heraus, läßt es drei- oder viermal durch die Luft sausen und legt es neben sich aufs Bett.

Danach küßte er sie unverzüglich, umhalste sie und vollendete alles übrige, was dann folgt, nach Herzenslust, ohne daß der arme Hahnrei, der vor übergroßer Furcht beinahe gestorben wäre, aus seinem Versteck aufzutauchen wagte.

Nach diesem stolzen Abenteuer nimmt der Schotte von seiner Dame Abschied bis zu einem andern Mal und dankt ihr mit großer Höflichkeit, macht sich auf den Weg und steigt die Stufen des Hauses hinab.

Als der tapfere Kriegsmann den Schotten fern von sich wußte, sprang er, so erschreckt, daß er kaum sprechen konnte, aus seinem Zelt, und begann seine Frau darob zu schelten, daß sie dem Büchsenschützen das Vergnügen gegönnt habe. Und sie antwortete, es sei seine Schuld und sein Fehler und er habe ihr aufgetragen, dem andern das Stelldichein zu gewähren.

»Ich trug Euch nicht auf«, rief er, »ihm seinen Willen zu lassen!«

»Wie hätte ich«, erwiderte sie, »ihn zurückweisen können, angesichts seines großen Degens, mit dem er mich, falls ich ihn abgewiesen, getötet hätte?«

Und jetzt, seht, kommt der gute Schotte zurück, geht wieder die Stufen zum Zimmer hinauf, tritt hinein und sagt ganz laut: »Was gibt's?«

Und der gute Mann, noch viel erschrockener als vorher, rettet sich vor ihm und kriecht unters Bett, um noch sicherer zu sein. Die Dame ward abermals genommen und von neuem von dem Verliebten nach Herzenslust in derselben Weise wie vorher, immer den Degen dicht neben sich, in Liebe umarmt.

Nach dieser wiederholten Ladung und vielen Reden zwischen dem Schotten und der Dame kam die Abschiedsstunde; daher bot er ihr gute Nacht und schied. Der arme Märtyrer unter dem Bett wagte kaum von dort hervorzukommen, er fürchtete die Rückkehr seines Gegners oder, besser gesagt, seines Teilhabers.

Endlich faßte er Mut, und mit Hilfe seines Weibes ward er Gott sei Dank auf die Füße gebracht. Hatte er schon vorher sein Weib tüchtig gescholten und geschmäht, so begann er jetzt noch einmal mit viel härteren Worten, denn sie habe nach seinem Verbot seine und ihre Unehre zugelassen.

»Ach«, erwiderte sie, »wo gibt es eine so mutige Frau, die einem so erregten und erzürnten Menschen wie diesem zu widersprechen wagte, wenn Ihr, bewaffnet, mit einem Stock bewehrt und bis zur Tollkühnheit tapfer, Ihr, dem er noch viel größeres Unrecht als mir zugefügt hat, ihn weder anzugreifen noch mich zu verteidigen gewagt habt?«

»Das ist keine Antwort, Dame!« sagte er. »Hättet Ihr nicht gewollt, Frau, so wär er wohl niemals an sein Ziel gekommen. Ihr seid schlecht und treulos!«

»Aber Ihr«, rief sie, »seid ein feiger, böser und verwerflicher Mensch, um dessentwillen ich entehrt wurde, denn aus Gehorsam gegen Euch gab ich dem Schotten das verwünschte Stelldichein. Und Ihr habt nicht einmal so viel Mut gehabt, die Verteidigung derjenigen, auf der Euer ganzes Gut und Eure Ehre beruht, zu unternehmen. Und Ihr könnt davon überzeugt sein, daß ich weit lieber gestorben wäre, als aus eigenem Willen in dies Schändliche gewilligt hätte. Und Gott weiß, welch Leid ich davontrage und mein Leben lang tragen werde, weil der, von dem ich jeden Schutz genießen und erwarten müßte, in seiner Gegenwart und auf seinen Rat mich hat ruhig entehren lassen.«

Man darf ziemlich bestimmt glauben und annehmen, daß sie dem Willen des Schotten nicht ob des von ihr dabei empfundenen Vergnügens nachgab, sondern dazu genötigt und gezwungen ward, weil sie ihm nicht widerstehen konnte; sie überließ den Widerstand ihrem tapferen wagemutigen Mann. Nach vielen Gründen und Erwiderungen von beiden Seiten gaben sie sich zufrieden, doch war der Mann offenkundig im Unrecht, der vom Schotten, so wie ihr's gehört habt, betrogen ward.

 


 


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