Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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8. Novelle
Dirne für Dirne

In der Stadt Brüssel, wo mannigfache Abenteuer sich in unserer Stadt zugetragen haben, lebte vor kurzer Zeit im Hause eines Kaufmanns ein junger Gesell, ein Pikarde, der seinem Herrn ziemlich lange Zeit gut und treu diente. Abgesehen von anderen Dienstleistungen, durch die er sich seinen Herrn verpflichtete, wußte er es auch durch sein freundliches Reden, Gebaren und seinen Anstand dahin zu bringen, daß er der Gunst der Tochter teilhaftig wurde und bei ihr schlief, so daß sie durch ihn dick und schwanger wurde.

Als unser Gesell seine Dame in diesem Zustand sah, war er nicht so dumm und wartete die Stunde ab, in der sein Herr es wissen und merken könnte. Er nahm rechtzeitig freundlich Abschied, für wenige Tage nur, obwohl er gar nicht daran dachte, jemals zurückzukommen, und tat, als ginge er in die Pikardie, um seinen Vater, seine Mutter und seine anderen Verwandten zu besuchen. Und als er seinem Herrn und seiner Herrin das letzte Lebewohl gesagt hatte, kam der klägliche Abschied bei der Tochter seiner Herrin, der er bald wiederzukommen versprach, was er natürlich und aus gutem Grunde nicht tat.

Während er in der Pikardie im Hause seines Vaters war, ward die arme Tochter seines Herrn so dick, daß sie ihren jämmerlichen Zustand nicht mehr verbergen konnte. Auf ihn ward vor allen andern zuerst die Mutter, die sich darauf verstand, aufmerksam. Daher zog sie sie beiseite und fragte sie, wie man sich leicht denken kann, wie sie in diesen Zustand gekommen sei und wer sie in ihn versetzt habe.

Ob sie sehr in sich dringen und sich bedrohen ließ, ehe sie davon etwas sagen wollte, braucht man nicht zu fragen; doch endlich ward sie so weit gebracht, daß sie ihr Mißgeschick erzählte und erklärte, der Pikarde, der Diener ihres Vaters, der neulich davongegangen sei, habe sie verführt und in diesem jammervollen Zustand verlassen.

Als ihre Mutter sie so entehrt sah, begann sie voller Zorn, wie rasend und aufs tiefste betrübt, sie zu schelten und so heftig zu schmähen, daß die Geduld, mit der sie alles anhörte, ohne ein Wort zu sagen oder etwas zu erwidern, fast genügt hätte, das Vergehen zu tilgen, das sie begangen hatte, als sie sich von dem Pikarden schwängern ließ.

Doch ach! diese Geduld bewog ihre Mutter nicht im mindesten zum Mitleid, sie sagte ihr vielmehr: »Geh, geh weg von mir, und lauf so lange, bis du den Pikarden findst, der dich geschwängert hat, und sag ihm, er soll dir abtun, was er dir angetan hat, und komm nicht eher zu mir zurück, bis er alles, was er durch seine Beschimpfung dir getan, getilgt hat.«

Das arme Mädchen verließ in diesem Zustand, betrübt, weiß Gott, und trostlos seine wütende und grausame Mutter und machte sich auf die Suche nach dem Pikarden, der sie geschwängert hatte. Ihr könnt glauben, daß sie, ehe sie von ihm Nachricht erhalten konnte, viel Mühsal und große Beschwer zu tragen hatte.

Endlich kam sie, mit Gottes Willen, nach manchem Weg in der Pikardie, an einem Sonntag in ein großes Dorf in Artois. Und sie traf es recht gut, denn an diesem Tage feierte ihr Freund, der Pikarde, gerade seine Hochzeit, worüber sie recht erfreut war. Und sie wollte so eifrig dem Gebot ihrer Mutter nachkommen, daß sie durch das Gedränge der Leute, so groß es auch war, brach und ihren Freund suchte, fand und begrüßte; er erkannte sie gleich, erwiderte ihren Gruß und sagte ihr: »Seid herzlich willkommen! Wer schickt Euch zu dieser Stunde her, liebe Freundin?«

»Meine Mutter«, erwiderte sie, »schickt mich zu Euch, und Gott weiß, daß Ihr mich habt tüchtig ausschelten lassen. Sie hat mir aufgetragen und befohlen, Ihr sollt mir abtun, was ihr mir angetan habt; und tut Ihr es nicht, so darf ich nie zu ihr zurückkommen!«

Der andere hörte ihre törichte Antwort, wollte sich ihrer möglichst schnell entledigen und erwiderte ihr: »Liebe Freundin, ich will gern tun, worum Ihr mich ersucht, und was ich nach dem Wunsch Eurer Mutter machen soll, ist sehr richtig; doch zu dieser Stunde kann ich es nicht gut, daher bitte ich Euch, geduldet Euch heute, morgen werde ich es Euch besorgen!«

Sie war's zufrieden, und nun ließ er sie in ein Zimmer bringen und wohl mit Speise versorgen, was ihr nach den großen Mühen und Anstrengungen, die sie auf der Suche ertragen hatte, auch sehr not tat.

Nun müßt ihr wissen, daß die Neuvermählte gar wohl achtgab und ihren Mann mit unserm schwangern Mädchen sprechen sah, was ihr sehr mißfiel und worüber sie sehr erregt und bekümmert war. Doch verbarg sie ihren Groll und sagte kein Wort, bis ihr Mann sich zu Bett legte. Und als er sie umhalsen, küssen, auch in allem übrigen seine Pflicht zu tun und die Brautsuppe zu gewinnen dachte, warf sie sich von einer Seite auf die andere, so daß er nicht an sein Ziel kommen konnte, worüber er sehr erstaunt und erzürnt war, und er sagte ihr: »Liebe Freundin, warum tut Ihr das?«

»Ich habe wohl Ursache«, erwiderte sie, »und mancherlei in Euerm Benehmen zeigt, daß Ihr Euch nicht mehr um mich kümmert. Ihr habt ja viele andere, an denen Euch mehr als an mir liegt!«

»Ich habe sie nicht, meiner Treu, liebe Freundin«, versetzte er, »ich liebe auf der ganzen Welt keine andere Frau als Euch!«

»Ach!« meinte sie, »und habe ich Euch nicht lange mit einer Frau im Saal unten nach dem Essen sprechen sehen? Ich habe nur allzu gut gesehen, Ihr könnt Euch nicht entschuldigen und herausreden!«

»Darüber«, entgegnete er, »braucht Ihr, bei der Mutter Gottes, nicht eifersüchtig zu sein!« Und nun erzählte er ihr ausführlich, es sei die Tochter seines Herrn zu Brüssel, er habe mit ihr geschlafen und sie geschwängert und sei deshalb von ihr weggegangen; nach seinem Scheiden sei sie so dick geworden, daß man es gemerkt habe, und sie habe ihrer Mutter gestanden, er habe sie geschwängert, und sie habe zu ihm geschickt, daß er ihr abtäte, was er ihr angetan, oder sie dürfe nie wieder zu ihr zurückkommen.

Als unser Mann seine lange Geschichte beendet hatte, griff seine Frau nur den einen Punkt seiner Erzählung auf und sagte: »Wie, sagtet Ihr nicht, sie habe ihrer Mutter erzählt, daß Ihr mit ihr geschlafen habt?«

»Ja, wahrhaftig«, erwiderte er, »sie erzählte ihr alles!«

»Bei meinem Eid«, entgegnete sie, »da hat sie sich recht dumm gezeigt! Der Fuhrmann aus unserem Hause hat bei mir mehr als vierzig Nächte gelegen, aber Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß ich nicht ein einziges Wort meiner Mutter gesagt habe: ich habe mich wohl gehütet!«

»Wie!« rief er, »zum Teufel, solch eine Person seid Ihr, Dame? Der Galgen soll Euch fassen! Dann geht nur zu Eurem Fuhrmann, wenn Ihr wollt, denn ich mag mit Euch nichts zu schaffen haben!« Darauf erhob er sich sofort, ging zu der, die er geschwängert hatte, und verließ die andere. Als man am Morgen diese Neuigkeit erfuhr, lachten, Gott weiß, einige Leute von ganzem Herzen, doch manche andere empfanden großes Mißvergnügen, vor allem der Vater und die Mutter dieser Vermählten.

 


 


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