Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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65. Novelle
Eine Indiskretion

Wie man oft viele Dinge, die man schließlich und zu spät bereut, unternimmt, so geschah es jüngst einem schmucken Gesellen in einem Dorf ziemlich nahe bei Mont St. Michel, der beim Abendessen in Gegenwart seiner Frau, einiger Fremder und mancher seiner Nachbarn von einem Gastwirt von St. Michel erzählte und bei seiner Ehre beteuerte und beschwur, er sei mit dem schönsten, größten und kräftigsten Handwerkszeug in der ganzen Umgebung versehen und bediene sich seiner, was die Sache erst vollkommen mache, so trefflich, daß vier-, fünf-, sechsmal ihm ebensowenig machten, wie wenn man es in den Zipfel seiner Mütze stecke. Alle am Tisch hörten mit großem Vergnügen von dem guten Leumund des Gastwirts von Mont St. Michel, und ein jeder gab darüber seine Ansicht zum besten. Wer aber am meisten achtgab und hinhörte, das war die Dame des Hauses, die Frau des Erzählers der Geschichte, und sie hielt die mit einem solchen Mann gesegnete Frau für sehr glücklich und beneidenswert. Und seitdem dachte sie darüber nach, ob sie nicht ein Mittel fände, geschickt und heimlich eines Tages nach Mont St. Michel zu kommen und im Haus des so trefflich begabten Mannes zu wohnen; und nur an ihm sollte es liegen, wenn sie sich davon überzeugte, ob sein guter Leumund wirklich auf Wahrheit beruhe. Um ihr Vorhaben und ihren Plan auszuführen, nahm sie nach sechs bis acht Tagen von ihrem Mann Abschied, um eine Wallfahrt nach Mont St. Michel zu machen. Und um die Ursache ihrer Reise zu bemänteln, fand sie, wie es Frauen ja so gut verstehen, eine ganz glaubhafte Lüge. Und ihr Mann ließ sie ziehen, obwohl er gleich Verdacht schöpfte, womit er auch sehr recht hatte. Beim Abschied sagte ihr der Mann, sie solle dem heiligen Michael eine Spende bringen und in dem Hause des genannten Gastwirts wohnen und ihn hunderttausendmal ihm empfehlen. Sie versprach, alles nach seinem Wunsch zu vollbringen, nahm damit Abschied und zog davon mit Gott weiß wie heißer Sehnsucht nach dem heiligen Michael.

Sobald sie fort war, stieg der gute Mann auf sein Pferd und eilte auf einem andern Wege als seine Frau, so schnell er konnte, nach Mont St. Michel und kehrte in aller Heimlichkeit vor seiner Frau im Hause des obengenannten Gastwirts ein, der ihn fröhlich empfing und herzlich willkommen hieß.

Als er in seinem Zimmer war, sagte er zu dem Wirt: »Ihr seid schon lange mein Freund, lieber Wirt, und ich der Eure. Ich will Euch sagen, was mich jetzt in diese Stadt führt. Vor ungefähr fünf oder sechs Tagen nämlich saßen wir, eine große Menge guter Gesellen, in meinem Haus beim Abendessen; und in der Unterhaltung erklärte ich, in diesem Lande gäbe es keinen Menschen, der mit einem größeren Handwerkszeug als Ihr versehen wäre.« Und außerdem wiederholte er ihm, so gut er konnte, die Worte, die damals in dieser Unterhaltung, wie oben erzählt, gefallen waren. »Nun ist's so«, fuhr er fort, »meine Frau hat meine Worte ganz genau behalten und nicht eher geruht, bis sie einen Vorwand gefunden, eine Reise zu machen, um in diese Stadt zu kommen. Ich zweifle keinen Augenblick daran und bin fest davon überzeugt, daß vor allem die Absicht sie hergeführt hat, zu erproben, wenn sie kann, ob ich bezüglich Eures großen Handwerkszeugs die Wahrheit gesprochen habe. Sie wird bald hier sein, ich zweifle nicht daran, denn die Sehnsucht treibt sie her. Deshalb bitte ich Euch, empfangt sie, wenn sie kommt, vergnügt, nehmt sie freundlich auf, bittet sie um die Liebesgunst und drängt sie so lange, bis sie Euch Euren Wunsch erfüllen will. Doch dürft Ihr mich nicht betrügen, nehmt Euch wohl in acht, sie anzurühren, verabredet mit ihr, wenn sie im Bett liegt, zu ihr zu kommen, dann werde ich mich zu ihr an Eure Stelle legen, und so wird die Sache zu einem guten Ende geführt.«

»Laßt mich nur machen!« versetzte der Wirt. »Ich versprech Euch bei meiner Seel, was in meinen Kräften steht, zu tun.«

»Spielt mir also keinen bösen Streich«, versetzte der andere, »ich weiß wohl, an ihr liegt's nicht, wenn ihr es nicht tut.«

»Ich versichere es Euch wahr und wahrhaftig«, erklärte der Wirt, »ich werde sie nicht anrühren.« Und er tat es auch nicht.

Nicht lange danach, seht, kommt unser Weibchen mit ihrem Kammermädchen, Gott weiß, recht ermüdet. Und der gute Wirt trat aus dem Haus und empfing die Gesellschaft, wie es ihm geheißen ward und er es versprochen hatte. Er ließ die Demoiselle in ein schönes Zimmer führen, ein gutes Feuer machen, vom besten Wein bringen, pflückte selbst ganz frische, schöne Kirschen und schmauste mit ihr, bis das Abendessen angerichtet war.

Er versuchte ihr näher zu kommen, als er glaubte, es sei an der Zeit, doch Gott weiß, wie man ihn anfangs kräftig abwies. Schließlich aber, um es kurz zu machen, ward der Handel dahin abgeschlossen, daß er gegen Mitternacht ganz heimlich zu ihr schlafen kommen sollte. Nach diesem Beschluß ging er zu dem Mann des Weibchens und erzählte ihm die ganze Geschichte; und als die zwischen ihr und dem Wirt verabredete Stunde gekommen war, legte er sich an seiner Stelle nieder und arbeitete mit allen Kräften, erhob sich aber vor Tagesanbruch und ging in sein Bett zurück.

Als der Tag gekommen war, rief unser Weibchen ganz schwermütig, nachdenklich und mißgestimmt, weil es nicht gefunden, was es gedacht, sein Kammermädchen, und sie erhoben sich und kleideten sich an, so schnell sie konnten, und wollte den Wirt und ihre Zeche bezahlen; doch der Wirt erklärte, er nehme nichts von ihnen. Da sagt die Demoiselle Lebewohl und zieht davon, ohne zur Messe zu gehen und den heiligen Michael zu sehen, ja selbst ohne zu frühstücken. Und ohne ein Wort zu sagen, kam sie nach Haus zurück.

Nun müßt ihr wissen, daß ihr Mann schon daheim war; er fragte sie, was es Gutes zu Mont St. Michel gebe. Sie war aufs tiefste niedergeschlagen und machte kaum den Mund auf.

»Wie hat Euch denn Euer Wirt empfangen?« fragte der Mann. »Er ist doch, bei Gott, ein guter Gesell.«

»Guter Gesell!« versetzte sie, »ich wüßte nicht, was an ihm wäre; ich habe an ihm nichts Großes finden können.«

»So, Frau?« fragte er. »Ich dachte, beim heiligen Johann, aus Liebe zu mir würde er Euch gut aufnehmen und herzlich willkommen heißen!«

»Sein Willkommen kümmert mich nicht«, antwortete sie. »Wenn ich auf der Wallfahrt bin, schere ich mich weder um seinen Willkomm, noch um den eines andern, da denke ich nur an meine Andacht.«

»Andacht, Frau! « rief er, »bei der Mutter Gottes, da irrt Ihr Euch doch recht sehr. Ich weiß ganz gut, warum Ihr so sauer dreinschaut und wovon Euer Herz so voll ist. Ihr habt nicht gefunden, was Ihr dachtet. Da hat's eben weit gefehlt. Ja, ja, Madame, ich habe wohl den Grund Eurer Wallfahrt gewußt: Ihr dachtet die große Lanze unseres Wirts von St. Michel zu erfassen und zu erproben. Doch bei Sankt Johann, ich habe wohl auf Euch achtgegeben und werde es, wenn ich kann, auch weiter tun. Ihr müßt nicht denken, daß ich Euch belog, als ich Euch erklärte, seine Lanze sei so groß, ich habe bei Gott die Wahrheit gesagt; doch Ihr brauchtet nicht mehr davon zu wissen, als Ihr gehört habt. Trotzdem habt Ihr Euch davon überzeugen wollen und hättet seine Kraft zu erproben die beste Absicht gehabt, wenn ich nicht dazwischengekommen wäre. Damit Ihr nicht denkt, daß ich Euch etwas vorrede, so wisset, daß ich heute zu der ihm von Euch bestimmten Stunde kam und seinen Platz einnahm. Ihr könnt also davon völlig überzeugt sein und wißt, wie Ihr Euch künftig zu verhalten habt. Für diesmal ist Euch verziehen, doch hütet Euch, noch einmal dergleichen zu unternehmen, sonst wird es Euch schlecht gehen.«

Die Demoiselle war ganz erschrocken und verwirrt, sah ihr Unrecht deutlich ein, bat, als sie wieder Worte finden konnte, ihren Mann um Verzeihung und versprach, dergleichen nicht mehr zu tun. Und ich glaube auch, daß sie ihr Versprechen gehalten hat.

 


 


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