Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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38. Novelle
Der Traum von der Lamprete und den Prügeln

Jüngst kaufte ein Kaufmann aus Tours, um seinen Pfarrer und andre ehrbare Leute zu bewirten, eine schöne und große Lamprete, schickte sie nach seinem Hause und trug seiner Frau auf, sie, so gut sie könne, zuzubereiten. »Und richtet Euch ein«, sagte er, »daß das Essen um zwölf Uhr fertig ist, denn ich werde unsern Pfarrer mitbringen und noch einige andere«, die er ihr nannte.

»Alles wird bereit sein«, erklärte sie, »bringt mit, wen Ihr wollt!«

Sie machte viele gute Fische zurecht, und da sie an die Lamprete ging, wünschte sie sie dem Franziskaner, ihrem Freund, und sagte zu sich: »Ach, Bruder Bernhard, weshalb seid Ihr nicht hier! Meiner Treu, Ihr dürftet nicht von hier gehen, ehe Ihr von der Lamprete gekostet hättet, oder wenn es Euch lieber wäre, solltet Ihr sie mit Euch in Euer Zimmer nehmen, und ich würde Euch gern Gesellschaft leisten.«

Mit großem Bedauern legte die gute Frau die Hand an die Lamprete, die für ihren Mann bestimmt war, und dachte nur darüber nach, wie sie ihr Franziskaner erhalten könnte. Sie dachte und grübelte so lange, bis sie sich entschloß, sie ihm durch eine Alte, die um ihr Geheimnis wußte, zu schicken; sie tat es auch und ließ ihm melden, sie werde diese Nacht bei ihm speisen und schlafen.

Als der Meister Franziskaner diese schöne Lamprete sah und von dem Kommen seiner Dame hörte, war er, wie ihr euch denken könnt, froh und sehr zufrieden und sagte der Alten, er werde guten Wein auftreiben, damit die Lamprete, wenn man sie äße, nicht um ihr gutes Recht gebracht würde. Die Alte kam von ihrem Botengang zurück und meldete ihren Auftrag.

Ungefähr um zwölf Uhr, seht, da kommen unser Kaufmann, der Pfarrer und einige andere gute Gesellen, um diese Lamprete, die ihnen sehr angepriesen worden war, zu vertilgen. Als sie allesamt in der Wohnung des Kaufmanns waren, führte er sie in die Küche, um ihnen die große Lamprete, mit der er sie bewirten wollte, zu zeigen, rief seine Frau und sagte zu ihr: »Zeig uns unsere Lamprete, ich will diesen Leuten beweisen, daß ich einen guten Kauf gemacht habe!«

»Was für eine Lamprete?« fragte sie.

»Die Lamprete, die ich Euch mit den andern Fischen für unser Essen schickte!«

»Ich habe nichts von einer Lamprete gesehen«, erklärte sie, »ich glaube wahrhaftig, Ihr träumt. Seht, da sind ein Karpfen, zwei Hechte und ich weiß nicht was für andre Fische, aber eine Lamprete habe ich heute nicht gesehen!«

»Wie?« rief er, »denkt Ihr etwa, ich sei trunken?«

»Meiner Treu, ja«, sagten nun der Pfarrer und die andern, »wir haben heute gleich nicht daran geglaubt. Ihr seid ein bißchen zu geizig, um jetzt Lampreten zu kaufen.«

»Bei Gott«, sagte die Frau, »er macht sich über euch lustig, oder er hat von einer Lamprete geträumt, denn ich hab in diesem Jahr ganz gewiß keine Lamprete gesehen.«

Nun erboste sich der gute Gatte und rief: »Ihr habt gelogen, Ihr schmutziges Weib, oder habt sie gegessen oder irgendwo verborgen! Ich verspreche Euch, die Lamprete soll Euch teuer zu stehen kommen.« Darauf wandte er sich zum Pfarrer und den andern und schwur wahr und wahrhaftig und mit hundert Eiden, er habe seiner Frau eine Lamprete gegeben, die ihn einen Franken gekostet habe. Und sie taten, um ihn noch mehr zu ärgern und aufzubringen, als glaubten sie es nicht und wären unzufrieden, und meinten: »Wir waren zum Essen bei dem und dem gebeten und haben allen abgesagt, um hierherkonimen zu können, wo wir von der Lamprete zu essen dachten. Doch soweit wir sehen, wird sie uns nicht beschweren!«

Der Wirt, vor Ärger rein außer sich, nahm einen Stock und ging auf seine Frau zu, um sie ordentlich zu verprügeln, doch die andern hielten ihn zurück, führten ihn mit Gewalt aus seiner Wohnung und hatten Mühe, als sie ihn in solcher Aufregung sahen, ihn, so gut sie konnten, zu besänftigen. Da sie um die Lamprete gekommen waren, ließ der Pfarrer ein Mahl bereiten, und sie ließen sich's von Herzen wohl sein.

Die gute Demoiselle mit der Lamprete ließ eine ihrer Nachbarinnen, eine Witwe, eine noch schöne und recht ansehnliche Frau, holen und aß mit ihr. Und als sie die günstige Gelegenheit gekommen glaubte, sagte sie: »Meine gute Nachbarin, Ihr könntet mir einen Dienst leisten und einen ganz besonderen Gefallen tun. Wolltet Ihr so viel für mich tun, würde ich mich Euch gegenüber derart erkenntlich erzeigen, daß Ihr damit wohl zufrieden wäret.«

»Und was sollte ich für Euch tun?« fragte sie.

»Ich will es Euch erklären«, antwortete sie, »mein Mann ist bei seinen Nachtarbeiten so heftig, daß es kaum zu sagen ist, und in der vergangenen Nacht hat er mich so zugerichtet, daß ich diese Nacht ihn wahrhaft nicht getrosten Mutes zu erwarten wage. Daher bitte ich Euch, wollet meinen Platz einnehmen, und kann ich jemals irgend etwas für Euch tun, so werdet Ihr mich an Leib und Gut dazu bereit finden.«

Die gute Nachbarin wollte, um ihr gefällig zu sein und den Dienst zu leisten, ihre Stelle einnehmen, wofür sie sehr und reich bedankt ward.

Nun müßt ihr wissen, daß unser Kaufmann mit der Lamprete, da er nach dem Essen heimkam, sich mit einer großen und reichen Menge Birkenruten versah, die er heimlich in sein Haus brachte; und er verbarg sie neben seinem Bett und nahm sich vor, seine Frau diese Nacht gehörig damit zu bedienen. Er wußte es aber nicht so heimlich zu machen, daß seine Frau es nicht recht gut bemerkte; es beschäftigte ihre Gedanken in hohem Maße, denn sie kannte infolge langer Erfahrung die Grausamkeit ihres Mannes zur Genüge. Er aß nicht zur Nacht daheim, sondern hielt sich so lange außer dem Hause, bis er dachte, er werde sie nackt im Bett finden.

Sein Unternehmen schlug ihm aber fehl, denn als er spät am Abend kam, hatte sie ihre Nachbarin sich entkleiden und an ihrer Stelle ins Bett legen lassen, nachdem sie ihr ausdrücklich aufgetragen hatte, kein Wort zu ihrem Mann, wenn er komme, zu sagen, sondern die Stumme und Kranke zu spielen. Und sie tat noch mehr, denn sie löschte das Feuer im Haus, in der Küche wie in der Stube. Und als sie das getan hatte, befahl sie ihrer Nachbarin, sobald sich ihr Mann morgens erheben würde, nach Hause zu gehen. Diese versprach ihr auch, so tun zu wollen.

Nachdem die tüchtige Frau Nachbarin so einquartiert und gebettet war, geht sie zu den Franziskanern, um die Lamprete zu essen und den Ablaß zu gewinnen, wie sie öfters tat.

Während sie sich dort ergötzen wird, wollen wir von dem Kaufmann erzählen, der nach dem Abendessen heimkam, voller Zorn und Groll wegen der Lamprete; und um das, was er in seinem Innern beschlossen hatte, auszuführen, griff er nach seinen Ruten und hielt sie in der Hand, während er überall nach der Kerze suchte, die er aber nirgends finden konnte; selbst im Kamin glückte es ihm nicht, Feuer zu finden.

Als er das sah, legte er sich, ohne ein Wort zu sagen, zu Bett und schlief bis gegen Morgen, dann erhob er sich, kleidete sich an, nahm seine Ruten und taufte, indem er sie an die Lamprete erinnerte, so lange die Stellvertreterin seiner Frau, daß er sie beinahe totgeschlagen hätte, und richtete sie derart zu, daß sie auf allen Seiten blutete, selbst die Bettücher waren ganz blutig; es sah aus, als sei hier ein Ochs abgestochen worden. Die arme Märtyrerin aber wagte weder ein Wort zu sagen noch das Gesicht zu zeigen. Seine Ruten zersprangen an ihr, und er ward müde, daher verließ er seine Wohnung. Und die arme Frau, die durch das Liebesspiel und freundlichen Zeitvertreib erheitert zu werden erwartet hatte, ging bald darauf nach Hause, beklagte ihr Unglück und Martyrium und erging sich in Drohungen und Verwünschungen gegen ihre Nachbarin.

Während der Mann außerhalb war, kam seine gute Frau von den Franziskanern zurück und fand ihr Zimmer mit Ruten ganz bestreut, ihr Bett verwüstet und in Unordnung und die Tücher ganz blutig. Daher erkannte sie sofort, daß ihre Nachbarin es mit ihrem Leibe hatte büßen müssen, wie sie es wohl gedacht hatte. Und ohne zu zögern und säumen, brachte sie ihr Bett wieder in Ordnung, legte andere schöne, frische Tücher auf, säuberte ihr Zimmer und ging dann zu ihrer Nachbarin, die sie in jämmerlichem Zustand fand. Und man braucht nicht zu sagen, daß sie ihr gut zusprechen mußte.

Sobald sie konnte, ging sie in ihre Wohnung zurück, entkleidete sich völlig, legte sich in das schöne Bett, das sie hergerichtet hatte, und schlief recht gut, bis ihr Mann aus der Stadt heimkam, seines Zornes ledig, hatte er sich doch gerächt; er ging zu seiner Frau und fand sie im Bette, wo sie wunder wie gut zu schlafen schien: »Was soll denn das heißen, Mademoiselle?« fragte er. »Ist es nicht Zeit aufzustehen?«

»Wie!« rief sie, »ist es schon Tag?« Bei meinem Eid, ich habe Euch nicht aufstehen hören. Ich war in einem Traum befangen, der mich so lange festgehalten hat!«

»Ich glaube«, sagte er, »Ihr habt von der Lamprete geträumt, nicht wahr? Das wäre kein allzu großes Wunder, denn ich habe sie Euch heute morgen gut ins Gedächtnis zurückgerufen!«

»Bei Gott«, erklärte sie, »ich habe weder an Euch noch an Eure Lamprete gedacht!«

»Wie«, rief er, »habt Ihr sie so schnell vergessen?«

»Vergessen?« entgegnete sie. »Ein Traum hat mich gebannt!«

»Und in diesem Traum«, meinte er, »haben die Rutenhiebe eine Rolle gespielt, die ich Euch vor kaum zwei Stunden verabfolgt habe!«

»Mir?« fragte sie.

»Ja, ja, Euch«, sagte er, »ich weiß recht gut, daß es sie hier in unserem Bette reichlich setzte.«

»Meiner Seel, lieber Freund«, erwiderte sie, »ich weiß nicht, was ihr getan oder geträumt habt, doch was mich betrifft, so erinnere ich mich wohl, daß Ihr am Morgen herzliche Freude am Liebesspiel hattet, sonst weiß ich nichts. Auch könnt Ihr wohl geträumt haben, daß Ihr mir etwas anderes getan hättet, weil Ihr gestern mir die Lamprete gegeben zu haben behauptet habt!«

»Das wäre ein sonderbarer Traum«, meinte er, »ich möchte Euch ein wenig sehen.«

Sie nahm die Decke, schlug sie zurück und zeigt sich ganz nackt, ohne alle Flecken und Wunden. Er sieht auch die schönen weißen Tücher unbesudelt und unbeschmutzt. Daher erstaunte er mehr, als man sagen könnte, begann zu grübeln und gründlich nachzudenken, und in diesem Zustand verharrte er lange.

Schließlich sagte er nach einer Weile: »Bei meinem Eide, liebe Freundin, ich glaubte Euch heute morgen bis aufs Blut geschlagen zu haben, doch ich sehe wohl, es ist nicht der Fall. Ich weiß nicht, was mir widerfahren ist.«

»Teufel!« rief sie, »entschlagt Euch dieser fixen Idee mit den Schlägen, Ihr habt mich nicht angerührt, Ihr könnt es doch sehen. Macht Eure Rechnung, Ihr habt geträumt.«

»Ich erkenne«, erklärte er nun, »daß Ihr wahr sprecht. Daher bitte ich Euch, verzeiht mir, denn ich weiß wohl, daß ich gestern Euch vor den Fremden, die ich ins Haus brachte, mit Unrecht geschmäht habe.«

»Das sei Euch gern verziehen«, erwiderte sie, »doch gebt nun acht, daß Ihr nicht wieder so leichtfertig und so hastig handelt!«

»Ich werde es schon nicht mehr tun, liebe Freundin«, versetzte er.

So ward, wie ihr gehört habt, der Kaufmann durch seine Frau getäuscht, daß er meinte, den Kauf der Lamprete und auch alles andere in der obigen Geschichte geträumt zu haben.

 


 


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