Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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22. Novelle
Das Kind mit zwei Vätern

Unlängst weilte ein Edelmann zu Brügge, wo er mit einem hübschen Mädchen so lange und nachhaltig Umgang pflog, bis er ihr den Bauch zum Schwellen gebracht hatte. Und gerade als es dessen innewurde, berief der gnädige Herr alle Waffenfähigen zusammen. Daher ward unser Edelmann gezwungen, seine Dame zu verlassen und mit den andern sich in den Dienst meines genannten Herrn zu begeben, was er froh und gern tat.

Doch vor seiner Abreise sah er sich nach Paten und Taufzeuginnen und einer Amme für sein künftiges Kind um, mietete die Mutter bei guten Leuten ein, ließ ihr Geld zurück und empfahl sie ihnen. Und als er alles nach bestem Wissen und in kürzester Zeit geordnet hatte, rüstete er zur Reise, nahm Abschied von seiner Dame und versprach ihr, so es Gott gefalle, bald heimzukehren.

Ihr könnt euch denken, daß, wenn sie niemals geweint hätte, sie zu dieser Stunde nicht mehr an sich gehalten haben würde, wo sie den, der ihr am teuersten in der Welt war, von sich scheiden sah. Um es kurz zu machen, dieser traurige Abschied bekümmerte sie dermaßen, daß sie kein Wort hervorbringen konnte, so viele Tränen entquollen der Tiefe ihres Herzens und hemmten ihre süße Stimme. Doch endlich, da sie sah, daß es nicht zu ändern sei, ward sie ruhig. Und als ungefähr ein Monat nach dem Scheiden ihres Freundes verflossen war, entflammten Wünsche ihr Herz, und sie gedachte des heitern Zeitvertreibs, dessen sie sonst sich erfreut und dessen die grausame und verwünschte Abwesenheit ihres Freundes, ach! sie beraubt hatte.

Der Gott der Liebe, der niemals müßig geht, zeigte und wies ihr die großen Güter, edlen Eigenschaften und die hervorragende Schönheit eines Kaufmanns in ihrer Nachbarschaft, der ihr mehrere Male vor und seit der Abreise ihres Freundes die Schlacht angeboten hatte, und ließ sie zu dem Schluß kommen, ihn, spräche er sie fürder um ihre Gunst an, nicht mehr hart abzuweisen. Wenn er es aber nicht täte, wollte sie ihm durch ihr Benehmen zeigen, wie sie ihm geneigt sei. Nun traf es sich so gut, daß am Tage nach diesem Entschluß Amor unseren Kaufmann zu seiner Patientin schickte und er ihr wie sonst zum Geschenk Hunde und Vögel, seinen Leib und sein Gut und hunderttausend Dinge bot, die diese Frauenjäger auswendig und am Schnürchen herzuzählen wissen.

Es war nicht umsonst, denn hatte er den besten Willen, in den Kampf zu ziehen und Waffentaten zu verrichten, so begehrte sie nicht minder, ihm sein Unternehmen zu erleichtern und ihm alles, was er von ihr verlangen würde, zu geben.

Bald bediente und versorgte zum Nachteil unseres Edelmanns, der jetzt im Kriege ist, unsere schmucke Frau den guten Kaufmann mit allem, was er von ihr wünschte; und hätte er noch mehr von ihr zu fordern gewagt, so wäre sie auch dazu bereit gewesen. Und sie fand ihn so ritterlich, kräftig und gutgesittet, daß sie gänzlich ihren geliebten Freund vergaß, der damals dessen keinen Arg hatte. Auch dem guten Kaufmann gefiel die Freundlichkeit seiner neuen Dame außerordentlich, und so sehr wurden ihre und seine Willensäußerungen, Wünsche und Gedanken eins, daß sie beide nur ein Herz hatten. Daher kamen sie auf den Gedanken: um gut und nach ihrer Bequemlichkeit zu wohnen, würde eine Wohnung wohl genügen. Deshalb packte eines Abends unser Weibchen seine Schmucksachen und Kleider zusammen und begab sich mit ihnen in die Wohnung des Kaufmanns, indem es seinen ersten Freund, seinen Wirt, seine Wirtin und viele andere ehrbare Leute, denen er es empfohlen hatte, verließ.

Als sie sich gut einquartiert sah, war sie klug genug, sofort ihrem Kaufmann zu sagen, sie fühle sich schwanger; er war darob sehr erfreut, da er meinte, es sei sein Werk. Nach sieben Monaten oder ungefähr so gebar unser Weibchen einen hübschen Jungen, auf den der Adoptivvater und die Mutter ebenfalls sehr stolz waren. Eine gewisse Zeit danach kam der gute Edelmann aus dem Kriege heim und nach Brügge und schlug, sobald er es einrichten konnte, den Weg zu dem Quartier ein, wo er seine Dame gelassen hatte. Und als er dorthin gekommen war, fragte er nach ihr bei denen, die er beauftragt hatte, auf ihr Wohl bedacht zu sein, sie zu hüten und ihr bei ihrer Niederkunft beizustehen.

»Wie?« sagten sie, »Ihr wißt davon nichts? Habt Ihr denn nicht die Briefe erhalten, die wir Euch geschrieben haben?«

»Meiner Treu, nein!« erwiderte er. »Was gibt's denn?«

»Wie ist's nur möglich! Heilige Marie!« riefen sie. »Bei unserer lieben Frau! Dann muß man's Euch wohl sagen. Ihr wart noch keinen Monat fort, da packte sie ihre Sachen und ging geradenwegs in die Wohnung eines Kaufmanns, des und des, der sie unterhält. Und sie hat auch einen hübschen Jungen geboren, den der Kaufmann hat taufen lassen und wie seinen eigenen hält!«

»Heiliger Johann! Das sind ja gute Neuigkeiten«, versetzte der Edelmann. »Doch wenn's mal so ist, soll sie zum Teufel gehen. Mir ist's recht, der Kaufmann soll sie haben und behalten, doch das Kind gehört mir, und das will ich wiederhaben!« Und damit geht er weg und zum Haus des Kaufmanns und klopft kräftig an die Tür. Zum guten Glück war's seine Dame, die auf dies Pochen kam und die Tür öffnete, da sie ganz allein daheim war.

Als sie ihren vergessenen Freund sah und er sie ebenfalls erblickte, verwunderten sich beide. Doch fragte er sie, wie sie an diesen Ort gekommen sei. Und sie erwiderte ihm, das Schicksal habe sie hierhergeführt.

»Schicksal!« versetzte er, »nun, dann soll Euch das Schicksal hier lassen! Doch ich will mein Kind wiederhaben. Euer Herr soll die Kuh behalten, aber ich will das Kalb haben. Also gebt's mir alsbald, denn ich will's wiederhaben, gleichviel was geschieht!«

»Ach«, sagte das Weibchen, »was würde mein Mann dazu sagen? Ich wäre unglücklich, denn er hält es wahr und gewiß für sein Kind!«

»Das ist mir gleich!« erwiderte der andere, »er kann sagen, was er will, doch soll er nicht behalten, was mir gehört!«

»Ach, lieber Freund, laßt, ich bitte Euch, das Kind meinem Kaufmann, und Ihr tut ihm und mir einen großen Gefallen. Wenn Ihr es gesehen habt, werdet Ihr, bei Gott, schon gar nicht mehr darauf drängen, es wiederhaben zu wollen. Es ist ein häßlicher, garstiger Knabe, ganz krätzig und ungestalt!«

»Teufel!« entgegnete der andere. »Er mag sein, wie er will, er gehört mir, und ich will ihn wiederhaben.«

»Sprecht doch leise, um Gottes willen«, sagte da das Weibchen, »und laßt von Eurem Verlangen, ich bitte Euch darum! Und wenn Ihr so freundlich seid und den Knaben hierlaßt, verspreche ich Euch gewiß und wahrhaftig, wenn Ihr's so machen wollt, den ersten Knaben, den ich jemals gebären werde, Euch zu geben!«

Obwohl der Edelmann erregt und erzürnt war, mußte er doch bei diesen Worten lächeln, verließ, ohne noch ein Wort zu sagen, seine gute Dame und hat, wie man mir erzählte, künftighin nicht mehr das Kind gefordert, und der zog es auf, der die Mutter in Abwesenheit unseres Edelmannes bei sich aufgenommen hatte.

 


 


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