Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
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63. Novelle
Montblerus Diebstahl

Montbleru befand sich vor ungefähr zwei Jahren auf dem Markt zu Antwerpen in der Gesellschaft des gnädigen Herrn d'Etampes, der ihn, was sehr angenehm ist, freihielt. Eines Tages begegnete er zufällig Meister Imbert de Playne, Meister Roland Pipe und Jean Le Tourneur, die ihn herzlich begrüßten. Und da er, wie jeder weiß, ein munterer und angenehmer Geselle ist, begehrten sie nach seiner Gesellschaft und baten ihn, bei ihnen sich einzuquartieren, sie würden ihn aufs schönste aufnehmen.

Montbleru nahm anfangs den gnädigen Herrn d'Etampes, der ihn hierhergebracht hatte, zum Vorwand und erklärte, er könne ihn nicht verlassen. »Ich habe auch meinen guten Grund dafür, denn er hält mich völlig frei«, sagte er. Trotzdem würde er den gnädigen Herrn d'Etampes verlassen, falls sie ihn ebenfalls freihalten würden. Und da sie seine Gesellschaft wünschten, waren sie bald und herzlich gern damit einverstanden. Nun hört, wie er es ihnen vergalt.

Diese drei guten Herren, Meister Imbert, Meister Roland und Jean Le Tourneur blieben zu Antwerpen länger, als sie bei ihrem Aufbruch vom Hofe gedacht hatten; und da sie geglaubt hatten, bald heimkehren zu können, hatte jeder nur ein einziges Hemde mitgenommen; nun wurden ihre Hemden, Mützen und die kleine Wäsche recht schmutzig, und außerdem war es, als wäre es Pfingsten, sehr heiß. Deshalb gaben sie dem Kammermädchen ihres Quartiers an einem Sonnabend abends, als sie zur Ruh gingen, ihre Sachen zum Waschen und wollten sie beim Aufstehen rein wiederhaben. Und so wäre es auch gewesen, hätte nicht Montbleru sich der Sache angenommen. Ich will erzählen, wie das geschah: Als das Kammermädchen am Morgen die Hemden, Mützen und die kleine Wäsche gewaschen, am Feuer getrocknet und hübsch geplättet hatte, ward ihr von ihrer Herrin aufgetragen, zur Fleischerei zu gehen, um die Einkäufe für das Mittagessen zu machen. Sie tat nach dem Befehl ihrer Herrin und ließ in der Küche auf einem Schemel die ganzen Sachen, Hemden, Mützen und kleine Wäsche, und hoffte sie bei ihrer Heimkehr wieder vorzufinden. Darin irrte sie sich, denn Montbleru erhob sich mit Tagesanbruch, warf ein langes Gewand über sein Hemde und kam die Treppe herab. Er wollte sehen, was es in der Küche gäbe, fand aber keine Menschenseele darin, nur die Hemden, Mützen und die kleine Wäsche, die auf ihren Käufer warteten. Montbleru erkannte alsbald, das sei seine Aufgabe, nahm eilig die Sachen und wollte sie irgendwo unterbringen. Erst wollte er sie in die Kessel und großen Kupfertöpfe in der Küche verstecken, dann unter seinem Gewand, schließlich verbarg er sie im Pferdestall gut unter dem Heu und einem großen Haufen Stroh. Danach legte er sich wieder in das Bett neben Jean Le Tourneur.

Seht, jetzt kommt das Kammermädchen aus der Fleischerei, findet die Hemden nicht, was ihr gar nicht recht ist, und fragt überall, ob jemand davon etwas weiß. Alle, die sie darum anging, erklärten, sie hätten keine Ahnung davon, und Gott weiß, was sie für Lärm schlug. Seht, da warten auch die Diener der guten Herren auf ihre Hemden, wagen nicht, hinauf zu ihren Gebietern zu gehen, und sind ebenso wie der Wirt, die Wirtin und das Kammermädchen ganz aus dem Häuschen. Ungefähr um neun Uhr rufen die guten Herren nach ihren Leuten, doch niemand kommt, solche Furcht haben sie, ihren Herrn den Verlust zu melden.

Schließlich erschien doch zwischen elf und zwölf der Wirt samt den Dienern und erklärte den guten Herren, ihre Hemden seien gestohlen, worüber einige, wie Meister Imbert und Meister Roland, die Geduld verloren. Doch Jean Le Tourneur behielt seine gute Laune, lachte nur und rief Montbleru, der sich schlafend stellte, aber alles hörte, und sagte zu ihm: »Montbleru, seht, wie es uns geht, man hat uns unsere Hemden gestohlen!«

»Heilige Maria, was sagt Ihr da!« rief Montbleru, scheinbar aus dem Schlaf geschreckt, »was Teufel soll das heißen?«

Als man eine lange Weile über die verlorenen Hemden, deren Dieb Montbleru wohl kannte, verhandelt hatte, erklärten die guten Herren: »Es ist schon spät, wir haben noch nicht die Messe gehört, und heute ist doch Sonntag. Und wir können auch nicht gut ohne Hemden ausgehen, was ist da zu machen?«

»Ich weiß wahrhaftig kein anderes Mittel«, sagte der Wirt, »als daß ich euch jedem eins von meinen Hemden, so wie sie sind, gebe. Sie sind nicht wie die euern, aber rein, und so geht's am besten.«

Sie waren damit einverstanden und nahmen die Hemden des Wirts, die kurz und eng, hart und aus grobem Stoff waren, und Gott weiß, daß sie schön darin aussahen. Nun waren sie Gott sei Dank fertig, aber es war so spät, daß sie nicht wußten, wo sie noch die Messe hören konnten. Darauf meinte Montbleru, der sich nicht aus der Fassung hatte bringen lassen: »Um die Messe zu hören, ist's heut zu spät; doch ich kenne eine Kirche in dieser Stadt, wo wir wenigstens Gott sehen können.«

»Das ist immer noch besser als gar nichts«, erklärten die guten Herren. »Wir wollen machen und uns beeilen, wir haben schon so viel Zeit verloren, denn unsere Hemden einzubüßen und heute nicht die Messe zu hören, das wäre Pech über Pech. Jetzt ist's wirklich Zeit, zur Kirche zu gehen, wenn wir heut noch die Messe hören wollen.«

Montbleru führte sie in die große Kirche von Antwerpen, wo ein Christus auf einem Esel zu sehen ist. Als sie alle ihr Vaterunser gesagt hatten, fragten sie Montbleru: »Wo werden wir nun Gott sehen?«

»Ich werde ihn euch zeigen«, versetzte er. Darauf wies er ihnen den Gott auf dem Esel und sagte: »Seht da Gott, ihr könnt ihn hier zu jeder Stunde sehen.«

Darauf lachten sie, obwohl sie den Verlust ihrer Hemden noch nicht verschmerzt hatten. Und dann gingen sie heim zum Mittagsmahl und blieben, ich weiß nicht wie lange noch, in Antwerpen. Und darauf zogen sie ab, ohne ihre Hemden wiedererhalten zu haben, denn Montbleru hatte sie in sichern Gewahrsam gebracht und verkaufte sie später für fünf Goldgulden.

Nun geschah's nach Gottes Willen, daß am Mittwoch in der guten Fastenwoche Montbleru sich zum Mittagessen mit den drei genannten guten Herren zusammenfand. Und unter anderm brachte er auch das Gespräch auf ihre zu Antwerpen verlorenen Hemden und sagte: »Ach, der arme Dieb, der euch bestahl, wird wohl, wenn Gott und ihr ihm seine Tat nicht vergebt, verdammt werden. Ihr würdet ihm doch wohl nicht vergeben wollen?«

»Ach«, entgegnete Meister Imbert, »ich denke bei Gott, lieber Herr, nicht mehr daran und habe es schon lange vergessen.«

»So würdet wenigstens Ihr«, versetzte Montbleru, »ihm verzeihen, nicht wahr?«

»Sankt Johann«, erklärte er, »meinetwegen soll er nicht verdammt werden.«

»Meiner Seel, das ist wohlgesprochen«, sagte Montbleru. »Und Ihr, Meister Roland, verzeiht Ihr ihm auch?«

Er hatte eine schwere Zunge, doch erwiderte er, er verzeihe ihm; aber er wollte nicht viel Worte darüber machen.

»So verzeiht Ihr ihm also wirklich? « entgegnete Montbleru, »was hättet Ihr auch davon, einen armen Dieb um ein elendes Hemde und eine Mütze verdammt zu sehen!«

»Ich verzeihe ihm wahrhaftig«, versetzte er, »und beruhige mich dabei, ich würde ja doch nichts ausrichten.«

»Ihr seid wirklich ein guter Mensch«, sagte Montbleru. Nun kam die Reihe an Jean Le Tourneur. Und Montbleru sagte zu ihm: »Nun, Jean, Ihr werdet's nicht schlimmer als die anderen machen. Auf Euch kommt's nun an, ob dem armen Teufel, der die Hemden gestohlen, verziehen wird.«

»An mir soll's nicht liegen; ich habe ihm schon lange vergeben und erteile ihm nochmals meine Absolution.«

»Man könnte nicht besser sprechen«, erklärte Montbleru, »meiner Seel, ich bin euch für die Quittung die ihr dem Dieb eurer Hemden ausgestellt habt, sehr verbunden, zumal mich die Sache so sehr angeht, denn ich selbst bin der Dieb und habe euch eure Hemden zu Antwerpen gestohlen, und die Quittung ist mir sehr recht, und ich danke euch gebührend dafür.«

Als Montbleru den Diebstahl gestanden und sich, wie ihr hört, seine Quittung gesichert hatte, waren, wie ihr nicht zu fragen braucht, Meister Roland, Meister Imbert und Jean Le Tourneur sehr erstaunt, denn sie waren nie auf den Gedanken gekommen, daß er ihnen diesen Streich gespielt hätte. Und er ward ob dieses armseligen Diebstahls hart angelassen und gescholten. Er aber, als ein Mann von Lebensart, wußte in freundlicher Weise alles, was sie ihm vorwarfen, zu widerlegen und erklärte ihnen, er pflege alles, was er unbeaufsichtigt fände, besonders von solchen Leuten wie sie, sich anzueignen und an sich zu nehmen. Da mußten sie lachen; und als sie ihn fragten, wie er sie bestohlen, erzählte er ihnen alles ausführlich und erwähnte auch, er hätte aus der Beute fünf Goldgulden gelöst, worauf sie ihn weiter nichts mehr fragten.

 


 


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