Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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61. Novelle
Der genasführte Hahnrei

In einer guten Stadt im Hennegau hatte sich eines Tags ein tüchtiger Kaufmann mit einer ansehnlichen Frau verheiratet. Seine Handelsgeschäfte führten ihn sehr oft fort, und das war die Ursache, daß seine Frau eine Liebschaft mit einem andern anknüpfte und ziemlich lange fortsetzte. Trotzdem ward der Betrug durch einen Nachbarn, einen Verwandten des Mannes, entdeckt. Er wohnte gegenüber dem Hause des Kaufmanns und sah oft den Liebhaber nachts eintreten und aus dem Haus des Kaufmanns kommen. Als die Kunde hiervon zur Kenntnis dessen, der den Schaden hatte, durch den Nachbarn gelangte, war er sehr erregt. Und er dankte seinem Verwandten und Nachbarn und erklärte, er werde in kurzem darin Abhilfe schaffen und abends in seinem Haus sich einfinden, um besser sehen zu können, wer in sein Haus ginge und daher käme. Er tat, als verließe er die Stadt, und erklärte seinen Leuten, er wüßte nicht, wann er wiederkäme; er brach ganz früh am Morgen auf, blieb nur bis zur Vesper weg, brachte dann sein Pferd irgendwo unter und kam heimlich zu seinem Vetter. Und er sah dort durch ein kleines Gitter und wartete, ob er irgend etwas ihm Widerwärtiges erblicken könnte. Und er wartete so lange, bis gegen neun Uhr abends der Liebhaber, dem die Demoiselle hatte Botschaft zugehen lassen, ihr Mann sei nicht daheim, ein- oder zweimal am Hause der Schönen vorbeiging und auf die Tür blickte, um zu sehen, ob er eintreten könne; doch fand er sie noch geschlossen. Er dachte, sie fühle sich noch nicht sicher und die Stunde sei noch nicht gekommen, und so ging er in der Nähe spazieren. Der gute Kaufmann, der sich dachte, das sei sein Mann, kam die Treppe herab, ging an die Tür und sagte: »Lieber Freund, unsere Demoiselle hat Euch wohl gehört, weil aber die rechte Stunde noch nicht gekommen ist und sie fürchtet, unser Herr könnte heimkommen, hat sie mich gebeten, Euch einzulassen, wenn es Euch gefällt.«

Der Gesell glaubte, es sei der Diener, folgte ihm und trat mit ihm ein. Und nachdem dieser ganz sacht die Tür geöffnet hatte, führte er ihn tief hinein in ein Zimmer, in dem eine sehr große Truhe stand; er öffnete sie und hieß ihn sich hineinlegen, damit der Kaufmann, wenn er heimkehre, ihn nicht fände, und erklärte, seine Herrin werde ihn recht bald herauslassen und mit ihm sprechen. Und all das ließ der schmucke Gesell über sich ergehen, weil er glaubte, es wäre zu seinem Besten und der andere spräche die Wahrheit.

Der Kaufmann machte sich sofort, so still er konnte, davon, ging zu seinem Vetter und dessen Frau und sagte zu ihnen: »Jetzt habe ich die Ratte gefangen, doch nun müssen wir uns überlegen, was wir tun wollen.« Sein Vetter und besonders dessen Frau, die die andere nicht leiden konnte, waren sehr vergnügt darüber und erklärten, es wäre das beste, man zeigte ihn den Verwandten der Frau, damit sie wüßten, was sie von ihrer Aufführung zu halten hätten. Und nach diesem Beschluß ging der Kaufmann zum Vater und zur Mutter seiner Frau und sagte ihnen, wenn sie ihre Tochter noch am Leben sehen wollten, sollten sie schnell in sein Haus kommen. Sie sprangen sofort auf, und während sie sich bereitmachten, suchte er ebenfalls zwei der Brüder und Schwestern seiner Frau auf und sagte ihnen dasselbe wie vorher zum Vater und zur Mutter. Und dann führte er sie allesamt in das Haus seines Vetters und erzählte ihnen dort, wie die ganze Sache sich zugetragen und er die Ratte gefangen habe.

Nun müßt ihr wissen, wie es dem schmucken Liebhaber währenddessen in der Truhe ging, aus der er rein zufällig und kühnlich befreit ward. Die Demoiselle nämlich, die sich sehr wunderte, daß ihr Freund nicht kam, ging hin und her, um zu sehen, ob sie nichts von ihm erführe. Und es währte nicht lange, da hörte der schmucke Gesell sie ziemlich dicht neben sich vorübergehen und schlug, da man ihn so lange eingesperrt ließ, mit der Faust an die Truhe, bis die Demoiselle, die darob sehr erschrak, ihn hörte.

Trotzdem fragte sie ihn, wer da sei, und der Genoß antwortete ihr: »Ach, teuerste Demoiselle, ich bin's und sterbe hier vor Sorge und Angst, und was mich sehr wundert, Ihr habt mich hier hineinsteigen lassen und kommt nicht her zu mir.«

Wer nun sehr erstaunte, das war sie, und sie rief: »Jungfrau Maria, glaubt Ihr denn, lieber Freund, ich hätte Euch hier hineinstecken lassen?«

»Wahrhaftig«, erklärte er, »ich weiß es wirklich nicht. Euer Diener ist wenigstens zu mir gekommen und hat mir gesagt, Ihr hättet ihn ersucht, mich ins Haus zu lassen und in dieser Truhe zu verbergen, damit Euer Gatte, wenn er zufällig diese Nacht heimkehrte, mich nicht fände.«

»Ach«, rief sie, »bei meinem Leben, das war mein Mann, nun bin ich verloren, und unser Handel ist verraten und entdeckt.«

»Wißt Ihr was?« sagte er, »ich muß hier heraus, oder ich schlage alles kurz und klein, ich kann es nicht länger aushalten.«

»Meiner Treu«, entgegnete die Demoiselle, »ich habe nicht den Schlüssel für die Truhe, und wenn Ihr sie zerschlagt, bin ich verloren, denn mein Mann wird sagen, ich hätte es getan, um Euch zu retten.«

Schließlich suchte die Demoiselle so lange, bis sie alte Schlüssel fand, und unter ihnen einen, der den Armen befreite. Und als er draußen war, streifte er seiner Dame die Röcke hoch und zeigte ihr, wie zornig er gegen sie war, was sie geduldig hinnahm. Und danach wollte sich der schmucke Liebhaber verabschieden, doch die Demoiselle hielt und umarmte ihn und sagte ihm, wenn er so ginge, wäre sie ebenso entehrt, als wenn er die Truhe zerschlagen hätte. »Was sollen wir dann tun?« fragte der Liebhaber.

»Wir müssen irgend etwas hineinstecken; wenn mein Mann das findet, kann er mir nicht den Vorwurf machen, ich hätte Euch hinausgelassen.«

»Was soll man denn hineinstecken?« fragte der Liebhaber. »Wir müssen uns eilen, denn es ist die höchste Zeit.«

»Wir haben«, erklärte sie, »im Stall einen Esel, den wollen wir hineinstecken, wenn Ihr mir helfen wollt.«

»Ja, wahrhaftig«, versetzte er.

Also ward der Esel in die Truhe gesperrt, die sie darauf verschlossen; und der Liebhaber nahm Abschied mit einem süßen Kuß, verließ das Haus dann durch ein Hinterpförtchen, und die Demoiselle ging eilig schlafen. Und nicht lange nachdem dies geschah, rief der Mann seine Leute zusammen und führte sie, wie erwähnt, in das Haus seines Vetters, wo er ihnen die ganze Geschichte erzählte und ebenso, wie er den Liebhaber gefangen hatte! »Und damit ihr nun nicht sagt, ich verdächtige eure Tochter ohne Grund, will ich euch den Schelm, der uns diese Schande angetan hat, mit Auge und Finger zeigen. Und bevor er herausspringt, soll er sein Leben lassen.«

Und jeder erklärte, so sollte es sein.

»Eure Tochter«, fuhr der Kaufmann fort, »gebe ich euch, da sie solch eine Person ist, natürlich zurück.«

Darauf verließen mit ihm die andern, die ob dieser Kunde sehr betrübt waren, das Haus und nahmen Fackeln und Lichter, um besser sehen zu können und sich nichts entgehen zu lassen. Und sie klopften so kräftig an die Tür, daß die Demoiselle, ehe noch jemand im Hause erwachte, kam und ihnen die Tür öffnete. Und als sie eingetreten waren, begrüßte sie ihren Mann, ihren Vater, ihre Mutter und die andern und zeigte sich sehr darüber erstaunt, was sie zu dieser Stunde herführte.

Bei diesen Worten holt ihr Mann aus, gibt ihr ein paar tüchtige Püffe und sagt zu ihr: »Du wirst's bald wissen, falsches Frauenzimmer!«

»Oh, oh! achtet wohl auf Eure Worte; habt ihr dazu meinen Vater und meine Mutter herbeigerufen?«

»Ja, ja, falsche Dirne du«, versetzte die Mutter, »man wird dir gleich deinen Buhlen zeigen.«

Und ihre Schwestern erklärten jetzt: »Bei Gott, Ihr stammt nicht aus einer Familie, in der man Euch solche Sitten gelehrt hat.«

»Liebe Schwestern«, erwiderte sie, »bei allen Heiligen Roms, ich habe nichts getan, was eine anständige Frau nicht dürfte und könnte, und ich fürchte nicht, daß man mir das Gegenteil wird nachweisen können.«

»Du lügst«, versetzte ihr Mann, »ich werde es dir sofort zeigen, und der Schurke soll vor deinen Augen sterben. Mach schnell und öffne mir diese Truhe.«

»Ich?« sagte sie. »Ich glaube wirklich, Ihr träumt oder seid von Sinnen! Ihr wißt doch recht gut, daß ich den Schlüssel dazu niemals hatte, sondern daß er mit Euren andern Schlüsseln seit eh und je an Eurem Bund hängt. Wenn Ihr die Truhe öffnen wollt, so öffnet sie doch. Ich aber bitte Gott, so wahr ich niemals mit dem, der hierin eingeschlossen ist, etwas zu schaffen hatte, mir Freude und Ehre zuteil werden zu lassen und die Verleumdung, die man gegen mich erhoben hat, aufzudecken und allen hier zu zeigen. Und so wird's auch kommen, das ist meine sichere Hoffnung.«

»Ich glaube«, erklärte der Mann, der sie knien, weinen und seufzen sah, »Sie versteht sich trefflich darauf, die Gekränkte zu spielen, und wer ihr glauben wollte, den würde sie gut an der Nase herumziehen. Ihr könnt mir's glauben, ich weiß schon lange, was davon zu halten ist. Also ich will die Truhe öffnen und bitte euch, ihr Herren, legt alle die Hand an den Schurken, daß er uns nicht entwischt, denn er ist stark und kräftig.«

»Habt keine Bange«, versetzten sie einstimmig, »wir werden es schon gut machen.« Darauf zogen sie ihre Degen und nahmen ihre Messer, um den armen Liebhaber niederzumachen, und riefen ihm zu: »Nun bekenne hier deine Sünden, denn kein Priester wird dir mehr deine Beichte abnehmen.«

Die Mutter und die Schwestern, die den Mord nicht mit ansehen wollten, gingen beiseite, und der gute Mann öffnete die Truhe. Sobald der Esel das Licht sah, schrie er so gräßlich, daß auch der tapferste Mensch Sinn und Verstand verloren hätte.

Als sie sahen, daß es ein Esel war und der Kaufmann sie so gefoppt hatte, wollten sie sich an ihm vergreifen und sagten ihm so viel Schimpfworte, wie der heilige Petrus jemals rühmliche gehört hat, und selbst die Frauen wollten ihm an den Kragen. Und hätte er sich nicht geflüchtet, so würden ihn wirklich die Brüder der Demoiselle wegen der großen Schande und Unehre, die er ihr angetan und hatte antun wollen, getötet haben. Schließlich aber ward durch angesehene Bürger der Stadt Frieden und Vertrag geschlossen, und seit der Zeit konnte der Kaufmann keine Ankläger mehr leiden. Die Geschichte erzählt, daß die Verwandten der Demoiselle bei diesem Friedensschluß viel Schwierigkeiten machten und sich ihm sehr widersetzten und daß andererseits der Kaufmann mehrere sehr bindende Versprechungen geben mußte. Seitdem führte er sich gut und freundlich auf und war zeit seines Lebens der beste Gatte, und so lebten sie all ihre Tage zusammen.

 


 


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